Netzgeflüster: abwesende Rolemodels und anwesende

Wer jetzt stutzig wird, kennt diesen Blog unfassbar gut! Denn Netzgeflüster gibt es normalerweise immer erst um den 15. des Monats rum. Aber als ich anfing anlässlich des Internationalen Frauentags einen Artikel zu schreiben, ist das ganze entgleist. Eigentlich wollte ich über meine Game-Changerinnen schreiben. Über großartige Frauen, die mich inspirieren. Frauen, denen die Bühne gehört – olé! Da fiel mir auf: ich bin Softwareentwicklerinnen und alle, die ich nenne sind aus Film, Literatur, Aktivismus – keine einzige Softwareentwicklerin. Wieso hatte ich diese Rolemodels nie, die mich zu meinem Job inspirierten? Daher tue ich etwas ungeplantes und schreibe über meinen Werdegang in IT ohne Rolemodels, darüber warum es welche braucht und welche das aus heutiger Sicht sind.

Die große Abwesenheit

Tja, wie konnte das nun sein, dass ich soviele Personen des öffentlichen Lebens, allen voran Literatur und Film nenne, aber keine einzige Frau der IT-Branche? Wo ich doch nun Softwareentwicklerin bin!? Irrsinnigerweise wurde meine Leidenschaft für IT aus dem Umstand geboren, dass Computer für mich lange abwesend waren. Während alle meine Freund:innen lange einen Computer hatten, habe ich das erste Mal mit 14 einen mein Eigen nennen können. Faszination durch Abwesenheit könnte man das wohl nennen. Abwesenheit bleibt auch das Thema. Mein Interesse und meine Faszination setzte sich fort als ich im Informatikunterricht in der Schule programmieren lernte. Die Initialzündung habe ich unserem Lehrer zu verdanken, der mit Java sogar einer modernen Programmiersprache den Vorzug gab, was noch heute in Mittagspausen Gespräch für anerkennendes Nicken meiner Kolleg:innen sorgt, die sich eher mit Pascal auseinandergesetzt haben. Oder HTML. 🙂 Durch den Unterricht und den Spaß, den ich beim Programmieren hatte, fasste ich den Entschluss Informatik zu studieren.

Ein IT-Rolemodel gab es nicht. Die Abwesenheit und das Nicht-Erwähnen weiblicher Rollenbilder heißt nicht unbedingt, dass man den Weg nicht geht oder dass man sich dort nicht sieht. Aber die Zahlen sprechen für sich wie auch die öffentliche Wahrnehmung, die irgendwann offenbar knallhart zuschlagen musste. Als ich im Geplauder nach einer mündlichen Abiturprüfung gefragt wurde, was ich mit meinem Leben nach der Schule anfangen will, sagte ich: „Informatik studieren“. Die anwesende, beisitzende Geschichtslehrerin hätte nicht empörter sein können. „Als Frau!?“ sagte sie. „Na dann viel Spaß, das machen doch nur Männer.“

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Wie man Menschen nicht empowered

Wir haben in unserem Informatikunterricht nie viel geschichtliche Exkurse gemacht und mir war bis dahin nicht aufgefallen, dass ich keine weiblichen IT-Rollenbilder kenne und auch keine Frau, die „irgendwas mit IT“ macht. Ich bekam meine Prüfungsnote und hätte mich freuen sollen, ging aber beunruhigt aus der Prüfung. Etwas geschüttelt durch dieses Erlebnis konsultierte ich meine Studienratgeber und schaute mir die Frauenquote unter den Studierenden an. In der Tat alles andere als ausbalanciert. Relativ zeitgleich fragte meine Mutter ihren IT-Spezi auf Arbeit wieviele Frauen sie im Studium hatten. Er antwortete „Eine, aber die haben wir mehr durchgeschliffen, die wäre sonst eher durchgefallen.“ Man hätte mich nicht pessimistischer machen können vor meinem Studium.

Witzigerweise taten das alle mit einer gewissen Empörung oder dem Gefühl mich warnen oder „retten“ zu müssen. Es gab auch anerkennende Stimmen. Ebenso welche, die meine Wahl stets als etwas sonderbares darstellten. Dass ich mich hier nicht kurzfristig umentschieden habe ist auch meiner Sturheit zu verdanken und dem „das schaffe ich schon“-Gefühl. Aber ich hatte Zweifel nach diesen Erlebnissen. Hätte es weibliche Rollenbilder gegeben, dann wäre das alles sehr viel leichter gewesen. Wieviele sind umgeschwenkt wegen Kommentaren wie diesen?

Sehr wohl anwesende Rolemodels

Und das Ende der Geschichte? Natürlich bin ich Softwareentwicklerin geworden. Das bin ich heute noch. Ich programmiere jeden Tag. Nur kann ich darüber nur eingeschränkt schreiben, weil der Code meinen Kund:innen gehört und nicht mir. Und in meiner Freizeit programmiere ich seltener und nicht immer denke ich, dass ich was neues fabriziert habe, was unbedingt ins Netz muss. So gibt es das Netzgeflüster in der Form, die es eben annimmt. Häufig als Kommentar und manchmal auch um zu korrigieren, was ich erleben musste. Vor einigen Jahren schrieb ich über Frauen in der Informatik, um Erasure entgegen zu wirken und sichtbar zu machen, dass es natürlich Frauen gab, die IT machen. Ein kleiner Kiesel geworfen in einen großen Ozean. Aber so fängt man doch an Abwesenheit zu korrigieren?

