Vor über einem Jahr habe ich angefangen hier über Frauen zu schreiben, die etwas auf dem Gebiet der Informatik bewegt haben. Dabei habe ich die Namen gestreift, die seit jeher mit Frauen und IT in Verbindung gebracht werden wie Ada Lovelace und Grace Hopper, mich aber auch bemüht ein breites Spektrum abzudecken. Heute soll nun mit der zwölften Ausgabe diese Reihe enden. Gestartet habe ich sie ursprünglich, weil mir als Softwareentwicklerin sehr oft die Meinung begegnet, dass man doch als Informatikerin ein seltenes Wesen ist. Frau + Technik scheint in den Köpfchen mancher nicht zusammenzupassen. Die Zahlen über den Anteil weiblicher und männlicher Studierender in Richtungen wie Informatik und Technik beweisen leider auch nicht das Gegenteil. Aber es gab sie – Pionierinnen, über die viel zu wenig gesprochen wird. Das wollte ich ändern und habe ein Jahr damit verbracht. #AYearWithWomenInIT Heute schauen wir in der letzten Ausgabe noch einmal zurück – es geht um eine Pionierin der Bio-Informatik. Und am Ende des Artikels ein kleines Fazit zur Reihe.
Thelma Estrin teilt das Schicksal vieler Frauen der Kriegsjahre. Ihr Mann Gerald, den sie mit nur 17 Jahren geheiratet hat, wurde eingezogen und kämpfte im zweiten Weltkrieg. Thelma nahm mit noch nicht mal 20 Jahren Kurse am Stevens Institute of Technology und arbeitete später in einer Fabrik, half dort bei der Herstellung von Elektro-Kleingeräten, um sich über Wasser zu halten. Schon in der Schule war sie gut in Mathematik und während der Arbeit kam ihr der Gedanke Elektrotechnik zu studieren, wo sie als Frau eine Ausnahme-Erscheinung blieb und auch später nicht überall eingestellt wurde, weil manche Firmen einfach keine Positionen mit weiblichen Ingenieuren besetzten.[2]
Interviewer: „Do you remember any responses from your classmates or specific professors to your being a woman in (Inaudible)—„
Thelma Estrin: „Yeah. You know, a lot of them, they thought it was strange. The professors were fine. One or two I became friends with, and were supportive and nice. And the rest just sort of was, you know, a little odd, but there I was.“ [2]
Im Akkord machte Thelma Estrin ihren B.Sc., ihren M.Sc. und zuletzt den PhD. Während ihr Mann in Princeton einen Job annahm, hatte sie Probleme eine Anstellung in der Gegend zu finden. Letzten Endes nahm sie eine Stelle im Neurological Institute of New York am Columbia Presbyterian Hospital in New York City an und pendelte täglich zwei Stunden hin- und zurück, was zermürbend war, ihr aber gestattete sich einen Namen zu machen und Karriere abseits der ihres Mannes aufzubauen. Durch die Arbeit in der Elektroenzephalographie-Abteilung wurde ihr Interesse an Medizintechnik und Bio-Ingenieurswesen geschürt. Zu ihren Aufgaben gehörte es ein System zur Analog-Digital-Wandlung elektrischer Impulse und Aktivitäten des menschlichen Nervensystems zu entwickeln. Die Beschäftigung mit Hirnaktivität, dem Nervensystem, klinischer Untersuchung und Auswertung, veranlasste sie dazu Untersuchungen zu veröffentlichen, die dokumentieren und erörtern inwiefern man das menschliche Gehirn mit Hilfe von Computern darstellen kann. Als ihr Mann 1954 einen Forschungsauftrag bekommt, folgt sie ihm. Beide gingen nach Israel um dort an der Entwicklung des WEIZAC (Weizmann Automatic Calculator) zu arbeiten. WEIZAC sollte der erste Rechner in Israel und der erste Großrechner weltweit sein. Nach ihrer Rückkehr bekam Estrin eine Stelle im UCLA (University of California, Los Angeles) am Brain Research Institute wo sie ihre Arbeit im Bereich der Bio-Technik weiterverfolgte und ein early adopter wurde, jemand der früh anfing das Potential der Informationstechnik in anderen wissenschaftlichen Bereichen zu nutzen.
„Ich hatte früh für mich entschieden, dass dies mein beruflicher Weg sein sollte und ließ mich nicht durch Leute davon abbringen, die dies damals nur belächelten“ Thelma Estrin, Quelle: [1]
Um 1970 wurde Estrin Direktorin des Data Processing Laboratory und Präsidentin der IEEE Engineering in Medicine and Biology Society und engagierte sich viele Jahre beratend und forschend. Außerdem beschäftigte sie sich in den Folgejahren viel mit der Rolle der Frau in technischen Berufen und Studienfächern, schrieb dazu sogar ganze Paper (Stichwort „Women’s Studies“). Thelma Estrin verstarb 2014. Ihre Töchter folgten dem Rollenbild ihrer Mutter, wurden Ärztin und Informatikerinnen.
