Wenn ich so darüber nachdenke, haben die Leipziger Buchmesse (LBM) und ich eine schon 15 Jahre andauernde On-Off-Beziehung. Das heißt, dass es etwa 15 Jahre her sein muss, dass ich das erste Mal da war. Plus/minus 1 oder 2 Jahre. Und ich war auch nicht jedes Jahr da. Es gab Phasen, da habe ich dort als Möchtegern-Manga-Zeichnerin mit meiner Mappe angestanden und der ganze Tag bestand quasi nur aus solchen Terminen, für Bücher blieb gar nicht viel Zeit. Und so manche Höhen und Tiefen. Wie zum Beispiel letztes Jahr als ich so gar keine Termine fand, die ich mir anschauen wollte. Das war in diesem Jahr anders, allerdings war die Buchmesse trotzdem reich an Überraschungen.
Megaphone
Dass die Messe regelmäßig aufstockt und an den Sicherheitsbestimmungen schraubt, war in jedem Jahr zu merken. Zuerst gab es Personal, das verstopfte Wege sperrt und die Treppe freihält, dann kam der Cosplayer-Requisiten-Check und die Durchsuchung der Taschen und die Ansagen mit dem Megaphon häufen sich auch. Die Verkehrslage wurde so auch schon letztes Jahr geregelt, dieses Jahr auch die Fußgänger, damit sie nicht in Autos laufen (obwohl die Wege und Straßen eigentlich gut erkennbar sind). Dahingehend kann man sich nicht beschweren, eine Massenpanik möchte ich trotzdem nicht miterleben. Das alles hilft aber eben auch nichts gegen Wetter-Zickereien, wie man spätestens in meinem Bericht vom Buchmesse-Samstag liest … .
Bernhard Schlink
Während die Messe mich letztes Jahr leider gar nicht mit irgendwelchen Terminen, Lesungen oder Veranstaltungen locken konnte, war ich dieses Mal ziemlich aus dem Häuschen. Mit Bernhard Schlink besuchte einer von zwei Autoren die Messe, die mich zum Leser gemacht haben. Ich war ein lesendes Kind und wurde in der Schule dann vom Lese-Zwang ernüchtert und zu einem wenig lesenden Teenager gemacht. Was mir die Schule an Pflichtlektüre gab, hat mir tatsächlich das Lesen in der Freizeit verleidet. Lehrer hören das wahrscheinlich nicht gern. Später haben Manga und einzelne Belletristik es rausgerissen. Aber dass ich Bücher so inhaliere wie jetzt – das kam erst als wir in der Schule Der Vorleser gelesen haben und ein zweites Buch – beide hinterließen bei mir „Lese-Hunger“ und den Eindruck, dass Literatur soviel mehr ist. Und als ich im Programm las, dass Bernhard Schlink da sein würde, war ich extrem positiv überrascht – ja ich möchte sagen aufgeregt.
Dass ich kurz vorher Schlinks neues Buch Olga gelesen habe, hat den Eindruck nochmal verstärkt. Aber ich will nicht den Literatur-Poser raushängen lassen und ein Geständnis abgeben: ich habe Olga vom SuB genommen und als nächstes gelesen, eben weil ich wusste, dass ich Bernhard Schlink auf der Buchmesse sehen würde. Und so ging ich mit Olga in der Tasche zuerst zum Gespräch auf dem blauen Sofa und danach zum Signieren. Dem Interview zu lauschen war enorm erkenntnisreich. Schlink sprach davon, dass Olga von einer ganzen Generation von Frauen handelt, die unter ihren Fähigkeiten leben muss. Und den Eindruck bekommt man beim Lesen sehr deutlich – ich habe das Buch verschlungen, obwohl es nicht mein übliches Beuteschema ist. Schlinks Buch handelt von einer Frau, Olga, die im deutschen Kaiserreich in armen Verhältnissen aufwächst und sogar für Bildung und einen Beruf kämpfen muss. Sie hat einen großen Bildungsdrang und hinterfragt oft das große, deutsche Nationalbewusstsein, das um sie herum die Leute ins Unglück reißt, während sie den ersten und zweiten Weltkrieg durchleben. In ihrem Leben gibt es auch einen Mann, Herbert, der einer von denen ist, die immer etwas zu hoch hinaus wollen. Die Interviewerin sprach Schlink darauf an, dass das Buch wie eine Hommage an die Frauen und Kritik an den Männern ist. Es war nicht das letzte Mal in der Gesprächsrunde, dass er sagte, dass er das nicht mit der Intention geschrieben habe, aber dass man das so sagen kann. Er erzählte weiterhin, dass die Idee für Herbert zuerst da war, da eine reale Person Pate stand. Aber irgendwann nahm die Idee mehr Raum ein: „Wie lebt es sich mit so einem Mann?“ Und ich bin ganz dankbar dafür, dass letzten Endes Olga die Haupt-Protagonisten geworden ist. Es ist Olgas Geschichte und sie war für mich eine sehr beeindruckende und berührende.
