ausgelesen: Stephen King „Der Turm“ (Der Dunkle Turm #7)

Nach fünf Jahren bin ich dann angekommen. Man kann sagen, dass meine Reise mit Roland, Eddie, Susannah, Jake und Oy auf dem Balken entgegen des dunklen Turms selbst in den Buchseiten beschwerlich war. Warum habe ich für die Reihe solange gebraucht? Bisher dachte ich, dass es daran liegt, dass es mich frustriert Reihen zu lesen. Andererseits schaffe ich das ja bei Mangas auch. Das größere Problem war aber für mich, dass mir nicht alle Teile gleich gut gefallen haben. Manche sogar gar nicht. Nach der Lektüre von eben denen waren meine Gefühle über die Reihe am besten zu beschreiben als „jetzt erstmal eine Pause“. Das war im Nachhinein gesehen gut so, weil wer liest schon gern frustriert dem Ende entgegen? Aber es bringt auch Nachteile mit sich. So vergaß ich manchmal Details. Die geschriebenen Reviews halfen, das vergessene zurückzuholen. Gespoilert wurde ich auch. Aber jetzt bin ich angekommen. Übrigens werde ich Ereignisse der vorherigen sechs Bände durchaus erwähnen müssen, aber tunlichst vermeiden den siebten zu spoilern. In diesen fünf Jahren mit Kings Der Dunkle Turm wurde es auch ein Running Gag in meinem Buchclub, ob ich immer noch an der Reihe lese und Sebastian hat das viel zeiteffizienter erledigt als ich und mich in wenigen Monaten mit der gesamten Reihe fast eingeholt. 😉 Aber ich bereue nichts. Wie war sie nun? Die letzte Etappe zur Erfüllung von Rolands Schicksal und dem seines Ka-Tet?

„Commala-come-Roland, bald ist die Reise getan.“ (p.898)

Nach den Geschehnissen des sechsten Bandes versucht das Ka-Tet wieder zusammenzufinden und Susannah zu retten. Pere Callahan, Jake und Oy befinden sich inmitten eines handfesten Kreuzfeuers und müssen sich mit Vampiren anlegen, während Roland und Eddie eine Tür suchen, die sie mit den anderen vereint. Das gelingt, wenn auch nicht ohne Opfer. Danach ist unser Ka-Tet wieder in Mittwelt, aber schwer geschlagen durch Verluste und den Umstand, dass sie einen Feind mehr haben: Mordred. Die Ausgeburt des blanken Hasses ist zur Welt gekommen und sinnt auf Rache an Roland und dem Ka-Tet. Sie versuchen nun alles zutun, damit der Balken nicht bricht und bekommen an unerwarteter Stelle Unterstützung, während Mittwelt gefühlt immer dünnhäutiger wird.

Türen werden geöffnet und geschlossen, sie treffen mal mehr mal weniger hilfreiche Roboter, ihr Weg führt sie durch eine Eissteppe, an Versuchungen vorbei. Konfrontiert sie mit vielen Wesen, die nur nach außen hin menschlich aussehen und mitten durch unwirtliche und ungastliche Gebiete wie die Tunnel unter Schloss Discordia. Auch zwischen den Welten müssen sie wandeln, um all das zu bewahren, was ihnen hilft die Zerstörung des letzte Balkens zu verhindern. Das bedeutet sie brauchen die Rose, sie brauchen die Tet Corporation, sie brauchen Stephen King und sie müssen ein Dorf zerstören, dass an Pleasantville erinnert. Das Geschehen bringt uns dem Roten König so nah wie noch nie, ebenso seinen Handlangern. Die lernen wir erst so richtig gut in diesem Band zu unterscheiden und bekommen einen Blick in ihr Wirken – und die ist ein ernüchternder und banaler Tausch von Brutalität im Gegenzug für ein angenehmes (wenn auch kurzes) Leben. Ihre Begründungen erinnern an die der Nazis, der Mitwisser und Angeklagten nach dem zweiten Weltkrieg, die sich als Rädchen im Getriebe zu rechtfertigen versuchten („Ich hatte … meine Befehle.“ p.462). Was müsste man dir anbieten, damit du wissentlich die Existenz ins Chaos stürzt?

Jede Menge Glammer

Die Etappen führen das Ka-Tet durch verschiedene Umgebungen, die wie es die Reihe schon immer getan hat, Genres gekonnt mischen. Western hier, Science-Fiction da, Horror nicht zu knapp.  Tatsächlich gelingt es sehr gut wie all die einzelnen Etappen ineinandergreifen, aufbauen und Fäden zusammenkommen, die seit vielen Bänden gesponnen werden. Es ist die wenig gut sichtbare Qualität der Reihe und Handwerk des Autors, der sich auch selber in die Geschichte gewoben hat. Vielleicht ist das Stephen Kings Glammer? Glammer bezeichnet in Mittwelt sowas wie Magie. Nur am Anfang stolpert all das mächtig und will im ersten Drittel nicht so recht in Fahrt kommen. Das Geschehen im Dixie Pig, wo alle zusammenkommen um Susannah zu retten, wird abwechselnd aus der Perspektive aller des Ka-Tets erzählt und ist damit letzten Endes einfach sehr repetitiv. Das will man bei einem Tausendseiter nicht haben. Umso mehr bestätigt sich der Verdacht, dass es den sechsten Band soviel runder gemacht hätte, wenn man den ganzen Abschnitt dort noch mitgenommen hätte.

