Ich sage ja immer, dass ich mehr für Urban Fantasy bin. Dass ich Fantasy mit immer gleichen Figurengruppen (Elfen, Vampire, Hexen, Zwerge, etc.) nicht viel abgewinnen kann. Und jetzt schaut mich an! Gerade die eine Fantasy-Reihe beendet, liegt vor mir die nächste. Irgendwann stolperte ich ohne Kenntnis über Bücher oder Games in die Serie The Witcher und mochte wenn auch nicht alles, immerhin vieles daran. Ich schätze das funktioniert, wenn man die Serie als erstes sieht besser. Dann lag es auf der Hand, dass ich die Handlungsbögen der Romanreihe schneller abschließen kann als auf die nächsten Serienstaffeln zu warten. Etwas, das man von George R. R. Martins Das Lied von Eis und Feuer nicht sagen kann. Konnte. Nun habe ich den Anfang gemacht und habe Anlass zur Vermutung, dass ich dieses Mal nicht soviel Zeit zwischen den Büchern verstreichen lassen werde wie bei einer anderen prominenten Fantasybuchreihe.
Das Erbe der Elfen setzt ein nach der Schlacht bei Sodden, in dessen Unruhen Cirilla von Cintra fliehen konnte, bevor das Königreich fiel. Die Prinzessin trifft auf ihren vorgesehenen Beschützer und väterliche Figur, den Hexer Geralt. Der nimmt sie mit nach Kaer Morhen, zur Festung und Winterresidenz der Hexer. Zu recht stellen die Hexer fest, dass Ciri(lla) lernen muss sich zu verteidigen, schließlich sind immer noch reichlich Parteien mit unterschiedlichen Absichten hinter ihr her. Und das obwohl das Überleben Ciris nahezu der Stoff von Legenden ist – manche glauben dran, andere nicht. Als klar wird, dass Ciri prophetische Träume hat, rufen die Hexer Unterstützung in Form von Zauberinnen herbei. Offenbar hat Ciri Potentiale, die Unterricht in Magie notwendig machen. Es ist der Anfang der Geschichte Ciris, in einer Pentalogie, die eigentlich Geralts Namen trägt.
In Folge der Geschehnisse wird immer deutlicher, dass mehr an Ciris Fähigkeiten und ihrer Herkunft dran ist als angenommen. Sowohl in ihren Aufeinandertreffen mit der Zauberin Triss Merigold als auch mit Yennefer von Vengerberg wird das Potential Ciris erkundet als auch die Motive der Zauberinnen. Im Hintergrund braut sich ein erneuter Konflikt zusammen, in dessen Zentrum sie zwangsläufig in ein Spiel um Macht und Intrigen geraten, das gut komponiert ist. Etwas eigenartig, aber auch interessant ist, dass die Handlung mitten im Geschehen einsetzt. Wer mit der Pentalogie beginnt und nicht mit den (früher veröffentlichten) Kurzgeschichten über Geralt und die Welt, in der er lebt, hat also einiges an dass man sich gewöhnen und hineinfinden muss. Beispielsweise die Bedeutung des Krieges zwischen dem Norden und Nilfgaard in dessen Zuge das Königreich Cintra fiel, Ciris Heimat. Oder der Schlacht bei Sodden, wo viele Zauberer:innen fielen, die versuchten den Norden zu verteidigen.
Andrzej Sapkowski gelingt das sehr gut. Er macht den Krieg auf dem Papier zu etwas, das Krieg auch in der Realität so an sich hat: er ist gesichtslos. Trägt höchstens die Namen seiner zahlreichen Opfer. Wir werden mit dem konfrontiert, was nach dem Krieg kommt. Wer die Serie verfolgt, hat den Heimvorteil. Die erste Staffel behandelt genau diese Vorgeschichte. Es bleibt die Frage, ob ich die Pentalogie ohne Kenntnis der Kurzgeschichtenbände oder Serie auch so gut verstanden hätte? Zwar erklären mir andere Leser:innen sehr häufig und sehr vehement, dass die Hexer-Saga so klasse ist, dass sie das sogar sehr gut vermittelt. Die Beteuerungen sind nicht dasselbe wie es am eigenen Lein erlebt zu haben. So kann ich nur vermuten, dass es einen Tick schwieriger ist die Ereignisse zusammenzusetzen, wenn man weder Serie noch Kurzgeschichten kennt. Wird man reinfinden? Größtenteils schon.
Auffällig war für mich die altertümlich anmutende Sprache, die sich wohl dem Setting anpasst. Nicht alle Passagen sind sprachlich und literarisch geglückt – insbesondere der Anfang wirkt etwas ungelenk. Spannend ist noch, dass hier einige Wörter benutzt werden, die nicht Teil meines Wortschatzes waren. Troubadour z.B. oder Falbe. Einerseits ist es spannend etwas dazuzulernen, andererseits ist es befremdlich wie die Worte eingebaut werden. Wenn sie inflationär als Synonym für Namen und Personen benutzt werden, erinnert mich diese Schreibe häufig an Fan-Fictions. Auch die Wiederholungen bestimmter Eigenschaften und Charakteristiken mancher Personen sind zu viel des Gutes. Geralts Augen, Yennefers Geruch, ok, wir haben es verstanden, sie riecht nach Flieder und Stachelbeeren.
