Brace for Impact – die nachfolgenden Hörbücher und ich haben nicht zusammen funktioniert. 😥 Während ich an beide mit Enthusiasmus herantrat, war der bald erschöpft. „Silver Nitrate“ habe ich noch ertragen, „Einsteins Hirn“ musste ich aber irgendwann mit höherer Geschwindigkeit hören, um vielleicht mal zum Ende zu kommen.
„Einsteins Hirn“ Franzobel
Der österreichische Autor Franzobel widmet sich der wahren Geschichte Thomas Harveys. Des Mannes, der Einsteins Gehirn gestohlen hat. In der Handlung versucht er zu ergründen, warum Harvey das getan hat und das konservierte Hirn 40 Jahre lang in einem Einmachglas in seinem Keller stehen ließ. Vordergründig gibt Harvey an, das Gehirn sezieren und untersuchen zu wollen, ob sich Genialität am Organ abzeichnet. Damit überzeugt er alle hinreichend, damit sie ihm die Prokrastination immer wieder durchgehen lassen. Hehre Ziele und so.
Eigentlich versucht Thomas damit aber sein Geltungsbedürfnis zu befriedigen. Er hat nie verkraftet, nicht als Arzt zugelassen zu werden, wodurch er schließlich Pathologe wurde. Irgendwann beginnt das Hirn mit ihm zu sprechen und wirbelt Harveys Leben einigermaßen durcheinander. Hinterfragt seine Beziehungen und seinen Glauben. Harvey versucht wiederum (erfolglos) das Hirn davon zu überzeugen, dass es Gott gibt. Ein Widerstreit mit Hirn.
Das Hörbuch hat gewaltig an meinen Nerven gezerrt. Zwar spricht David Nathan es gewohnt gut ein und brilliert auch im Schweizerdeutsch, welches das Hirn anfangs spricht, doch habe ich scheinbar ein paar David Nathan Hörbücher zu viel gehört. Wertungsfrei. Klar. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass die Handlung immer länger wird, weil ich nicht in die Geschichte gefunden habe. Es ist schwer zu entziffern, wo die Handlung hin will oder ob die Handlung noch irgendwo hin will. Von Anfang an konfrontiert sie uns mit zwei unzuverlässigen Erzählern. Mit dem tatsächlichen Erzähler, der sich als Thomas Harveys persönlicher Engel vorstellt und natürlich Thomas Harvey selber.
Harvey ist der Inbegriff der Selbsttäuschung. Er zieht oberflächlich in Erwägung, dass das Hirn nicht wirklich zu ihm spricht. Geht zu einem Exorzisten und auch zur Therapie, aber letzten Endes zieht er all das nicht wirklich durch, klammert sich immer wieder an das Hirn. Das spricht (nicht ganz zufällig) Harveys Sehnsüchte aus. Als das Hirn eine Frau verlangt, geht Harvey eine Affäre ein. Es ist sehr schmerzhaft zu sehen wie Harvey immer und immer wieder v.A. die Frauen seiner Umgebung ruiniert und diesen Kreislauf selbst nicht bemerkt. Durch dieses sich wiederholende unsympathische und zermürbende Spiel in dessen Mitte Sturheit und mangelnde Selbstwahrnehmung steht, hat mir das Buch unheimlich wenig Spaß gemacht.
Dabei hat Franzobel schon einige Kunstgriffe, die man bis in die Ewigkeit sezieren könnte. Kann Thomas Harvey wirklich die sehr spezifischen Einstein-Fakten kennen, die das „Hirn“ von sich gibt? Spricht es vielleicht doch zu ihm? Er könnte auch Literatur über Einstein gelesen haben. Der andere unzuverlässige Erzähler ist die Erzählstimme – Harveys „Engel“. Der gab sich als Geheimagent aus und landete irgendwie in einer Nervenheilanstalt, zufälligerweise einer in der im Laufe der Geschichte auch Harvey beginnt zu arbeiten. Ist er eigentlich psychotisch und redet sich ein, dass er ein Engel ist? Es spricht dagegen, dass er die Geschichte erzählt und selbst Harveys Gedanken kennt. Oder: er hat sich alles nur ausgedacht?