Es gibt massiv viele Studien und Betrachtungen darüber wie es zu Erasure kommt. Beginnend bei dem einfachen Fakt, dass Frauen Jahrhunderte und Jahrzehnte nachholen mussten, bedingt durch einstige, staubige Rollenbilder. Ich denke da an die Schulbildung, die man ihnen verwehrte oder das Wahlrecht. Erasure kommt als Kirsche oben drauf. Was man leicht als „Problem von früher“ betrachtet, ist ja offensichtlich auch noch eins, dass ich 2008 als Abiturientin hatte. Will man darüber nicht länger bedrückt sein, dann kann man im Internet nach Schlagworten wie Women in Coding oder auf Twitter und Medium nach #WomenInTech suchen. Da findet man jede Menge FLINTA*, die sich selber Informatik beibringen. Oder die jeden Tag Informatik machen.

Auch habe ich auf Twitter gefragt, wer eure weiblichen IT-Rolemodels waren. Ich habe nicht repräsentativ viele Antworten bekommen. Stattdessen habe ich von einigen Bestätigung bekommen, dass sie keine bekannten, weiblichen IT-Rolemodels hatten. Dass sie keine kannten so wie man die Väter diverser Programmiersprachen kennt, deren Bücher im Studium überschwänglich beworben werden. Oder diverse IT-Trailblazer, die in Rollkragenpullis irgendwas auf Bühnen reden. Aber sie hatten andere. Eine Person gab seine Mutter an, die in der IT tätig war. Eine andere ihre Arbeitskollegin in der IT. Rolemodels müssen also nicht immer einen TED-Talk geben. Manchmal müssen sie einfach da sein und im Stillen das Bild korrigieren, einfach durch ihre Anwesenheit. Denn da sind sie. Ich gehe natürlich nicht aus dem Artikel raus ohne zwei meiner IT-Rolemodels zu nennen – am besten ihr lest selber mehr von dem, was Constanze Kurz und Lillith Wittmann zu sagen haben.

Welche weiblichen IT Rolemodels kennt ihr? Wie korrigiert ihr das Zerrbild der Abwesenheit von Frauen in technischen Berufen? Wo findet ihr euch in der Geschichte oben wieder? Und wo wir schon dabei sind: ich wünsche euch einen wunderbaren Frauentag. 🙂 Und denkt dran: auch wenn sich das vielleicht im Alltag nicht so anfühlt, ihr könnt jederzeit das Bild korrigieren.

Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂

8 Antworten

  1. Hallo,
    hier ist dann also das Ergebnis deiner Twitter Frage. Ich glaube übrigens, dass wir „das Zerrbild der Abwesenheit von Frauen in technischen Berufen“ korrigieren, und zwar dadurch, dass wir beide weibliche Stimmen sind, die aus der Welt der IT bzw. dem IT-Studium berichten. Vor kurzem habe ich ein Buch geschenkt bekommen „Broad Band: The Untold Story of the Women Who Made the Internet“ und ich bin gespannt, ob ich hier etwas über Rolemodel erfahren werde, die mit vorenthalten wurden.
    Liebe Grüße
    Ariane

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja 😀 Ich hätte auch eure Tweets einbetten können, aber das erschien mir dann für so persönliche Erlebnisse zu sehr nach dem „Präsentierteller“. Ich hoffe auch, dass wir das Bild korrigieren. 🙂 Und auf das Buch hast du mich jetzt sehr neugierig gemacht. 😉
      Ebenso liebe Grüße

  2. Melinda French Gates

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ist das dein Rolemodel? Oder fiel sie dir gerade zu dem Thema ein?
      Lange Zeit habe ich sie eher als Projektmanagerin oder „die Ex-Frau von Bill Gates“ gesehen und mehr als Philanthropin. Aber kürzlich habe ich auch gelernt, dass sie Informatik studiert hat. Was ich nicht auf dem Schirm habe ist wie schnell sie Projektmanagerin wurde. Da sieht die „Frauenquote“ durchschnittlich besser aus, wenn ich auf das Unternehmen schaue in dem ich arbeite wie auch den Durchschnitt.

      1. Eine Frau aus dem IT-Bereich, die ich aufzählen kann. Es gab eine Doku, in der sie so vorgestellt wurde: „Er lernte die Programmierin Melinda kennen, die später….“. Erst als ich bei der Trennung ihre Biographie gelesen habe, kannte ich den Nicht-Programmiererteil. Sie hat das Programmieren an junge Mädchen unerrichtet.

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Ok, cool.

  3. […] hätte eigentlich mein Frauentags-Artikel sein sollen bis mir etwas anderes auf- und einfiel. Jeder Tag ist Frauentag, genauso wie jeder Tag Männertag sein kann und jeder Tag […]

  4. […] Frauentags hat Miss Booleana – auch aus eigener Erfahrung – beschrieben, warum weibliche Vorbilder so wichtig sind und was das Fehlen von Frauen in bestimmten Branchen oder Positionen für […]

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