Netzgeflüster: Mach mal POSSE

Neulich habe ich in einem Webdesign-Beitrag einen Begriff gelernt, von dem ich gar nicht fassen konnte, dass ich ihn nicht kannte. POSSE. Das finde ich vor Allem deswegen so krass, weil ich es seit über zehn Jahren praktiziere. 😏

POSSE

… steht für Publish (on your) Own Site, Syndicate Everywhere (Quelle: IndieWeb). Das bedeutet so viel wie „Veröffentlichte auf deiner eigenen Webseite und verteile es wo anders“. Dieses wo anders sind dann meist die sozialen Netze, in denen du einen Link lässt, der zu deinem Blog führt. Der Charme von POSSE ist Kontrolle über die eigenen Inhalte und den Look zu haben, die Resonanz selber zu bündeln und nicht von anderen Plattformen abhängig zu sein. X geht Pleite? Okay, mir egal. Eine Plattform weniger, auf der ich teile. Meine Inhalte sind noch da – in meinem Blog (zum Beispiel).

Dabei gestehe ich allerdings auch, dass ich darüber als ich vor zwölf Jahren anfing zu bloggen weitaus weniger bewusst nachdachte. Ich wusste nur: ich will, dass mein Blog „meins“ ist. Ansonsten hätte ich damals natürlich auch einen Tumblr-Microblog oder bereits Twitter als Plattform für alles nutzen können. Naja. Vielleicht nicht bei meinem Hang zu längeren Beiträgen. 😳 Trotzdem kannte ich den Begriff POSSE nicht und beobachtete in den zwölf Jahren teilweise auch mit Sorge und Frustration wie sich alle ihres Influencertums schmückten und vermehrt wo anders ihr Ding machten. Vor Allem auch mehr „Erfolg“ hatten. Egal wie man Erfolg definiert. Oder wie sagte eine Bekannte damals als ich erwähnte, dass ich jetzt blogge? „Bloggen? Ist das nicht jetzt schon tot?“ 💔 Man kann auf Ideen kommen, warum POSSE aber plötzlich sogar sehr charmant ist.

Gerade jetzt! Jetzt gerade!

In meinem Rückblick anlässlich des Blog-Jubiläums schrieb ich „Personal Blogging wird immer unseres bleiben. Sicher können die Elons dieser Welt kommen und irgendwas kaufen. Aber unsere Blogs gehören uns. Sind exportierbar. Selbst wenn sie nur auf unserer Platte liegen, sind sie unsere und sie sind da.“ Das ist nun mal leider wahr. Würde sich von heute auf morgen Meta entscheiden Instagram einzustampfen, wären sicherlich viele traurig über das Abhandenkommen von Netzwerk, Fotos, Einkommensquelle. So gesehen bei X, das wir mal als Twitter kannten bis Elon Musk kam und es in einen Pott aus Schwurblern, Rechten, Bots, Scam-Profilen und ein paar resistenten Usern machte, die vielleicht hoffen, dass es da nochmal besser wird. Plattformen, die uns nicht gehören, können ganz schnell in etwas ganz ganz anderes abrutschen.

Es lohnt sich nebenbei gesagt auch mal nachzuschauen, was die Plattformen eigentlich mit den eigenen Daten machen oder welche Algorithmen dort überhaupt am Werk sind. Ob ihr die überhaupt in eurem Leben wollt!? Personal Blogging, bleibt aber unseres, selbst wenn die großen Plattformen gegangen sind. The Verge schrieb gerade The poster’s guide to the internet of the future und erhebt POSSE damit zu der Zukunft. Wow. Totgesagte leben länger.

