Netzgeflüster: Identität, Internet und Poppy

Vergleichen ist das Grundübel aller Unzufriedenheit. Wenn wir einfach unser Leben leben, dann ist im Grunde alles in Ordnung und wir selber zufrieden. Aber schaut man nach rechts und links, dann beginnen die Fragen. Warum verdient xyz mehr als ich? Wieso habe ich nicht so tolle Haut? Wieso gewinnt er im Lotto? Man ist gut beraten, wenn man es schafft durch das Leben zu kommen ohne sich von alldem ablenken zu lassen. Soziale Netze machen es nicht leichter. Instagram, Facebook – überall die gesunden Menschen mit der guten Haut, die Bilder aus ihrem geilen Leben hochladen. Was man dabei nicht außer Acht lassen darf: den Filter. Die großen, populären Profile sind meistens welche, die einen Eindruck vermitteln und das ist meistens kein realistischer. Sicherlich gibt es auch Stars und normalmenschliche Personen, die sich wirklich mit ihren Bekannten und Fans verbinden wollen und auch mal Bilder von sich in ungeschminkt zeigen oder wenn sie krank sind. Leider ist das nicht unbedingt die Realität. Internet Personas sind heutzutage häufig ein Produkt. Das Internet gibt uns die Möglichkeit eine Maske aufzusetzen. Viele davon werden belohnt indem sie Fans bekommen und ihnen förmlich Produkte und Geld hinterhergeworfen wird – zumindest wenn die Likes stimmen. Und das verändert auch den Begriff von Identität. Heute in Netzgeflüster: ein paar Beispiele für Menschen, die nicht existieren und Internet Personas.

That Poppy

Poppy ist ein elfenhaft aussehendes Wesen, das neben ihrem Youtube-Channel auch singt und mit Songs wie „Beach Blond Baby“ Konzerthallen füllt. Eins ihrer Videos sagt mehr als tausend Worte.

„Unicorn Pizza Party“, via Poppy (Youtube)

Poppy war und ist eine Kontroverse des Internets, sogar eine relativ aktuelle. Überall fragen sich Menschen, ob Poppy echt ist, ob sie ein Kunstprojekt ist, oder ob sie einfach ein neues Konzept für eine Internet Persona ist. Scheinbar halten sehr sehr viele Menschen sie für echt und kommen gar nicht auf den Gedanken, dass sie eine Art Kritik am Internet sein könnte oder sogar Satire auf soziale Netze, Internet Personas und Popularität. Unter Videos in denen sie aus Nase oder Mund blutet, wird sie oftmals gefragt, ob es ihr gut geht. Aber wie kann man bei ihren Inhalten nicht darauf kommen, dass sie Internet-Kritik ist? Oder besser gesagt Kritik an sozialen Plattformen, Youtubern und der Scheinwelt sozialer Netze? Nicht umsonst behandeln ihre Videos oftmals gehypte und v.A. überhypte Themen wie Einhörner und sie fragt frappierend oft Dinge wie „Am I Doing this right?“, so als ob sie fragt, ob sie jetzt den Ansprüchen der sozialen Netze genügt, ihre Haut schön genug ist, der Filter sie am besten in Szene setzt, sie die richtigen Dinge mag und alle sie mögen?

„ThatPoppy Explained“, via ReignBot (Youtube)

Wirklich erklären muss man Poppy nicht. Ich ertappe mich dabei, dass ich ihre Videos genial finde. Sie imitiert die pastellige und perfekt gefilterte Social-Media-Welt richtig gut und streut immer wieder Botschaften ein, die eine unerwartet plötzliche und heftige Klatsche auf die (Internet)Gesellschaft und ihre Money Machines sind. So ist eine Zeile in einem in ihren Songs „If money can’t buy happiness then why is it so fabulous?“ Ihr platinblonder, wimpernklimpernder Look ist eine Hommage an die Künstlichkeit der Barbie, die auch das Bild auf Frauen für viele junge Mädchen prägte und heute mehr in der Kritik steht als gehypt wird. Ihre Stimme ist künstlich hoch und schnell und mit Pausen zwischen den Worten, so als ob in ihrem Kopf ein Motherboard sitzt und die KI und der Natural Language Processor zwischen allen Antworten erst den passendsten Satz berechnen muss. Ihre Satzstruktur ist einfach und naiv, so wie es auch unsere Laptops mit dem richtigen Programm generieren können, ohne besonders aufzufallen. Ein zarter Hinweis darauf, welchen einfachen Mustern auch so mancher Youtube-Star folgt. „Was ist populär? Ich bin dabei, denn dann bin ich populär.“ Charakter lässt das oft vermissen. Und Realität auch. Ich finde ihre Satire gelungen, aber auch die Frage im Artikel in The Cut gerechtfertigt, ob sie wirklich Satire ist oder doch dem Youtube-Ruhm nachhechelt? Vielleicht ist es auch das Ziel: als Parodie, als Fake der Fakes, den Olymp besteigen.

