Acimans Buch Call Me By Your Name und die Verfilmung haben es mir schwer angetan. Das Buch wohl noch einen Ticken mehr als der Film. Natürlich seufzt man innerlich, wenn man erfährt, dass es eine Fortsetzung gibt. Aber sowohl mein digitaler Bekanntenkreis als auch die Goodreads-Leserschaft, mein Gott, das ganze Internet, ist darüber zerrissen. Und tatsächlich ist es jetzt auch nicht die beste Werbung, wenn man im Klappentext einer Fortsetzung nur Lobeshymnen für den ersten Teil liest. Nach der Lektüre ist aber eine Sache noch klarer. 🔥 Und alles was ab hier folgt ist ein Spoiler für das Ende von Call Me By Your Name. 🔥 Lasst uns über den Elefanten im Raum sprechen. Bringen wir es gleich hinter uns. Kommst du zu dem Buch, weil du dir wünschst kleinteiligst zu erfahren wie Elio und Oliver vielleicht doch wieder zusammenkommen, dann ist das nicht dein Buch.
„When I come to be here, I can be alone or with people, with you for instance, but I am always with him. If I stood for an hour staring at this wall, I’d be with him for an hour. If I spoke to this wall, it would speak back.“ (p.114)
Viel mehr ist es eine Geschichte in vier Akten darüber wie man zweite, ja vielleicht sogar dritte oder n-te Chancen im Leben bekommt, um das Glück zu finden. Acimans Roman besteht aus vier Abschnitten. Der erste und längste handelt von Elios Vater und spielt einige Zeit nach dem Sommer aus Call Me By Your Name. Er tritt eine Zugreise an, um Elio zu treffen und kommt dort in das Gespräch mit einer schönen, jüngeren Frau. Sie macht ihn neugierig, beide tänzeln umeinander umher und irgendwann steht die Frage im Raum, ob aus diesem zufälligen Treffen mehr werden kann? So ganz nebenbei erfährt man einige wenige Details wie es Elio ergangen ist, bevor wir im zweiten Abschnitt zu ihm wechseln und zu einer Zufallsbekanntschaft, die er macht und die ebenso ein Versprechen auf mehr ist. Hat er Oliver aber jemals vergessen? Im dritten Teil geht es dann um genau den, der auch einen neuen Lebensabschnitt beginnt und auf seine Zeit mit Elio zurückblickt. Ein Wiedersehen der Beiden gibt es im vierten Kapitel. Welcher Natur das ist, soll aber nicht verraten werden.
Dass ich eingangs urteilte, dass man mit dem Buch nicht glücklich wird, wenn man nur für Elio und Oliver kommt, meine ich auch so. Ich war gewarnt durch die eine oder andere Review, die ich schon vor Jahren las. Daher ging ich milde an das Buch ran. Wollte mich überraschen lassen. Es atmet viel von dem Charme Call Me By Your Names. Aciman findet eine wunderschöne, poetische Sprache, die einen nahezu verliebt in jede dieser Beziehungen macht und ein bisschen mit ihrem „trunken vor Glück“ ansteckt. Aber auch mit der Reflektion über die Windungen und Wendungen im Leben. Genauer wie uns Beziehungen prägen, auseinandergehen und Teile davon nachhallen. Zwischen den Zeilen gibt es wie im Leben der Figuren den unausgesprochenen Wunsch jemand möchte sie „finden“ – egal, ob eine wichtige Person aus der Vergangenheit oder jemand, der oder die noch kommt. Find Me dafür zu lesen, kann glücklich machen.
„Look for me, find me.“ (p.114)
„Find someone.“ (p.179)
„I am gone, but please find me, play for me.“ (p.209)
Wer für Elio und Oliver kommt und erstmal ein längliches erstes Kapitel über seinen Vater und ein zweites über Elio und einen anderen Mann liest, kann dies als unwillkommen ansehen. Ein Umstand, der sicherlich für die eine oder andere negative Besprechung sorgt. Ein Impuls, den ich verstehen kann. Obwohl ich glücklicherweise mit einer anderen Erwartungshaltung an den Roman ranging, wurde es auch nicht mein Roman. Das liegt hauptsächlich daran, dass ich den Eindruck hatte hier einen Qualitätsabfall der Kapitel zu beobachten. Entweder das oder Aciman gab jedem Abschnitt eine signifikant andere Erzählstimme, die beabsichtigt war und die ich nicht als solche erkenne.
Während die ersten beiden Kapitel die längsten, poetischsten und sinnlichsten sind, kommen Abschnitt drei und vier sehr kurz. In Olis Kapitel (das dritte) wusste ich stellenweise gar nicht, wo und wann wir uns befinden, was in denen davor immer dezent fallen gelassen wurde. Mit etwas Fantasie könnte es gar im Stream of Consciousness geschrieben sein – aber ist das eine klassische Erzählstimme Olivers? Das vierte trägt zwar den ansonsten passenden Titel „Da Capo“, wirkt aber kurz und gehetzt. Es könnte dem Titel nach die Schlussfolgerung aus allem sein, was sich zuvor abspielte. In den Kapiteln eins bis drei wird locker ein Zeitabschnitt von rund zehn Jahren anhand dreier entscheidender Momente im Leben der Erzähler aufgegriffen. Das letzte Kapitel muss dann aber mit elf Seiten auskommen. Das lässt leider alles vermissen, was Call Me By Your Name war und womit die ersten beiden Kapitel weitergemacht haben. Es könnte ein Kunstgriff sein, der allen sich voller Erwartung verzehrenden Leser:innen sagt „Nein, so ist das nicht im Leben und deswegen gibt es jetzt auch nicht den klassischen Wiedersehenskitsch“. Nur wäre der Wert und die Schönheit dessen leichter erkennbar, wenn Aciman sein Talent, seine Poesie, seine wunderbare Sprache und Ausdauer bis zum Schluss behalten hätte.
„None of us may want to claim to live life in two parallel lanes but all have many lives, on tucked beneath or right alongside the other. Some lives wait their turn because they haven’t been lived at all, while others die before they’ve lived out their time, and some are waiting to be relived, because they haven’t been lived enough.“ (p.45 ff.)
Fazit
Kann als Geschichte über spätes Glück und zweite oder dritte Chancen im Leben überzeugen, wirkt aber insgesamt unrund.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-0-571-35649-2, Faber & Faber
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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