… auch POSSE ist nicht unbedingt einfacher geworden

Das Bloggen ist wie ich finde schon einfacher geworden. Alle Provider versuchen es so angenehm wie möglich zu machen. Klar, es gibt die DSGVO und andere Krücken. Aber man lernt eine Menge, wenn man eine eigene Webseite betreibt. Ich persönlich empfinde Bloggen als wahnsinnig bereichernd. Vorrangig durch den Austausch und das Schreiben an sich. Bloggen hat mir auch die eine oder andere Tür geöffnet zu Gelegenheiten, die mir ansonsten verschlossen geblieben wäre und zu Freunden, die ich ansonsten nie getroffen hätte. ♥

Aber natürlich ist da eine Hemmschwelle, wenn man sich mit IT nicht so gut auskennt. Ob POSSE attraktiv ist, wird wahrscheinlich für viele auch eine Zeitfrage sein. Wer jeden Tag stundenlang durch das Influencing der anderen in Instagram und Konsorten scrollt, sieht die Zeit durch die Finger rinnen und hat vielleicht noch nicht gemerkt, dass das auch an der Werbung plus Algorithmen der Plattformen liegt. Die sind so gemacht, dass du dort mehr Zeit verbringst, weil du dann mehr Werbung siehst und Werbung ihre Einnahmequelle ist. Es sollte nicht heißen „Instagram geht schneller als Personal Blogging, weil die Formate kurz und gut konsumierbar sind“, sondern es müsste heißen „Ich denke Instagram geht schneller als Personal Blogging, weil ich dort eh schon so viel Zeit verbringe“ – ein Trugschluss.

Neben der kognitiven Dissonanz ist POSSE aber v.A. auch deswegen nicht einfacher geworden, weil wirklich gute Cross-Poster fehlen. Oder kennt ihr welche? Durch das Versiegeln der Twitter-API sind einige gestorben. Noch kann man beispielsweise auch auf Bluesky nichts schedulen – eine Funktion, die ich mir hart wünsche. Hinzu kommt, dass durch die Verweildauer auf sozialen Netzen viele auch gar nicht mehr im Blog kommentieren, sondern dann in den Netzen. Das ist zwar nicht mehr so wirklich im Sinne von POSSE, weil man ja möchte, dass sich das Leben auf der eigenen Seite abspielt, aber zumindest findet die Interaktion statt. Und ehrlich: es ist auch langweilig, wenn auf dein Link Sharing hin nix passiert auf all den Plattformen. 😥 Schwieriger und „mehr schade“ ist dann, wenn beispielsweise über Feed-Reader o.Ä. konsumiert wird, wo dann weder der Ping zu deinem Blog ausbleibt, noch die Möglichkeit zu kommentieren. Ich bin ein Fan von Rechtsklick „Link in einem Tab öffnen“ 😉.

Bis sich alle/mehr Leute einige werden, dass POSSE toll ist, gibt es einige Dinge, auf die man mal achten kann. 1. responsive design ist umso wichtiger. So viele verschiedene Geräte betrachten deinen Blog oder deine Webseite – mach, dass sie zugänglich und barrierefrei ist. 2. Ein bisschen Verweildauer ohne Werbung und Algorithmen, die bestimmen, was du siehst, kann ziemlich wohltuend sein. Das habe ich neulich wieder gelernt als ich bei Instagram alle Profile als Favorit markiert habe, die ich wirklich sehen will und nicht möchte, dass der Algorithmus sie mir vorenthält. Aus Gründen, die ich nicht kenne. Dafür muss sensibilisiert werden. Das Fediverse bietet eine Menge Tools, die ganz andere Ansätze haben, weil sie eben auch kein Geld verdienen wollen. POSSE hat damit ganz am Ende der Kette die Chance uns Kontrolle zurückzugeben über das, was wir wirklich sehen und lesen wollen.

Natürlich muss man (so wie immer) trennen, wofür man denn eigentlich gedenkt zu veröffentlichen. Ich habe auch Profile auf Netzwerken, in denen ich teilweise eine ganz andere Linie fahre. Manche sind privater und deswegen auch nicht für das „syndicate“ in POSSE (Link zum Blog teilen) gedacht. Andere wie „Bluesky“ und mein „Masto“-Profil dagegen schon. Trotzdem würde ich es begrüßen, wenn POSSE ein Ding wird und Blogs wieder cool.

Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂

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