Lesen bildet. Ich wusste nicht, dass Selma Lagerlöf die erste Frau war, die den Literaturnobelpreis erhielt. Ich wusste auch nicht, dass Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen von ihr ist. Was sicherlich auch daran liegt, dass ich das Buch nie gelesen habe, obwohl alle Welt es zu kennen scheint. Was bin ich froh die Lagerlöf-Wissenslücke geschlossen zu haben – und das mit Weihnachtsgeschichten.
Ein Weihnachtsgast ist ein Kurzgeschichtenband Lagerlöfs, der von Hanna Granz übersetzt wurde und mit Illustrationen von Ulrike Möltgen bebildert ist. Der Band enthält sechs Kurzgeschichten, die allesamt an Weihnachten stattfinden. Sie handeln von christlichen Werten. Von Nächstenliebe, Dankbarkeit, Demut, Schuld und Sühne. Man kann mehr oder auch weniger christliche Bilder und Deutungen hineinlesen oder sich auch einfach so der Wärme und Wunder der Geschichten erfreuen, denn Kindheit und Familie sind auch Schlüsselmotive Lagerlöfs.
Heilige Nacht beinhaltet die Erinnerungen an eine geliebte und dahingeschiedene Großmutter, während die titelgebende Geschichte Ein Weihnachtsgast davon handelt, ob sich jemand eben diesem erbarmt und an Heiligabend aufnimmt. Es ist für mich eine der schönsten Geschichten in dem Band, wobei es auch aus heutiger Sicht einen doppelten Boden hat und sicherlich für interessanten Gesprächsstoff bei weihnachtlicher Kaffeerunde sorgen würde. Würdest du den Gast aufnehmen? Und würdest du den Gast auch „nur“ aufnehmen, wenn er sich so nützlich macht wie der im Buch?
Die Geschichte Der Traumpfannkuchen erinnert an den Mythos der Raunächte. Der Weihnachtsmorgen lässt eine Familie in Gedanken an Joseph, Maria und Jesus ihr Kind besonders fest umklammern. Trollmusik lässt einen Küster wieder Weihnachten genießen lernen und Die Legende von den Christrosen handelt von einem zauberhaften Garten in winterlicher Kälte.
„Als jedoch der Ruf des Laienbruders erscholl, brach ihr Gesang jäh ab und die himmlischen Gäste wandten sich zur Flucht. Und so wie sie flohen auch das Licht und die sanfte Wärme vor lauter Entsetzen über die Kälte und Finsternis in einem einzigen Menschenherzen.“
p. 105
Alle Geschichten sind nur wenige Seiten lang und schnell mal zwischen den Agenda-Punkten der Feierlichkeiten weggesnackt. Vor Allem sind sie alle eher aus der besinnlichen Kategorie. Hier bekommt so manch kritischer Küster und Würdenträger sein fett weg. Christliche Werte werden zwar zelebriert, aber zu viel Kälte und zu wenig Nächstenliebe (dankbarerweise) abgewatscht. Wer natürlich mit omnipräsenten christlichen Bräuchen seine liebe Müh und Not hat, wird etwas weniger Freude mit den Kurzgeschichten haben. Wer sich damit abfinden kann, wird mit schönen Weihnachtsmärchen in einer angenehmen Länge belohnt, die Erinnerungen an winterliches Rauschen, knirschenden Schnee und Weihnachtsbräuche wie sie früher waren channeln.
Fazit
Sehr schöne, kurze Weihnachtsmärchen mit einem leichten Überhang zu christlichen Motiven
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-458-19526-9, Insel Verlag
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. Der Beitrag ist außerdem Teil des Booleantskalenders 2024 🎄 – unter dem Link findet ihr die anderen geöffneten Türchen.
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