„Women’s studies, implies that we expand the world of science and technology from its patriarchal history, which consider these disciplines as inherently masculine.“ […] „understand the elements of gender in the social and political situations“ [and it is necessary in order to] „widen women’s access to technology.“ Thelma Estrin, 1996, paper: „Women’s Studies and Computer Science: Their Intersection“ – gefunden auf [3]
Zum nachlesen/Quellen:
[1] frauen-informatik-geschichte.de
[2] societyofwomenengineers.swe.org/, v.A. dieses Interview
[3] Wikipedia (en)
ethw.org (Engineering and Technology History Wiki)
Zu den bisherigen Artikeln
Ankündigung
Teil I: Ada Lovelace
Teil II: Grace Hopper
Teil III: Hedy Lamarr
Teil IV: Marissa Mayer
Teil V: Jade Raymond
Teil VI: Gertrude Blanch
Teil VII: Mary Allen Wilkes
Teil VIII: Nadia Magnenat Thalmann
Teil IX: Adele Goldberg
Teil X: Ida Rhodes
Teil XI: Constanze Kurz
A Year with Woman in IT – ein FAZIT
Im November 2015 habe ich mit euch die Vorurteile geteilt, die mir während meines Studiums der Informatik entgegenschlugen. Es waren zwar nicht viele, aber die Situationen entbehrten nicht einer gewissen Komik und Bitterkeit. Seltsamer sind allerdings manchmal die Reaktionen derer, die es ja so außergewöhnlich finden, dass man als Frau Programmieren spannend findet oder in technischen Berufen arbeitet. Die Geschichte scheint vergessen zu haben, dass es gerade um Human Computer Programm während der Kriegsjahre flächendeckend Frauen waren, die Nachrichten ent- oder verschlüsselten. Wieviele Pionierinnen hat es gegeben, aber es scheint keiner darüber zu reden. Mit der Artikelreihe im Blog habe ich versucht abzubilden, wieviele interessante Geschichten von Informatikerinnen es da draußen gibt. Egal ob Leute aus der Gamebranche wie Jade Raymond, die die in führenden Management-Positionen gelandet sind wie Marissa Mayer oder auch solche die fleißig Assembler und Compiler entworfen haben wie Mary Allen Wilkes und Grace Hopper. Es sind vielseitige Bilder und Rollen. Und ich könnte noch weitermachen. Zum Beispiel mit Jane McGonigal (wälzt unser Verständnis von Game-Design um), Marianne Laqueur, Frances E. Allen (Pionierin auf dem Gebiet der Programmoptimierung und Parallelisierung) oder auch Christiane Floyd – einer Pionierin im Bereich Open-Source und der ersten Professorin für IT in Deutschland. Es gibt viele erzählenswerte Geschichten. Und dass sie zu selten erzählt werden, wurde mir schmerzlich bewusst als mir nach etwa 6 Monaten die ITlerinnen ausgingen. Als ich Recherche betrieb welche Frauen Verdienste im Bereich IT vorzuweisen haben, wurde ich auf viele Geschichten erst aufmerksam, die mich sehr berührten. Wie beispielsweise die von Gertrude Blanch, die vierzehn Jahre arbeiten gehen musste, bevor sie studieren konnte. Ich bewundere jede dieser Frauen und würde mir wünschen, dass ihre Geschichten öfter erzählt werden und nicht nur die von Zuckerbergs und Jobs‘, denn die Wege die viele von ihnen gehen mussten klingen so steinig. Wenn ihr also Lust darauf habt – erzählt ihre Geschichten. Verbringt doch mal ein Jahr mit Frauen, nicht unbedingt auf dem Gebiet der Informatik. Es ist lohnenswert.
Anbei noch ein paar Links zum weiterlesen …
* Spiegel Online, 5.8.2015, „I Look Like An Engineer“ – #Aufschrei im Silicon Valley
* Dice, 22.4.2016, „Informatikerin vs. Informatiker – Klischees im IT-Geschlechterkampf“ – der Artikel erwähnt u.a. das Informatiker zur Zeit der Human Computers ein klassischer Frauenberuf war
* The Grace Hopper Celebration of Women in Computing
* Edition F, 19.11.2014, „Die 25 Frauen für die digitale Zukunft“
Ich widme mich nun nach einem Jahr wieder in der Kategorie Netzgeflüster anderen Themen, es war aber eine sehr spannende Zeit. Vielleicht wiederhole ich das Experiment ein Mal. Aber zuerst ist mein Drang sehr groß über andere Themen zu schreiben und etwas Abwechslung in die Rubrik zu bringen. Ich hoffe dieser Ritt hat euch auch etwas Spaß gemacht. Welche der Geschichten hat euch bewegt? Erstaunt? Welche der Frauen kanntet ihr? Welche nicht? Welche Pionierinnen hätte ich erwähnen sollen – wen muss man unbedingt kennen? Habt ihr Anregungen für die Zukunft?
Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen rund um IT, Forschung, Netzwelt, Internet und eben auch Gerüchten widme. 🙂
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