ausgelesen: Rebecca F. Kuang „Yellowface“

Der Farbschnitt in der ersten Auflage ist leider an mir vorbei gegangen. Der Eichborn Verlag hat hier dem durch „BookTok“ inspirierten Trend nachgegeben und die erste Auflage der deutschen Übersetzung von Rebecca F. Kuangs Yellowface eine solche spendiert. Farbschnitte mögen wieder die Debatte um Buchgestaltung anheizen, was ich schätze, aber auch davor warnen würde es als Kaufargument oder Qualitätsmerkmal zu sehen. Dass sich hier aber ein durch Social Media beförderter Trend durchsetzt, passt gut zu Yellowface.

Der Roman handelt von June Hayward, einer mittelmäßig erfolgreichen Autorin. Sie hat das Gefühl im Schatten einer Lichtgestalt an ihrer Seite dahinzuwelken. Ihre Freundin Athena Liu ist auch Autorin und so erfolgreich, dass ihre Leben nicht vergleichbar scheinen. Als Athena infolge eines Unfalls ums Leben kommt, stiehlt June kurzerhand deren noch unveröffentlichtes Manuskript und bietet es unter ihrem Namen Verlagen an. „Das nächste große Ding“, an dem Athena arbeitete ist nur eben eines das sich mit chinesischer Geschichte auseinandersetzt. Etwas, wozu Athena schon allein dadurch eine Verbindung hat, dass sie und ihre Familie einst aus China einwanderten. Obwohl es niemand so direkt sagt, wird June ein Pseudonym verschafft, dass den Eindruck erwecken könnte, dass sie selber eine Verbindung zu Asien hat: Juniper Song. Als aber Social Media Nutzende beginnen Zweifel an „Juniper Songs“ Authentizität zu hegen, scheint sich eine Schlinge um Junes Hals zu legen.

Yellowface vereint unheimlich viele Aspekte in scheinbar müheloser Fasson. Zum Einen ist da das reine Geschäft des Buchmarktes und der Verlagsszene, das sich mit großen Summen auf aussichtsreiche Bestseller wirft, aber kleinere Fische verhungern lässt. Wie Juniper Song inszeniert wird, ist schon fast perfide. Allerdings spielt June das Spiel auch bereitwillig mit. Fakt ist: Yellowface ist nicht das Buch der sympathischen Hauptcharaktere. Weder June, noch Athena sind besonders charmant. Hierbei lernen wir Athena natürlich nur durch die Augen anderer kennen. June hingegen ist eine sehr verblendete Person wie wir aus erster Hand mitbekommen. Sie scheint für das Schreiben zu brennen, verkennt aber, dass Ruhm ihr offenbar noch wichtiger ist. Sie kann die Finger weder von Athena Lius Skript, noch von Social Media lassen und schaufelt sich selber ein Grab. Auch mit Aktionen wie dem Juniper Song-Bullshit. Ich habe mir in das Buch immer dann ein Fähnchen geklebt, wenn June sich selbst belügt. (p. 49 „Und vielleicht hätte Athena es sogar so gewollt“, S. 78 „Ich habe nie gelogen“, S.176 „Ich bin das Opfer“) Nachdem ich Unmengen Fähnchen im Buch hatte, verlor ich schnell die Lust. Somit ist es auch ein Paradebeispiel für Selbstbetrug. Das wiederum macht June auch auf unbequeme Weise nahbar. Wer hat nicht schon Neid empfunden? Oder sich dabei ertappt, dass man besser als das sein könnte?

„Neid wird immer als dieses spitze, grüne, giftige Ding beschrieben. Unbegründet, essigsauer, gemein. Aber ich habe festgestellt, dass sich Neid für Autor:innen eher anfühlt wie Angst. Neid ist mein rasender Herzschlag, wenn ich Neuigkeiten über Athenas Erfolg auf Twitter sehe – […] Neid bedeutet, mich ständig mit ihr zu vergleichen und dabei schlecht wegzukommen; Panik, dass ich nicht gut genug oder schnell genug schreibe, dass ich nicht gut genug bin und es nie sein werde.“

p. 16

Nicht zu vernachlässigen ist da aber auch die Rolle von Social Media. Auch wenn ich June nicht mag und sie für ihre Taten verachte, schaukelt sich Social Media in ein immenses Schauspiel hoch. Menschen verkennen häufig Tweets mit Fakten. So wird June auch sehr bald öffentlich angefeindet und erhält sogar Morddrohungen. Da es aber Social Medias Strategie ist uns abhängig zu machen, kann auch sie nur schwer das Handy weglegen. Yellowface prangert den Umgang mit Social Media an, aber auch die, die als gesichtsloser Troll dort Hetze verbreiten. Morddrohungen? Wegen eines Buches? Wo steckt darin die Menschlichkeit? Was ist noch angemessen, wo scheinbar jede:r Richter:in sein kann?

