Wenn ich der Meinung bin, dass ein Absatz über das Buch reicht, dann hat es mir mit großer Wahrscheinlichkeit nicht so gut gefallen. Aber keine Bange – es war bei Weitem nicht so ein schlimmes Erlebnis wie mit den Büchern aus der letzten Ausgabe (Stichwort Sachbuch/Selbstverwirklichung). Ich bin einfach mit dem Krimi „64“ und dem Drama „Greek Lessons“ nicht warm geworden. Bei ersterem wegen ganz anderer Erwartungen und bei letzterem weil … weiß ich auch nicht!
Hideo Yokoyama „64“
Liest man, dass ein Buch mit dem Deutschen Krimi-Preis ausgezeichnet wurde, dann hat man eben doch bestimmte Erwartungen. V.A. hatte ich die Erwartung einen Krimi zu lesen. Was das betrifft ist 64 eher untypisch und wird daher gerade deswegen polarisieren, anziehen oder abstoßen. Der Roman beginnt mit Yoshinobu Mikami, dessen Tochter seit Kurzem verschwunden ist und der die Leiche eines Mädchens im Teenageraltern identifizieren soll. Ein Albtraum, aber wie sich herausstellt nicht seiner – es ist nicht sein Kind.
Mikami selber ist Pressesprecher eines kleinen Polizeireviers und wird darüber hinaus auch noch durch ein trauriges Jubiläum getriggert. Der Fall eines vermissten Mädchens aus dem Jahr 1989 soll nochmal pressewirksam aufgearbeitet werden. Während Mikami sich also mit verschwundenen Mädchen in der Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzt, erleben wir an seinem Beispiel das Ränkespiel innerhalb der Polizei und allerlei politische Machtspiele zwischen Revieren, Würdenträgern und der Zeitung. Denn ein integraler Bestandteil des Buches ist der Presseclubs bzw. der Kisha. D.h. das Vertreter:innen der gängigen Zeitungen dazu eingeladen werden exklusive Nachrichten zu erhalten und die Möglichkeit haben Fragen zu stellen. Was dann aber meist so aussieht, dass die entsprechenden Gremien (Politik, Polizei, etc.) sehr stark filtern, was sie herausgeben und auf Fragen sehr abweisend reagieren. Hitzig kann es trotzdem werden. Mikami ist nun der Spielball in diesem Szenario und sowohl seine delikate Rolle als Pressechef als auch das Ränkespiel sind der eigentliche Krimi. Ich hatte erwartet, dass der Roman deutlich mehr von den verschwunden Mädchen handeln würde, das dort aktiv ermittelt wird (was nur verschwind gering passiert) und das beide Fälle sogar verbunden wären. Überraschend und sehr cool ist das Ende. Bis dahin muss man sich aber durch 600 Seiten innerpolizeiliche Machtspiele schleppen. Waren das jetzt zwei Absätze? Ja, waren es… .
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-03882-108-3, Atrium Verlag
Han Kang „Greek Lessons“ (engl. Ausgabe)
Han Kang ist eine sichere Bank, dachte ich. Mit Greek Lessons aber hatte ich eine schwere Zeit. Das Buch handelt von zwei Personen, die sich verstehen und eine Verbindung zueinander eingehen, obwohl sie kaum miteinander kommunizieren können: Eine Frau, die in Südkorea einen Griechisch-Kurs besucht und ihr Griechisch-Lehrer. Er verliert schleichend sein Augenlicht, sie spricht nicht. Aus diesem Grund können beide schwer mit anderen eine Beziehung aufbauen, aber nach und nach entdecken sie ineinander „verwandte Seelen“. Vielleicht auch, weil sie Wunden tragen, die nur von jemandem erkannt werden, der auch Wunden der Seele kennt. Es gibt keinen physischen, sondern wenn dann überhaupt psychische Gründe, aus denen sie nicht spricht. Wohingegen er immer weniger sehen kann, aber stets auf eine Beziehung in seiner Vergangenheit blickt. Klingt eigentlich total faszinierend, oder? Verletzlich und zart? Ist es auch. Nur ist es sehr abstrakt geschrieben. Da der Griechisch-Unterricht nebenher eine Rolle spielt, gibt es auch kleine Exkurse und es wurde aus mehreren Sprachen übersetzt. Hut ab für die Übersetzer:innen Deborah Smith und Emily Yae Won. Aber die Ausführungen über die griechische Sprache funktionieren vielleicht besser, wenn man schon etwas Griechisch kann, obwohl das meiste erklärt und übersetzt ist. Auch insgesamt ist das Buch sehr verwirrend zu lesen. Es braucht ein wenig bis man versteht, zu wem die Erzählstimmen gehören. Die Kapitel wechseln sich ab – sind mal aus seiner, mal aus ihrer Perspektive geschrieben. Da aber nicht mit Namen gearbeitet wird und er auch mal ein Kapitel lang über Jorge Luis Borges referiert, weiß man schlichtweg einfach bis zum zweiten Drittel des ohnehin kurzen Buches nicht, wer wer ist. Die Verletzlichkeit der Protagonisten hat mich aber sehr berührt, obwohl es eben nicht das zugänglichste Buch ist.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-0-241-60027-6, Penguin
Header image/photo credit: Janko Ferlič
Es hat übrigens nicht geholfen „Greek Lessons“ letztes Jahr im Griechenland-Urlaub zu lesen. Erst jetzt fällt mir eine schöne Gemeinsamkeit auf – dass beide Bücher von asiatischen Autor:innen sind. 😊 Weil ich viele begeisterte Stimmen zu „64“ gehört und ich mich über das Geschenk gefreut habe, war es so überraschend, dass das Buch dann inhaltlich so ganz anders war als ich erwartet hatte. Welche Gefühle habt ihr über die Bücher? Inzwischen ist Han Kangs Roman auch auf Deutsch unter dem Titel „Griechischstunden“ beim Aufbau Verlag erschienen. Hier geht es übrigens zu allen anderen Literarischen Fundstücken.
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