„Der Mann beugte sich herab, die Flammen des Lagerfeuers spielten auf seinen Augen. Das waren seltsame Augen. Sehr seltsame. Früher einmal hatte sich Ciri vor diesen Augen gefürchtet, nicht gern hineingeschaut. Doch das war lange her. Sehr lange.“ p.11 (Okay
SiriCiri, wie lange ist das her? Und wie sind seine Augen? Seltsam, ja??)
Als ob Sapkowski und/oder Übersetzer Erik Simon warm werden, sind spätere Kapitel feinsinniger geschrieben und kleiden die Handlung gut. Längliche Trainingsbeschreibungen geben mir ohne Bilder dazu relativ wenig. Trotzdem wissen viele Kapitel zu überraschen mit einem kleinen Wink, einer Wende oder manchmal auch nur einem einsilbigen Knurren Geralts an der richtigen Stelle. Pointen können Sapkowski und Simon. Die Stärken der Reihe liegen in anderen Dingen wie diesem Pointenreichtum, den deftigen Flüchen und v.A.: Auslassungen! Dafür war ich sogar ausgesprochen dankbar: Ich muss nicht bändeweise lesen wie Ciris Schulbildung verläuft oder kleinteilig wissen wie Geralts Monster-Slasher-Auftrag. Zwischen zwei Kapiteln kann es mal einen Zeitsprung geben und es fehlt mir tatsächlich nichts.
Die Handlung wird außerdem maßgeblich durch die Charaktere gekleidet, denen Sapkowski ein regelrecht modernes Mindset verliehen hat. Zwar wirken manche Entscheidungen im Roman dann doch mal wie (stereo)typische zu Papier gebrachte Wunschträume von Fantasyautoren, aber das sind Ausnahmen. Beispielsweise wenn fast jede Frau Geralt zu Füßen zu liegen scheint. Es überwiegen letzten Endes die Brüche mit dem naheliegenden Muster: wenn der Verrat gestanden wird, wenn die Lösung keine ist, wenn während der langen Reise auch mal jemand krank wird und der Plan nicht aufgeht. Sapkowski gibt den Frauen Aufgaben, eine eigene Agenda, einen unschlagbaren Charme und Kampfgeist, eine Hintergrundgeschichte. Sie sind mehr als Love Interests, die Geralt anhäuft wie Sammelkarten (im Gegensatz zum Spiel übrigens). Sie würden den Bechdeltest bestehen, weil es in ihrem Leben nicht ständig um Männer geht, sondern ihre individuellen Ziele. Besonders gut haben mir die Abschnitte gefallen, in denen Ciri von Yennefer oder Tris trainiert wird. Statt Ciri wie von Zauberhand in eine Kampfamazone zu verwandeln (was die einfache und unkreativere Lösung für einen Roman wäre), pochen die Zaubererinnen darauf, dass sie wie eine Frau behandelt wird, statt wie einen männlichen Hexer-Anwärter. Es soll nicht in ihre Physis eingegriffen werden, um ihre Menstruation zu verhindern und sie soll Schulbildung erhalten. Wenn Triss den Hexern die Leviten liest: witzig, humanistisch, so gut!
Wodurch das Buch sehr viel profitiert ist die Bodenständigkeit der Handlung, die dem ganzen trotz des High Fantasy Settings einen Hauch Nahbarkeit verleiht. Hier scheitert auch mal ein Unterfangen, weil ein Charakter unterwegs krank wird. Welche Bücher nehmen sich schon für die unrühmlichen Dinge des Lebens Zeit? Zum Anderen ist das Miteinander der Charaktere und ihre Vielseitigkeit ein Trumpf. Auf den ersten Seiten geht es erstmal um den Barden Rittersporn (Jaskier), um Ciri und ihre Orientierungslosigkeit in einer v.A. für sie gefährlichen Welt. Sapkowski erzählt also zuerst von einem Reisenden Musikanten und einem kleinen Mädchen als vom mächtigen Hexer – Geralt dominiert längst nicht alle Kapitel. Das Erbe der Elfen checkt damit viele Boxen, in dem es Personen unterschiedlichen Alters, Veranlagung, Profession zu Wort kommen lässt: Elfen, Menschen, Zauberinnen, Zwerge. Junge, alte. Frauen, Männer. Mutige, Hasenfüße, Naseweiße.
Wo Sapkowski mit seiner Wortwahl nicht immer überzeugt, tut er es mit seiner „Strategie“. Das Worldbuilding ist dicht und wird in die eigentliche Erzählung geschickt verwoben. Einer meiner Lieblingsabschnitte des Buches ist der, in dem er die Neutralität der Hexer erklärt. Warum sie sich nicht politischen Gesuchen und spezifischen Parteien anschließen, auch wenn diese auf den ersten Blick hehre Ziele verfolgen. Auf den zweiten Blick ist dann eben leider oftmals nicht so. Letzten Endes behandelt Das Erbe der Elfen eine der ältesten Geschichten der Welt: Vertreibung und Verfolgung einer Völkergruppe durch andere. Nur durch ein High Fantasy Setting betrachtet.
„Neutral sein heißt nicht, gleichgültig und gefühllos zu sein. Man braucht die Gefühle in sich nicht abzutöten. Es genügt, wenn man den Hass in sich abtötet.“ p.190
Fazit
Sprachlich nicht immer überzeugender High-Fantasy-Roman, der aber inhaltlich durch Brüche und die individuellen Charaktere zu begeistern weiß.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-423-26244-6, dtv, aus dem Polnischen von Erik Simon
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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