Der Glammer der Reihe besteht aber eben auch im Wiedererkennen von Charakteren aus Stephen Kings nun inzwischen sehr engmaschig gestrickten Multiversum. Zu den hilfreichern Helfern, die dem Ka-Tet ab New York bzw. Donnerschlag unter die Arme greifen, zählt beispielsweise Ted Brautigan. Bekannt aus Stephen Kings Atlantis und der Verfilmung Hearts in Atlantis mit Anthony Hopkins. Was für eine Überraschung, mag ich den Film und Charakter Brautigans doch sehr. Glammer! Es ist dieses kleine High geliebte Charaktere wiederzutreffen, dass ich bisher wenig in der Reihe hatte, weil ich sie „falschen“ Bücher gelesen habe. Es gibt noch eine ganze Menge mehr Charaktere, die auftreten, die ich an dieser Stelle aber nicht spoilern möchte. Nur haben sie immerhin einen gemeinsamen Nenner: sie sind verloren gegangene zwischen den Welten Stephen Kings und irgendwie in Mittwelt hängen geblieben. Ob geplant oder nicht, das ist ein schönes wie auch gleichermaßen erschreckendes Muster.

Nicht ganz so gut funktioniert die Gegenspielerfrage. Eigentlich ist der siebte und letzte Band all-in. Würden die alle an einem Strang ziehen, dann hätte das Ka-Tet wohl kaum eine Chance. Teil ihrer individuellen DNA ist aber Chaos. So ist der Rote König omnipräsent durch Handlanger, aber selber schwer greifbar. Mehr wie ein Mythos oder eine Mär, die aber immerhin mehr Gestalt und Grauen annimmt, desto näher das Ka-Tet ihm kommt. Dass man dabei immer mehr der durch ihn marodierten Landschaft sieht, hilft. Mordred zündet zumindest für mich nur sehr mäßig als Big Bad. Vielleicht weil er nicht big ist und irgendwie ein bisschen zu einsam und durch seine Kondition zu beeinträchtigt, um richtig bad zu wirken. Mit Walther/Randall Flag wusste Stephen King gegen Ende offenbar nichts mehr anzufangen. Am besten funktioniert der gefährliche und lange Weg zum Dunklen Turm als Endgegner. Und der Weg ist mit Fallen gepflastert, die hier ganz im Stile eines letzten Bandes immens wirken.

„Denn endet ein Ka-Tet, kommt das Ende stets rasch. Sage mein Bedauern.“ p.460

„[…] und der immer populäre Stephen King.“ (p.188)

Stephen King hat sich selbst in diese Metafiktion geschrieben und man fragt sich wie sich das wohl so angefühlt hat. Und er inszeniert sein mögliches Ende als den Untergang einer Welt. Ein wenig ist es ja so – sterben Autor:innen, bevor das Werk vollendet ist, ist es das Aus eines Subkosmos. Außer in ein paar prominenten Einzelfällen. 😉 Das hätte bei King so kommen können als er 1999 angefahren und schwer verletzt wurde. Auch dieses Ereignis hat er in das Buch verbaut. Fiktion trifft auf Metafiktion, eine Brücke in unsere sehr reale Welt. Selbst wenn King im Anhang schreibt, dass er einiges fiktionalisiert hat – den Namen des Unfallwagenfahrers jedenfalls nicht.

Schreibt sich ein Autor in seine eigenen Bücher, dann kann das ordentlich nach hinten losgehen. Ich gestehe: ich fand es zwar spannend, aber mochte es nur so halb wie King sich im vorherigen Band selber mystifiziert und zum Wortschmied erhoben hat. Wie er Eddie sein Gesicht gab und noch zahlreiche solcher Ideen mehr. Im siebten und letzten Band geht er härter mit sich ins Gericht. Bezeichnet sich als faul, vom Schicksal abwendend, vermeidend. Er nennt sich sogar „Schundproduzenten“ (p.206). Vielleicht ist das Buch auch Verarbeitung für King. Ganz sicher sogar. So entlarvt sich doch der Erzähler unverhohlen als King selbst, der allwissend ist, auf Augenhöhe mit dem Publikum beisammen sitzt und der sich verhält als würde er mit uns am Lagerfeuer palavern. Die Erzählstimme unterbricht nämlich des Öftere die vierte Wand wie zum Beispiel in p.190 „Was ich euch jetzt zeigen möchte, ist weit bizarrer als alles, was wir bisher betrachtet haben, und ich warne euch im Voraus, dass euer erster Impuls sein wird, dass ihr lacht.“ Das wiederum finde ich etwas zu einfach. Als ob jemand vorher schon weiß, dass er gleich deine Lieblingsvase runterfallen lässt, aber es trotzdem macht. Klirrr. Flachheiten gibt es natürlich auch wieder wie die viel zu ausufernden Beschreibungen vom Leben der Nebencharaktere, Zur-Schau-Stellung von Rolands Männlichkeit, die offenbar auch sein Sohn Mordred erbt. Der kommt jedenfalls schon mit einem erigierten Glied zur Welt, klar, wie könnte es anders sein!?. Also so ein bisschen Quatsch muss man auch hier ertragen. Nur ist sich unser Erzähler, Stephen King, dieses Mal dessen sehr bewusst. Zum Teil.