So oder so ist es faszinierend, weil er der Beweis wäre, den Harvey für das Hirn braucht, dass es Gott gibt oder andere, höhere Kräfte, die im Universum wirken. Dann aber wiederum: warum entkommt er nicht aus der Nervenheilanstalt, so als Engel? Letzten Endes: Franzobel hat einige Kunstgriffe angewendet, die das Buch diskutierenswert machen, aber auch Antworten verweigern. Zudem verfolgt man durch Harveys Roadtrip mit Hirn die amerikanische Geschichte über vierzig Jahre lang. Die unsympathischen Charaktere und deren engstirnige Ansichten (Mysogynie, Fatshaming, …) machen es sehr schwer das ganze 17h (so die Hörbuch-Spieldauer) zu ertragen, egal wie interessant konstruiert.
Lübbe Audio, gesprochen von David Nathan, Hörprobe bei Lübbe Audio oder auf Youtube u.a. auf dem Kanal von Lismio
„Silver Nitrate“ Silvia Moreno-Garcia
Montserrat arbeitet im Mexico City der 90er Jahre als Sound Editor und liebt Horrorfilme. Die Filmbranche hingegen ist ein Herrenclub, in dem sie Sexismus und Abschätzigkeit ausgesetzt ist. Türen bleiben ihr verschlossen. Ähnliches erlebt ihr bester Freund der vor dem Auge der Öffentlichkeit in Ungnade gefallene Schauspieler Tristán. Der bemerkt eines Tages, dass sein zurückgezogen lebender Nachbar niemand geringeres ist als der Regisseur Abel Urueta – bekannt für seine Horrorfilme mit Kultstatus. Natürlich will Montserrat ihn kennenlernen. Urueta erzählt ihnen von einem okkulten Film, der die Möglichkeit hat ihr Leben zu ändern – nur leider ist die Audiospur verloren gegangen. Um ihn fertig zu stellen, bittet er Montserrat und Tristán um Hilfe. Einmalige Chance oder esoterischer Schwindel?
Vorweg: Montserrat is my kind of girl. Ich mochte ihre toughe No-Bullshit-Attitüde, mit der sie die Männer in ihrem Leben in die Schranken weist. Das betrifft sowohl ihren übergriffigen Chef wie ihren v.A. anfangs eher unzuverlässigen Kindheitsfreund Tristán. Ich mag die diversen Charakterzeichnungen von Silvia Moreno-Garcia, die beide Charaktere als bisexuell anlegt und ihre Herausforderungen gegenüber der damaligen Gesellschaft herausstellt. Da die Handlung in der Film- und Fernseh-Industrie spielt, werden viele Filmklassiker genannt. Natürlich insbesondere Horrorfilme, aber auch andere Trends wie (sehr zu meiner Freude 😀) die Anime-Erfolgswelle auf dem spanischsprachigen Markt der 90er Jahre. Es war eine große Sache, viel größer als wohl hierzulande. Man lernt auch einige spannende Dinge über Film. Bis sich aber die Handlung um den okkulten Film aufbaut, vergeht jede Menge Zeit. Der Horror kommt spät und spärlich zugunsten viel Erklärerei rund um die Charaktere, wie sie aufwuchsen, ihre Motivation, ihr Liebesleben, etc. Am Ende geht leider alles sehr schnell und die aufgebauten Horrormotive werden zugunsten Zauberei und eher fantasylastigen Motiven aufgegeben. Ach Mensch. Hätte auch my kind of book werden können, wurde es aber nicht.
Jo Fletcher Books, gesprochen von Gisela Chípe, Hörprobe u.a. auf Youtube auf dem Kanal von Google Play Books
Was habe ich daraus gelernt? Weiß ich noch nicht. Da ich nun mit „Silver Nitrate“ bereits mit dem zweiten Roman Silvia Moreno-Garcia nicht ganz warm wurde, muss ich wohl einsehen, dass ich nicht die Zielgruppe ihrer Romane bin. Dabei will ich Moreno-Garcia auf keinen Fall Talent absprechen. Natürlich kann sie schreiben! Vor Allem gefallen mir die Ideen ihrer Gothic Horror Novels. Aber sie richten sich deutlich mehr an Lesende, die ihren Horror gern mit wenig Horror und viel Charakter-Reise haben. (Mit Betonung auf „viel“.) Franzobel habe ich sicherlich nicht das letzte Mal gelesen. Aber ich wäre sehr dankbar, falls jemand Lust bekommt, das Buch mit mir zu diskutieren. BTW … Bei diesem Beitrag handelt es sich nicht um bezahlte oder beauftragte Werbung.
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