Das ist der nun inzwischen dritte Jane-Austen-Roman, den ich als Teil meines kleinen Jane-Austen-Projektes las. Jedes Jahr einer. Mansfield Park nahm ich mir vor, weil ich bisher am wenigsten über den weiß und bisher keine Verfilmung gesehen habe. Natürlich gibt es aber auch hierzu bereits mehrere. 😉 Mit meinem Triple-Austen-Wissen lassen sich da typische Merkmale ihrer Romane beobachten. Allen voran eine Heldin, mit der man stets sehr einfach mitfühlen kann. Aber keine ist wie die andere! Die Romane haben außerdem erstmal eine Masse an Nebencharakteren, die man im ersten Drittel charakterisiert bekommt und (hoffentlich) mit der Zeit lernt sie auseinanderzuhalten. Und: man ahnt bereits sehr früh wer hier mit wem zusammenkommen soll bevor diverse Hürden auftauchen. Das vierte und letzte Merkmal, dass man häufiger antrifft, sind sehr lange Gespräche über Gärten. All das hat auch Mansfield Park. Dass man mit der Protagonistin mitfiebert und sich fragt, ob sie ihr Glück findet, ist Standard. Aber in diesem Roman gibt es ein vorherrschendes Gefühl über die Protagonistin, dass sich am besten beschreiben lässt mit: „Oh, arme Fanny“. Unsere Heldin ist Fanny Price, die aus einer finanziell nicht gut gestellten Familie kommt, die zudem auch sehr kinderreich ist. Um die Prices zu entlasten, bitten sie Fannys Tante das Mädchen aufzunehmen. Ihre Tante, Lady Bertram, hat in eine wohlhabende Familie eingeheiratet und so wächst Fanny bei ihr in Mansfield Park neben ihren vier Cousins und Cousinen auf.
Oh, arme Fanny
Leider sind aber vor dem Angesicht der Öffentlichkeit nicht alle Menschen gleich. Fanny bleibt das Mündel, das man aus Gutherzigkeit aufgenommen hat und das immer anders behandelt wird als ihre vier Cousins und Cousinen. Ihr Cousin Tom kann tun und lassen, was er will. Ihre Cousinen Maria und Julia werden verwöhnt und über den Klee gelobt, während auf Fanny eher herabgesehen wird. Alle bekommen ein Pferd, nur Fanny nicht. Alle dürfen in die Gesellschaft eingeführt werden und bekommen ein neues Kleid, nur Fanny muss zuhause bleiben und Lady Bertram Gesellschaft leisten – so in der Art. Fanny lässt sich all das gefallen mit der Schicksalsergebenheit eines viktorianischen Mündels, das ja ach so froh sein muss überhaupt in Mansfield Park sein zu dürfen. Lediglich ihr Cousin Edmund ist stets nett zu ihr und verteidigt sie vor allen anderen. Weswegen sie sich auch in ihn verliebt.
What? Yes. Das ist also das Jane Austen Buch, wo wir mit dem Konzept „den Cousin heiraten“ konfrontiert werden und viel cringe empfinden. Noch schlimmer: wir müssen natürlich für Fannys Glück mitfiebern. Aber wie tun wir das, wenn sich uns doch die Nackenhaare aufstellen bei der Idee, dass sie ihren Cousin heiraten will? Und dann ist das noch extra schwer für sie, weil friendzoning und die Bertrams Fanny eh für ein bedauerliches Wesen halten. Geht es noch schlimmer? Geht es! Als die Geschwister Mr. und Miss Crawford in der Gegend auftauchen, machen die es zum Sport jeder und jedem schöne Augen zu machen. Bestehende Verlobungen sind plötzlich in Gefahr, neue Bande werden geknüpft und auch Edmund verguckt sich in die intrigante Miss Crawford. Eine Tortur. Oh, arme Fanny.
Für sich einstehen
Oben schrieb ich zwar, dass man mit Fanny mitfühlt und mitfühlen will, aber ich hatte anfangs eine schwere Zeit damit. Unter den Protagonistinnen, die ich bisher begleitete, ist sie definitiv die schüchterndste und introvertierteste, was erstmal ein Fakt ist und ich auch persönlich nachvollziehbar finde. Wird etwas fieses über sie gesagt oder sie falsch verstanden, errötet sie höchstens und nimmt alles hin. Man möchte manchmal laut rufen: „Nein! Widersprich!“ Empathie hatte ich für sie, allein schon durch die Ungerechtigkeit, die ihr widerfährt. Aber es war schwer das mit ihr zu durchleben. Beeindruckt hat es mich aber, dass sie langsam lernt für sich einzustehen und dabei sich selber treu bleibt. Beispielsweise als all das Beziehungschaos, das die Crawfords aufwirbeln, sie erreicht. Denn Henry Crawford bemerkt eines Tages, dass diese kleine Fanny doch ganz hübsch ist und „beschließt“ sich in sie zu verlieben. Ein schönes Kopfnicken in Richtung der Freiheiten die Männer damals hatten, Frauen nicht.