R.F. Kuang brilliert aber auch in der Frage, ob June sich wirklich des Yellowfacings schuldig macht, also des Aneignens und Karikierens einer asiatischen Person inklusive der Verbreitung von Stereotypen. Tatsächlich weint June schon eine Menge White Tears – anders kann man es nicht sagen. Durch sie als Ich-Erzählerin erfahren wir, dass sie das Buch umgeschrieben hat. Inklusive des Reinzimmerns von weiße-Leute-Kitsch. So entwarf sie beispielsweise „nettere“ weiße Charaktere, damit die nicht zu schlecht wegkommen. Da platzt einem beim Lesen schon fast die Hutschnur – wie kann man so ignoriert, aber auch so unklug sein? Trotzdem zeigt der Roman auch viele Aspekte auf, die ebenso einen Funken Wahrheit haben. Bedeutet Authentizität, dass ich als weiße Frau nur ein Buch aus Sicht einer weißen Frau schreiben dürfte? Schränkt sich damit die Kunst nicht selber sehr stark ein? Ist das überhaupt realistisch oder würde es nicht viel mehr die Wahrnehmung oder Reichweite einschränken? Würden uns dann Stoffe mit diversen Lebensrealitäten überhaupt noch erreichen? Ist es nicht die Sünde der Vergangenheit, dass viel zu viel Fokus auf Menschen mit gleichen Eigenschaften lag?

Schaut man sich die Biografie R.F. Kuangs an, dann scheint sie die Blaupause für diese enorm erfolgreiche Athena Liu gewesen zu sein. Schließlich hat Kuang mit ihren aktuell 28 Jahren einen Wahnsinns-Output und gerade wieder drei Optionen auf künftige Buchprojekte im Gespräch. In unserem Buchclub wurde inspiriert durch eine Goodreads Review auch diskutiert, ob R.F. Kuang selber sich der Aneignung schuldig gemacht hat, weil sie eine weiße Frau als Protagonistin gewählt hat. Ich finde viel mehr, dass das ihr kluger Schachzug ist. Sie hält uns den Spiegel vor und sagt einerseits „Ich kann das auch. Na wie gefällt euch das?“, fragt aber andererseits wie gut die öffentliche Debatte um Authentizität wirklich geführt wird.

Was Yellowface bei all den Themen so gut und so spannend macht ist gerade eben die Frage, ob June auffliegt. Auf dieser Reise hat June bzw. Juniper aber einige Etappen. Welche in denen sie einen Höhenflug hat, aber auch welche in denen sie sich wortwörtlich von Athenas Geist verfolgt fühlt. Yellowface mag schwer in Schubladen zu Stecken sein, aber ja, es fühlte sich für mich am ehesten wie ein Thriller an. Es hat aber auch viele Facetten und einige davon scheinen fast episodisch abgeschlossen, sodass ich oft dachte: „Was soll da jetzt noch kommen?“ Tatsächlich hätte ich nur auf die letzte Etappe verzichten können. Obwohl das etwas unwirsch und manchmal antiklimaktisch wirkt, hat mich Yellowface sehr gut unterhalten und zum Nachdenken gebracht. Da kann ich sogar die kurze „Ich habe einen HTML-Kurs belegt“-Eskapade verschmerzen, die in einem eher unrealistischen Gespräch über IT und dem Tracken von Menschen im Internet mündet.

Was ich in Yellowface sehr angenehm empfand: die teilweise unsichtbare, teilweise sichtbare genderneutrale Sprache mit „:“ (z.B. Autor:in). Sehr geschmackvoll eingesetzt. Auch war es ein schöner Kniff, dass sich unter dem Einband das Cover des Buches befindet, dass June/Juniper Athena gestohlen hat. Zusammen mit dem Farbschnitt sind das natürlich einige Spielereien. Ich persönlich bräuchte nicht beides. Wertungsfrei empfinde ich den Gebrauch von Twitter und dem blauen Haken innerhalb des Romans. Nach der Übernahme durch Elon Musk und der Umbenennung von Twitter zu X hat auch der blaue Haken nicht mehr die Bedeutung, die er früher hatte und man sieht leider, dass zeitgenössische Trends in Büchern oft schlecht altern.

Übrigens dachte ich immer, dass mein erstes Buch von R.F. Kuang Babel sein würde. Da war aber der Buchclub schneller und wünschte sich Yellowface als unser Sommer-Buch, was auch ausgiebig viel Diskussionsstoff bot. Wenn ihr selber auch einen Buchclub habt, spendiere ich mal unter dem Absatz zum Ausklappen ein paar der Fragen, die ich zum diskutieren ganz wertvoll fand. Alternativ auch einfach zum selber nachdenken oder in den Kommentaren diskutieren. 😉

Anreize, um „Yellowface“ zu diskutieren

– Muss man Werk und Autor:in trennen (können)? Allgemein und auch hier?
– Ist das Buch nur spannend, wenn man selber Schreibambitionen hat oder sich für den literarischen Betrieb interessiert?
– Wie liest sich das, wenn man mit Social Media nicht gut kann?
– „Mochtet“ ihr die Hauptfiguren?

Fazit

Zeitgeistiger Buchbranchen-Thriller mit vielen Denkanstößen

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-8479-0162-4, Eichborn Verlag

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

2 Antworten

  1. Steht noch in meinem Regal ungelesener Bücher… neben ihrem Roman „Babel“

  2. Babel fand ich mega und Yellowface steht auch auf meiner Liste – schöne Besprechung, macht mir viel Lust drauf. Liebe Grüße, Sabine 🙂

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