Lil Miquela

Man kann aber noch eins draufsetzen. Schaut man sich den Instagram-Account von Lil Miquela an, dann muss man zweimal hinschauen. Erst bei den älteren Fotos wird es glasklar. Die Frau, die wir dort posen sehen ist nicht echt. Auf den frühen Uploads sieht sie mehr wie ein Screenshot aus Die Sims aus als ein Mensch.

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Lil Miquela ist tatsächlich ein computergeneriertes Modell. Manchmal stimmt die Beleuchtung nicht ganz, die Bilder sind zu künstlich-matt gerendert oder ihre Gesichtszüge wirken etwas zu überspitzt oder zu ideal um wirklich zu sein und der Effekt ist hin. Immerhin haben ihre „Macher“, wer auch immer das ist, das Uncanny Valley geschickt umschifft. Dass es solche Fake-Peronas gibt, verwundert mich weniger als die ganzen Menschen, die noch heute unter ihre geposteten Bilder kommentieren „OMG u so pretty. U r real, right?“ Um ihre Persona lebendig zu gestalten, gibt man sich reichlich Mühe. Das zeigen die Musikvideos von Lil Miquela. Und sie hat, obwohl nicht existent, eine politische Meinung. Egal ob Black Lives Matter oder Feminismus. Damit ist sie schon interessierter als mancher echte Internetstar.

Night Lyfe

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Hatsune Miku

So ganz neu ist das mit den virtuellen Personas allerdings nicht. Hatsune Miku ist eine für den Software-Synthesizer Vocaloid2 erstellte Stimme/Vocal, mit dem dank der Vocaloid Software beliebige Lyrics singen lassen kann. Die Stimme aus der Maschine bekam ein Anime bzw. Manga-ähnliches Äußeres und wurde vermarktet wie ein Popstar. Seit 2007 bzw. 2008 ist Hatsune Miku präsent und gibt sogar Konzerte. Die Schöpfer ihrer Marke sind der Mangazeichner KEI und Crypton Future Media.

„World is mine – live HD – Hatsune Miku“, via ICanBeMyselfHere (Youtube)

Insbesondere das mit den Konzerten virtueller Figuren sollte uns bekannt vorkommen. Schließlich machen seit 1998 die Gorillaz auch die Musikszene unsicher. Allerdings ist das nur ein kleiner Exkurs zum Thema virtuelle Identitäten, denn mit Internet Personas hat es nur eins gemeinsam: die Nicht-Existenz des Lebewesens und die Marke. Ich behaupte, dass die Gorillas noch einen künstlerischen Anspruch haben, da sie eine Geschichte erzählen und herrlich schräg sind. Schräger als es ihre realweltlichen Stimmen auf die Bühne bringen können. Die Gorillas geben den kreativen Köpfen die Gelegenheit Ideen auszuleben und Charaktere mit komplexen Geschichten zu erschaffen, die die Grenzen der dumpfen Realität sprengen. Hatsune Miku hingegen ist dafür komplett künstlich. Ihr leiht niemand eine echte Stimme und echtes Talent. Und trotzdem besuchen Menschen ihre Konzerte. Sie erzählt auch keine Geschichte in dem Sinne. Poppy erzählt eine Geschichte, aber wieviele erkennen die?

Die Zukunft

Derzeit schaue ich die Serie Altered Carbon auf Netflix und frage mich, was eine solche Welt mit austauschbaren Körpern mit dem Begriff der Identität macht? Im Grund wäre das Instagram in der analogen Welt. Wer ist das, den ich da sehe? Ist da noch ein echter Charakter hinter dem geschönten Äußeren, das ich sehe? Es ist wichtig die Realität nicht aus den Augen zu verlieren und den Filter zu hinterfragen. Schaut man sich als Künstler Instagram-Profile an, vergisst man schnell, dass dort nur die gelungenen Bilder hochgeladen werden. Ist man arm, dann sieht man die Reisen der Travel-Blogger und -Youtuber mit Argwohn und vielleicht sogar mit Welthass. Solange uns aber durch das Internet die Welt offen steht und nur einen Klick entfernt ist, dann werden solche Hochglanz-Profile und Selbstdarstellung nicht verschwinden. Aber ich hoffe, dass wir immer den Blick dafür bewahren werden, was real ist. Denn das ist, worauf es ankommt und was uns ermöglicht uns mit echten Menschen zu verbinden und echte Beziehungen zu leben, mit unserem Leben und mit uns zufrieden zu sein. Vielleicht helfen uns Personas wie Poppy aber dabei die Scheinwelt der Internet-Identitäten als das zu sehen, was sie sind: gruselig. Zumindest, wenn wir sie noch von anderen Youtubern unterscheiden können, die das ernst meinen. Ach übrigens … mein Name ist Stefanie.