„Ich glaube, Miss Price ist mehr gewohnt, Lob zu verdienen als zu hören.“ (Miss Crawford) p.133
Natürlich kommt Fanny nun in die unglückliche Lage zu beobachten wie nicht nur Edmund jemanden anderen heiraten will, sondern wie auch von ihr erwartet wird, sich für eine etwaige Vermählung zu öffnen. Das schuldet sie schließlich den Bertrams, der Gesellschaft, ja der Welt! Wo sie ihnen doch bisher nur auf der Tasche lag. Hier sind wir an dem Moment angekommen, an dem Jane-Austen-Romane kippen. Bisher war alles etwas langweilig, die Charaktere schwer auseinanderzuhalten, die Ungerechtigkeit der Protagonistin gegenüber erkennbar groß, man selber aber noch nicht besonders engagiert in allem was passiert. Jetzt aber wollen wir wissen, wie sie aus der Nummer rauskommt. Zeugnis des Triumphs, des Happy Ends werden. Was ist, wenn das der eine Jane Austen Roman ist, in dem es kein Happy End gibt!? Deswegen will man trotz der bekannten Muster auch keinesfalls gespoilert werden. Also!? Na? Naaaa?
Best for last. Or not?
Es stellt sich ganz grundlegend die Frage, was das Happy End für Fanny sein soll? Ist das wirklich Edmund, ihren Cousin, zu heiraten? Wäre es nicht schöner sich von den Bertrams zu emanzipieren? Von ihnen allen? Bei Mansfield Park fiel es mir so schwer wie noch nie mich von meinen Vorstellungen des 21. Jahrhunderts zu lösen, denn für Fanny wäre es nun mal ihr größtes Glück Edmund zu heiraten. Ob das auch so bleibt, sei an der Stelle nicht verraten. Wie schon oben angedeutet liegt der wirkliche Triumph des Buches darin dabei zuzusehen wie Fanny sich emanzipiert. Für Lesende wird es bis dahin immer mehr zu einer persönlichen Sache, immer spannender und brenzliger. Well done, Miss Austen! Es ist neben dem „Elizabeth und Mr. Darcy“-Trope wohl das zweite bekannte, beliebte und ziemlich gut funktionierende Muster in einem Austen-Roman: das arme Mündel, für das sich vielleicht das Blatt wendet. Müsste eigentlich tausend Mal funktioniert haben, tausendmal verfilmt worden sein. (Eher 3 Mal.)
Die Sache mit dem Cousin ist wohl aber auch das was gegen Verfilmungen spricht. Man hört doch irgendwie alle „Ewww“ sagen. Also vielleicht doch keine tausend Verfilmungen. Was diesen Jane-Austen-Roman außerdem noch anders macht: Fanny macht eine Reise in das Leben wie es hätte sein können. Als sie in all dem Trubel ihre Familie besucht, erkennt sie wie sie zwischen den Stühlen sitzt. Das Haus ihrer Kindheit, dessen Haushalt und Sitten, sind für sie gewöhnungsbedürftig. Der Vater trinkt viel und gibt einen Scheiß auf die anderen. Die Mutter ist überfordert, der Umgangston eher so mäh. Eine ihrer Schwestern hat Fannys Platz eingenommen, die sich nun um die Kleineren kümmert. Das hätte ihr Leben sein können. Ist das zu einseitig, was Jane Austen uns hier zeigt? Sehr sicher. Warum nicht arm und glücklich? Wäre vielleicht sogar interessanter gewesen. Trotzdem ist das Ausbrechen mutig. Es charakterisiert Fanny als Aufsteigerin, aber auch als jemand zwischen beiden Welten. Nicht alles davon ist aus heutiger Sicht erstrebenswert, aber im damaligen Kontext überraschend. So war Mansfield Park in vierlei Hinsicht für mich ein überraschender Jane-Austen-Roman. Wegen des „Ew“ mit dem Cousin, wegen der Emanzipation, wegen des Blicks über Fannys Schulter in ihr anderes Leben. Und dann!? Dann beschloss Jane Austen uns das Happy End für Fanny rückblickend zu erzählen und schnell in einem letzten Kapitel abzuhandeln.
Ja, das ist wirklich passiert. 🙂 Und ich erzähle den Roman nicht nach, es passiert eine ganze Menge abgesehen von diesen Eckpunkten. Und gerade bei all dem hatte ich mir doch gewünscht mit Fanny in dem Happy End baden und das richtig genießen zu dürfen. Das in Manier eines kurzen Rückblicks in einem letzten Kapitel zu erfahren ist nicht dasselbe. Aber es macht auch eines klar: es ging wahrscheinlich nie so sehr darum mit wem Fanny dann ihr Glück findet, sondern dass sie ihr Glück in die Hand nimmt (nicht reißt). Sich treu bleibt, aber für sich einsteht und beginnt etwas für ihr Leben zu wollen und sich das auch zu erlauben. Zu zeigen, dass andere erkennen werden wer sie ist, was ihre Tugenden sind, dass sie einen Charakter hat und ein Mensch ist. Vielleicht hatte ich fundamental andere Erwartungen und vermisse immer noch das klassische auserzählte Happy-End, aber mit der Botschaft kann ich leben.
Fazit
In einigen Belangen ein unkonventioneller Roman für heutige Erwartungen an das Leben, aber nicht minder mitreißend.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-423-14529-9, dtv Verlag
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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