„‚Es wird wohl ein Palaver geben, ob wir’s wollen oder nicht.‘, sagte Roland.“ p.784

„Ka-Shume“; das, Substantiv.

Da gibt es eine ganze Menge Kritik, aber da gibt es auch Ka-Shume. Das ist „Dieser mit Wehmut befrachtete Ausdruck ließ sich nicht genau übersetzen, aber er bedeutete, dass man einen bevorstehenden Bruch im eigenen Ka-Tet spürte.“ (p.298) Und das ist das wohl beste und herzzerreißendste an dem Roman. Man kann Ka-Shume sicherlich als Forshadowing sehen: wie wahrscheinlich ist es, dass nach der ganzen Sache mit Rotem König und Dunklem Turm irgendwer überlebt? Geschweigedenn, dass sie alle überleben? Es ist die Melancholie, die nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung kommt. Was ich sehr schön und auch sehr traurig fand ist wie sich die Dynamik der Gruppe verändert und wie King die Beziehungen untereinander wie einen eigenen Organismus handhabt. Das Ka-Tet war stets und ist auch im siebten Band die größte Kraft, die sich dem Chaos gegenüberstellt. Egal, ob nur im Herzen anwesend.

„Der Wagen war jetzt leichter, musste es sein, aber er fühlte sich dennoch schwerer an. Natürlich ist er schwerer, dachte Roland. Er ist mit meinem Kummer beladen. Den ziehe ich jetzt überall mit mir herum, ja, das tue ich.“ p.911

Wer es bis hierhin geschafft hat, verdient sich drei Enden!

Egal, ob das omnipräsente Ka-Shume oder die Multiversen – der siebte Band fühlt sich drchgängig wie ein letzter Band an. Hält man die ersten 300 Seiten durch, dann wird es episch und geht von einem Highlight in das nächste über, gekrönt von den vielen Fäden des Multiversums, die hier zusammenlaufen. Sehr „Stephen King“ ist auch, dass das Buch quasi drei Enden hat. Ein angedachtes, eins als Anhang und dann nochmal eins „für die, die ansonsten nicht zufrieden gewesen wären“. Was King auch kommentiert – es wirkt ein bisschen wie ein Rant. Und wie sind dann nun diese drei Enden? Jedes davon hätte gereicht, eins davon ist aber wohl das perfekte. Nur das in der Mitte war für mich ein touch too much. Trotz der langen Reise sind meine Augen trocken geblieben, wenn ich auch innerlich manchmal ein klammes Gefühl hatte, wenn man ahnt, dass man diesen Abschnitt von Mittwelt das letzte Mal betritt. Das alles nahm ich mit einem überraschend warmen Gefühl von Geschlossenheit wahr. Ich fühlte mit allen Sinnen ein Ende, das mich mit den Auf und Ab’s der Reihe ganz überraschend: versöhnt hat. Und am Ende hat sich das Ka nicht erschöft, wie könnte es auch? Es ist wohl die einzige Quelle, die nicht versiegt. Lange Tage und angenehme Nächte, Revolverfolken.

Fazit

Mag die Reihe durchwachsen sein, das Ende ist wahrhaft episch.

Besprechungen zur „Dunkler Turm“-Reihe im Blog: #1 „Schwarz“ | #2 „Drei“ | #3 „tot.“ | #4 „Glas“ | #5 „Wolfsmond“ | #6 „Susannah“ | #7 „Der Turm“

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-453-43161-4, Heyne Verlag

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

2 Antworten

  1. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Glückwunsch. Endlich geschafft… jetzt noch den Film, der ja tatsächlich als Sequel verkauft wurde

    Ich lese mir deinen Artikel durch, sobald ich fertig bin. Hab nur noch knapp 150 Seiten vor mir.

  2. Herzlichen Glückwunsch – was für ein Durchhaltevermögen. Ich bin auch kein großer Freund von Reihen und um den Turm mache ich einen großen Bogen, dafür fehlt mir die Geduld. Habe dir aber sehr gerne über die Schulter geschaut beim Lesen Deiner Rezensionen 🙂

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