„You’re Doing Great“, via The Late Late Show with James Corden (Youtube)

Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen rund um IT, Forschung, Netzwelt, Internet und eben auch Gerüchten widme. 🙂

13 Antworten

  1. Ich Ahnunglose kenne weder die Gorillaz noch sonst eine dieser, ähm, Figuren. Schon irgendwie gruselig…

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Na ich weiß nicht, ob du da was verpasst hast! Alles Geschmackssache, auch wenn ich sagen muss, dass ich die Gorillaz sehr mag. 😉 Aber ja gruselig ist das richtige Wort. Vielleicht nicht auf die Personen selber bezogen, sondern auf das, worauf sie aufmerksam machen. Diese gestellten Identitäten. Ich finde den Gedanken gruselig, dass man für normal hält, was einem Instagram-Stars als „echtes Leben“ verkaufen. Und noch gruseliger Menschen im Web kennenzulernen und evtl mal irgendwann festzustellen, dass sie ganz andere Menschen sind als sie suggeriert haben. Hat es alles schon gegeben …

      1. Ja, da muss man inzwischen echt vorsichtig sein. Mir folgen ständig irgendwelche älteren US-Armeetypen auf Instagram oder Facebook, da frage ich mich auch, ob es die wirklich gibt und was sie beabsichtigen.

  2. Wow, danke für den Artikel! Sowas ging bislang völlig an mir vorbei (wieder was dazu gelernt, was ich noch dazu vielleicht mal im Job aufgreifen kann ^^). Es ist schon erschreckend, wie die Grenzen zwischen real und fake immer mehr zu verschwimmen scheinen und wie schwer es für das Gros der Internetnutzer ist/ sein wird, zu erkennen, was echt und was künstlich ist. Aber vielleicht sind solche klaren Unterscheidungen auch schon gar nicht mehr möglich, denn wo fängt der Fake an? Wenn ich für ein Instagram-Foto erst das halbe Zimmer umdekoriere oder einen Tee mache, den ich eigentlich nur wegen der Optik benötige – ist das dann noch „echt“ oder schon Täuschung? …

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Mensch … sogar noch was für deinen Job!? Das macht mich ja schon ein bisschen stolz 😉 Also ThatPoppy und Lil Miquela habe ich auch erst vor ein paar Tagen kennengelernt, empfand das aber als ziemlich fasziniert. Gerade Poppy ist wenn man mal vermehrt Videos schaut eine ziemlich starke Kritik an der Youtube-Scheinwelt. Nicht schlecht. Mal schauen wie lange sie die Rolle beibehält.
      Und ja ich denke wir sind echt schon lange irgendwo zwischen fake und Realität. Wenn ich manchmal nur so durch Instagram browse oder Youtube-Videos von sehr gehypten Youtubern schaue, frage ich mich oft wo der Hype herkommt. Im Fernsehen habe ich mal ein Interview mit einem „Influencer“ gesehen, die ihren Lebensunterhalt mit Deko-Tipps verdient und jede Woche ihre Wohnung umgestaltet. Klar, solche muss es auch geben und Deko ist was schönes. Aber ich finde es regelrecht schädlich, dass solche gestellten Profile und Aktivitäten dann diejenigen sein sollen, die andere „beeinflussen“. Jahrzehntelang gab es Kritik an den Medien, dass sie das öffentlich akzeptierte Bild bspw. der Frau beeinflussen und schwer zu unrealistische Schönheitsideale verbreiten – aber im Prinzip ist das schön längst alles auf unserem Smartphone. Aber ich glaube da kennst du dich besser aus als ich was Medien etc. betrifft ^^“ Ist nur mein Eindruck, weshalb ich immer mal wieder eine schwere Phase mit Facebook, Blabla-Youtubern und Instagram habe.