Dass Bernhard Schlink ein erstes Leben als Jurist und Richter gelebt hat und danach Bücher schrieb, wusste ich. Dass er aber die Verfassung nach der Wiedervereinigung mitgestaltet hat, ein Juristerei-Standardwerk von ihm stammt und dass er eine Ausbildung zum Masseur gemacht hat (einfach so, weil er’s kann), war mir neu. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich diese großen Interviews auf blauen Sofas mag: man bekommt ein bisschen Ehrfurcht und ein bisschen mehr das Gefühl für den Menschen, den man da vor sich hat und im Speziellen dieses war auch noch recht witzig. 🙂 Neben seinem Plädoyer für die Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland, hat mich eine seiner Ausführungen noch beeindruckt. In Olga wie auch dem Vorleser gibt es Beziehungen zwischen Menschen, die einen gewaltigen Altersunterschied haben. In Olga betrifft das den Erzähler und Olga, die für ihn wie eine Großmutter ist – also nicht eine Beziehung wie im Vorleser. Aber er griff die Fragen der Interviewerin auf und sprach darüber, dass Menschen immer sofort misstrauisch sind, sobald etwas nicht „symmetrisch“ oder „gleich stark verteilt“ ist. Sobald Altersunterschiede da sind, es beispielsweise die Liebe betrifft und er sprach sich gegen dieses Misstrauen aus – ein schönes Statement. Anschließend machten Olga und ich uns auf den Weg zur Signierstunde, wo ich ein, zwei Sätze mit ihm wechseln konnte. Ein wunderbares Messe-Erlebnis. Wahrscheinlich habe ich da einen meiner Helden getroffen.
5 Jahre Manga Comic Convention
Seit fünf Jahren findet nun schon die Manga-Comic-Convention (MCC) parallel und in Symbiose mit der LBM statt. Davor gab es ein kleines Areal bei Kinder- und Jugendbuch, das sich dem japanischen Comic widmete. Die Messe folgte dem Ruf der Massen und das Areal wurde immer größer bis es letzten Endes seine eigene Halle und Organisation bekam – die MCC. Natürlich passt es nicht jedem, dass es die MCC gibt und das ist immer mal wieder Thema. Ein Glück, dass die Messeleitung, das nicht so trocken und eng sieht. Und viele Besucher erfreuen sich auch an den aufwendigen Kostümen. Zum Jubiläum schaute die MCC auf die fünf Jahre und länger zurück und es gab eine kleine Galerie mit Grüßen der geladenen Gäste zu bestaunen, die viel weiter als nur fünf Jahre zurückreichen. Dass beispielsweise der Naruto-Zeichner Masashi Kishimoto auch einmal zu Gast war, habe ich nicht gewusst. Zwar habe selbst ich die Halle am Samstag umgangen, weil es mir da meistens an dem besucherstärksten Tag einfach zu voll ist, aber ich habe mich gern von der Atmosphäre mitreißen lassen. Nur hoffe ich, dass die Merchandise-Stände die Verlage nicht verdrängen, Plüschtiere nicht noch teurer werden und frage mich ernsthaft wo das Go-Areal abgeblieben ist?
