ausgelesen: Jane Austen „Verstand und Gefühl“

In schöner Regelmäßigkeit habe ich in den letzten Jahren mindestens ein Buch Jane Austens gelesen. Nun gehen sie mir langsam aus. Verstand und Gefühl markiert mein vorletztes, erstmaliges Austen-Lesen und ist die Vorlage zu einer meiner wohl liebsten Verfilmungen aus Austens Stoffen. Verstand und Gefühl wird darin von den Schwestern Elinor und Marianne Dashwood verkörpert. Beide, ihre kleinere Schwester und ihre Mutter müssen nach dem Tod des Vaters ihr Heim verlassen und umziehen. Sie sind quasi mittellos, da alles an dessen Sohn aus erster Ehe geht. Entwurzelt und aus ihrem sozialen Umfeld gerissen, stehen die beiden „jungen Frauen im heiratsfähigen Alter“ vor einem mehr oder weniger willkommenen Neuanfang.

Elinor lässt mit Edward Ferrars wahrscheinlich die Liebe ihres Lebens zurück und versucht das stillschweigend herunterzuschlucken. Ihr Verstand sagt ihr, dass sie eh wegen ihrer Mittellosigkeit nie die Zustimmung von Edwards Familie hätte. Marianne hingegen ist Gefühl pur. Sie verliebt sich schnell und mit ganzem Herzen und voll der Leidenschaft in den gutaussehenden Mr. Willoughby, kaum dass sie in der neuen Heimat angekommen sind. Trügt Verstand und Gefühl? Und kann Verstand ohne Gefühl und Gefühl ohne Verstand glücklich enden?

„Für ihr eigenes Herz war es eine wunderbare Sache, für ihre Vorstellungskraft geradezu zum Lachen; doch für ihren Verstand und ihr Urteilsvermögen war es ein absolutes Rätsel.“

p. 396

Kurze Antwort: nein. 😉 Natürlich sind nicht alle Verbindungen in die alte Heimat abgerissen und Elinors Herzschmerz wird immer noch eins drauf gesetzt. Hoffnungen gemacht, dann wieder vernichtet. Wir sind hier schließlich auch in einem Jane-Austen-Roman – darf man nicht vergessen. Marianne hingegen hätte sicherlich auch stabilere Verehrer als den windigen Willoughby. Zum Beispiel den netten Oberst Brandon, der aber einige Jahre älter ist als Marianne, was die nicht so klasse findet. Dieses (vorhersehbare) Hin und Her der Gefühle kann einen schon so gut unterhalten, keine Frage. Selbst wenn man sich sicher ist, dass am Ende zusammenfindet, was zusammen gehört, ist da immer noch der sehr unterhaltsame Weg dahin. Voller kleiner (un)sozialer Spitzfindigkeiten und Unwegsamkeiten, eloquenter Dialoge und mancher kleiner Rückschläge, weiß dieser Roman wie jeder von Jane Austen mit seiner Formel zu überzeugen. Am Ende überrascht aber etwas anderes. Dass hier nicht nur die Frage der Mittellosigkeit der Frauen gestellt wird, sondern auch die der Männer. Huh.

Das Buch "Verstand und Gefühl" liegt auf einem weißen Untergrund. Das Cover zeigt blaugrüne Ranken und Pflanzen auf einem dunklen Einband.

Wir wissen spätestens dank Jane Austen als Chronistin der Rolle der Frauen, dass diese damals mittellos waren und stets die Männer Vermögenshalter. Starb also wie im Falle der Dashwood Schwester der Vater, dann gingen sie eben leer aus. Auch die Witwe. Deswegen war es so wichtig eine „gute Partie“ zu machen und Frauen „zu verheiraten“ klingt wie Rumgeschacher auf dem Viehmarkt. Diese finanzielle Unsicherheit und das Verwässern von Idealen wie „großer Liebe“ wird in anderen Romanen Austens vor Allem anhand der Frauen demonstriert. Natürlich gilt das auch für die Dashwood-Schwestern. Mehrmals wird auf Elinor rumgehackt, für sie würde die Uhr ticken. Dass aber auch für Männer die Situation schwierig ist, wenn man sich einen bestimmten Lebensstil vorstellt oder es sich ohne eigenes Einkommen mit der ehemals spendablen Familie verscherzt, demonstriert Verstand und Gefühl. Hier wird mit ihrem Glück gepokert und dadurch auch mit dem der Dashwood-Schwestern. Es werden aus dem Mund der Männer Sätze fallen wie „große Furcht vor der Armut“ und „falsche[n] Vorstellungen von der Notwendigkeit des Wohlstands“ (p. 350), ja gar „Häusliches Glück ist ausgeschlossen.“ (p.360) Glück ist fragil.

Dass diese Perspektive auf die Männer im Leben der Dashwood-Schwestern eröffnet wird, ist sehr spannend und eine fast einmalige Sache. Andere Austen-Protagonisten lebten meist fett, hatten ein gutes Einkommen und die Beziehungen waren meist von eher anderen Dingen bedroht. Wie Stolz und Vorurteil. Oder irreführender Überredung. Klar, ganz weg war die Frage nach Einkommen nie. Insofern überrascht Verstand und Gefühl. Zu schade nur, dass trotz dieser überraschenden Sicht auf die Lage der Männer, die Männer mit Abwesenheit glänzen.

Die Liebe zwischen Elinor und Edward findet beispielsweise eher in der Vergangenheit statt und hat ein großes Fragezeichen. Elinor zieht aus Edwards Peripherie zu Beginn des Romans weg und bisher blieb die Liebe unausgesprochen. Edward taucht immer nur kurz auf. Das nimmt schon etwas den Drive aus der ganzen Dynamik. Genauso wie der Umstand, dass das Ende wieder sehr plötzlich kommt und das Auserzählen des Happy(?)-End dann in wenigen Absätzen geschieht.

Das sind aber am Ende eher kleine Irritationen, die eine amüsante und mitreißende Geschichte nur ein wenig trüben. Verstand und Gefühl hat alles, wofür man Jane Austen Romane liebt.

„Marianne konnte niemals nur halb lieben, […]“

p. 413

Fazit

Die bewährte Jane-Austen-Formel geht auch hier auf und bietet eine überraschende Sicht auf die Lage der Männer in der damaligen Gesellschaft.

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-423-14159-8, dtv Verlag

Das Buch "Verstand und Gefühl" liegt auf einem weißen Untergrund. Das Cover zeigt blaugrüne Ranken und Pflanzen auf einem dunklen Einband. Ins Blickfeld ragen verschiedene Blumen, u.a. rosa Rosen und Gerberas.

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

2 Antworten

  1. Kennst du die Verfilmung mit Emma Thompson und Kate Winslet? Auch wenn manche der Schauspieler*innen älter sind als ihre Rolle im Buch – die ist wirklich ganz wunderbar. Und mit Alan Rickman in der Rolle, in der ich ihn immer in Erinnerung behalten werde <3.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das ist mir zum Verhängnis geworden während des Lesens wie gern ich die Verfilmung mag

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