Wenn ich der Meinung bin, dass ein Absatz über das Buch reicht, dann hat es mir entweder nicht so gut gefallen oder es gibt wirklich nicht viel dazu zu sagen. Heute sind wir bei beidem – einmal hat mir das Buch nicht gefallen und einmal gibt es wenig dazu zu sagen, weil eh alles ein Spoiler wäre. 😉 Außerdem sind beides Bücher der japanischen Autorin Sayaka Murata. Ich bespreche spoilerfrei „Die Ladenhüterin“ und „Das Seidenraupenzimmer“.
Sayaka Murata „Die Ladenhüterin“
„Mein erster Tag im Konbini war mein Geburtstag als normales Mitglied der Gesellschaft.“ (p.22)
Keiko Furukura arbeitet als Aushilfe in einem Konbini (japanischer 24h-Supermarkt). In ihrer Kindheit hat sie mit ihrer über-pragmatischen Art und dem Brechen sozialer Normen oft angeeckt. Der Konbini ist ein Safe Space für sie wegen der hier herrschenden, klaren Regeln. Dort kommt sie klar und darüber hinaus erlaubt ihr die Arbeit dort das Bild „eines funktionierenden Mitglieds der Gesellschaft“ aufrecht zu erhalten. Doch desto älter sie wird, desto mehr häufen sich die Fragen, ob sie nicht nach einer Festanstellung strebt? Und was ist mit Mann, Kind, Haus, Garten? Als mit Shiraha ein ebenso eher den Normen unangepasster Kollege im Konbini anfängt (und fast sofort gefeuert wird), fasst Keiko den Plan Shiraha bei sich wohnen zu lassen und den Anschein einer Paarbeziehung zu wahren, um Ruhe zu haben. Ein faszinierender Gedanken in der Theorie. Tatsächlich erwartungsgemäß schwierig in der Praxis umzusetzen, da Shiraha sehr sicher ein Incel ist und vermittelt Frauen als Gesamtheit würden ihm etwas schulden. Er beginnt Keiko zu kontrollieren und liegt selber auf der faulen Haut. Abgesehen davon empfand ich es als spannend wie Keiko versucht Passing durch das Spiegeln von Verhalten Anderer zu erreichen. Ich denke, dass es nicht nur ein japanisches Problem ist, dass Menschen in den Augen der Masse oft bestimmten Normen genügen sollen. Aber scheinbar wird Individualität dort viel härter bestraft. Neben der Wahl eines solch ätzenden Typens als „Pseudo-Partner“ hat mich aber zunehmend von Keiko befremdet, was für gewalttätige Tendenzen in ihrem Kopf kreisen (Stichwort „Baby“ und „Messer“), die tatsächlich nicht nur was mit Freiheit von Normen zutun haben. Am Ende fehlt es meines Erachtens nach an einer Pointe.
Besprochene Ausgabe (deutsch): ISBN 978-3-7466-3606-1, Aufbau Verlag
Besprochene Ausgabe (englisch „Convenience Store Woman“): ISBN 978-1-84627-684-2, Granta
Sayaka Murata „Das Seidenraupenzimmer“
Zu Das Seidenraupenzimmer gibt es eigentlich eine ganze Menge zu sagen, wofür ein Absatz definitiv nicht reicht. Dafür müsste ich allerdings auch spoilern. Zumindest kann ich die Trigger-Warnings hierlassen: Kindesmissbrauch, körperliche und seelische Gewalt, Mord, Inzest, Kannibalismus. Das Seidenraupenzimmer ist ein Sammelsurium an Triggern und Abscheulichkeiten – natürlich nicht ohne Grund. Der Roman handelt von Natsuki, die mit nur elf Jahren schon ihre Mitmenschen auf die schlimmstmögliche Weise erlebt. Ihre Mutter und größere Schwester missbrauchen sie psychisch und unterdrücken sie. Außerdem wird sie Ziel eines Pädophilen. Ihre Hilferufe bleiben ungehört. Sie findet lediglich Gehör bei ihrem Cousin Yu, der vorgibt ein Außerirdischer zu sein. Ebenso redet sie sich ein, dass sie ein Magical Girl wäre. All diese Mechanismen kumulieren als sich Natsuki, ihr labiler Ehemann und Yu viele Jahre später wiedersehen. Die Botschaft ist ganz klar: die Welt hat alle drei im Stich gelassen und sie fühlen sich darin fremd. Ihre Fantasien sind Überlebensmechanismen, die sich später gegenseitig befruchten und zu einer einzigen großen Psychose werden. Die andere Lesart ist, dass sich ihr Abspalten von der Gesellschaft wirklich darin äußert, dass sie eine höhere Lebensform geworden sind. Alles andere, ihre Mitmenschen und gesellschaftliche Normen, sehen sie als „Fabrik“, die nur will, dass sie sich konform verhalten, heiraten, Kinder bekommen und fleißig arbeiten. In seiner Doppeldeutigkeit ist Das Seidenraupenzimmer einerseits zwar genial, stößt mich aber dennoch stark ab. Es liegt daran, dass es wirklich keine einzige „gute“ Person gibt; keine einzige Hand, die ihnen zu Hilfe gereicht wird. So wirkt der Roman auf mich wie eine gewollte Farce und Zur-Schau-Stellung aller möglichen Trigger, die man sich so vorstellen kann.
„Wann werden wir leben können, ohne überleben zu müssen?“ (p.90)
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-7466-3859-1, Aufbau Verlag
Besprochene Ausgabe (englisch „Earthlings“): ISBN 9781783785698, Granta
Header image/photo credit: Janko Ferlič
Auf den Bildern sieht man jeweils die deutsche und englische Ausgabe, weil ich von einer Freundin die englischen geliehen bekommen habe. Während des Lesens aber realisierte ich, dass ich sie vielleicht gern behalten will und entschied mich für die deutsche Ausgabe, weil ich die Cover dort sehr schön finde. Ja, wirklich wahr. Dann las ich quasi Hälfte-Hälfte, mal Deutsch, mal Englisch. Ich kann zwischen beiden Ausgaben keinen Qualitätsunterschied feststellen. Vielen Dank nochmal fürs leihen, falls du das liest 😉
So konnte ich meine „Sayaka Murata“-förmige Wissenslücke schließen. Und eine Warnung über die Inhalte gab es schließlich auch dazu. Persönliche Empfehlungen sind schon was tolles. Ich habe gehört Blogs können das auch manchmal leisten. Ich bin nun offensichtlich nicht mit Muratas Büchern warm geworden. Für mich ist das Erzählen mit der Brechstange, aber einen gewissen Reiz haben die Romane sicherlich.
Hier geht es übrigens zu allen anderen Literarischen Fundstücken.
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