  3. Echt spannend. Ich kannte tatsächlich nur Hatsune Miku (und die Gorillaz natürlich). That Poppy finde ich auf den ersten Blick mega gruselig, aber das Erklärungsvideo war echt interessant, genau wie der ganze Beitrag. Ich stimme da Kathrin zu: Man fragt sich ja heute schon bei offensichtlich echten Menschen, was real und was fake ist. Ob es bei den Influencern wirklich immer so makellos aussieht? (Vermutlich nicht.) Ein bisschen schwer fällt es mir manchmal schon, mich nicht zu sehr zu vergleichen (vor allem auch in der „Autorenszene“), aber dein Beitrag erinnert ganz gut daran, dass manchmal auch mehr Schein als Sein ist 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      An der Stelle ein Geständnis meinerseits: ich kenne ThatPoppy und Lil Miquela auch erst seit Kurzem. Aber ThatPoppy hat mich schon ganz schön geflasht. Sie trifft genau das, was mich seit einer Weile stört und weshalb ich inzwischen sehr wenigen Youtubern folge, die so klassische Lifestyle-Kanäle haben. Bei vielen habe ich Probleme zu glauben, was sie „darstellen“ und was sie über ihr Leben sagen. Vieles kommt mir nicht „echt“ vor. Zumindest was das betrifft, das ich früher geschaut habe. Zumindest fördert das den erhellenden Moment sich nicht damit vergleichen zu müssen …

  4. Sich mit anderen zu Vergleichen ist denke ich im Grunde keine schlechte Idee und auch wesentlicher Bestandteil einer oft praktizierten Erfolgsstrategie. 😉 Auch Unzufriedenheit ist in meinen Augen kein Übel sondern ein Anreiz Dinge zum Besseren verändern zu wollen. Problematisch ist denke ich eine Lebenseinstellung die einen unzufrieden macht, wenn man es nicht schafft (alle) andere(n) zu übertreffen. Alle Bereiche des Lebens die auf Gemeinschaft beruhen bleiben zumindest im Kern solchen Menschen immer verschlossen. Die Ursache für solches Verhalten liegt sicherlich oft im Versuch begründet die eigene Schwäche zu überwinden um unabhängig vom Wohlwollen anderer zu werden.

    Ich denke das Thema Internet Personas ist besonders für Kinder / Jugendliche von Interesse. Durch all die Unsicherheit dieses Lebensabschnittes kann man leicht fehlgeleitet werden. Ich vermute, dass diese Altersgruppe auch die meisten oft unverständlichen Kommentare auf Youtube und Konsorten erklären. Poppy mag in dem Lebensabschnitt dabei behilflich sein sich davon abzugrenzen.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja prinzipiell schon, denn ohne vergleichen gibt es evtl auch keine Verbesserung. Aber mein Problem mit Lifestyle-Youtubern und Internet Personas ist, dass der Maßstab nicht realistisch ist. Das ist wie das Bild was die Medien von Schönheit vermitteln- mitunter stark unrealistisch. Und wenn man mit sowas aufwächst, dann kann das einfach auch ein Kampf gegen Windmühlen sein, wenn man immer von diesen unrealistischen Idealen umgeben ist. Bzw. der Weg kann ein steiniger sein, wenn man lernt, sich nicht mit ihrem Lebensstil oder Aussehen oder was auch immer zu vergleichen.
      Und gerade die Kinder und Jugendlichen sehe ich da ein bisschen in der Gefahr … und ja, ich habe auch die Vermutung, dass die meisten der erwähnten Kommentare von ihnen kommen 😉

  5. Mir wurde auch von einer Freundin That Poppy gezeigt und sie hatte es ja auch mit „Interweb“ in mein Best of 2017 Mixtape geschafft. Verdammter Ohrwurm! Ich finde es interessant, dass sie soviele verunsichert, ich hatte aufgrund der Creepyness von Anfang an das Gefühl endlich mal Kunst auf Youtube zu sehen. Und spätestens wenn man sich mit sexy Titanic Sinclair, der ja ähnliches schon mit einer anderen blonden Dame inszeniert hat, befasst, dürfte klar sein, dass da jemand mit Ziel und Hirn dahintersteckt. Kennst du „Please Don’t Hug Me I’m Scared“? Das war mein erster Wow-Moment bezüglich Youtube/Internet-Content.

  6. […] erschien hier die Auswertung der Blogparade Name Your Genre. In Netzgeflüster hingegen waren Internet Personas wie Poppy das Thema, die den Begriff Existenz dehnen. Außerdem starteten Alice, Anette, Kathrin […]

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