Blogger treffen und fragwürdige Science-Fiction-Kaffeekränzchen
Eine Tradition, die ich nicht missen möchte ist es die liebe Kathrin auf der LBM zu treffen und wie sie es so schön und treffend sagt: quatschen als hätte man sich gerade erst gesehen. 🙂 Wir hatten auch quasi dieselbe Nachmittagsplanung. So schauten wir uns das Gespräch mit u.a. Denis Scheck zum Thema „Die Kraft des Utopischen“ über Science-Fiction an, die am Stand von 3sat für die Sendung Buchzeit aufgezeichnet wurde. Nach überraschenden und witzigen Geständnisse wie dem, dass Denis Scheck ein Herz für Science-Fiction hat, rutschte die Gesprächsrunde aber schnell in die Frage ab, was das Internet einem denn bieten könnte und wo die herausragenden Erfindungen der Science-Fiction-Literatur früherer Jahre abgeblieben sind. Wo sind die Raumfahrten und Raumschiffe? Da ich mir von dem Thema und der Auseinandersetzung mit Science-Fiction mehr als dieses schlecht recherchierte Gequengele erhofft hatte, war es ein guter Zeitpunkt um zu gehen.
Schöne Bücher
Eine Ausstellung, die ich immer sehr schätze ist die der Schönsten Bücher aus aller Welt, da sie es dem Besucher ermöglicht mal einen Blick auf Literatur aus anderen Ländern zu werfen. Andere Sprachen zu „fühlen“. So kann man gerne mal seine Sprachkenntnisse testen und darüber staunen, was sich andere Länder getraut haben. Meine noch frischen Russischkenntnisse habe ich u.a. an ukrainischen Büchern ausprobiert – weit gekommen bin ich nicht, aber immerhin kann ich etwas lesen, was ich im Vorjahr noch nicht beherrschte 😉 Die japanischen Bücher haben mich u.a. beeindruckt mit einer sehr sehr dicken Gesamtausgabe des Death Note-Mangas, ein ganz schöner Klotz. Einem Fetisch-Buch, das sich Männern widmet, die Frauen-Unterwäsche auf dem Kopf tragen und einem filigran gestalteten Buch, das fein genäht ist.
Und sonst so?
Insgesamt kam mir der Freitag voller als in anderen Jahren vor. Dank des plötzlichen und harten Winters hat die Buchmesse ja ihren Besucherrekord nicht brechen können. Aber dass ich am Freitag fast eine Stunden an der Garderobe anstehen musste, um meine Jacke abzugeben ist schon ein deutliches Zeichen, dass es voller war als sonst. Denn das ist echt noch nie passiert. Was ich aber bewundere ist wie geordnet es hinter den Kulissen an der Messe zugeht. Man erlebt kein Messe-Personal, das unfreundlich ist o.Ä., weswegen ich immer wieder viel Sympathie für die Leipziger Messe habe. Von einem Blogger-Event abgesehen, habe ich keine weiteren Veranstaltungen besucht, sondern eher die Messe-Atmosphäre inhaliert. Während der vormittag mit Bernhard Schlink ein Highlight war, so war es das Treffen mit Kathrin am nachmittag. Andere Veranstaltungen waren etwas mau, das Science-Fiction-Gespräch erschreckend bieder, aber nichtsdestotrotz ein grandioser Messetag. Nur der Schnee, der draußen auf die Besucher wartete, den hätte ich wirklich gern weggelassen.
Wart ihr auf der Leipziger Buchmesse oder sogar am selben Tag da? Wie hat sie euch gefallen? Hoffentlich hat euch das Winterchaos verschont? Hattet ihr ein Messe-Highlight? Insbesondere am Freitag? Hattet ihr mal die Gelegenheit einen eurer Literaturhelden zu treffen? Ich echauffiere mich gerade innerlich etwas, das Denis Scheck in der letzten Druckfrisch-Ausgabe Bernhard Schlink als biederen Chronisten deutscher Geschichte bezeichnet hat. I’m not amused. Aber ich bin auch nicht seiner Meinung. Habt ihr schon was von Schlink gelesen? Wen könnte man eurer Meinung mal zur Messe einladen? Was würde euch vom Hocker reißen?
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