In den Literarischen Fundstücken soll es um bemerkenswertes rund um das gelesen Wort gehen. Um die Dinge, die hängen bleiben. Und man sagt ein erster Eindruck lässt sich nicht wiederholen. Die ersten Sätze eines Buches können also durchaus hängen bleiben und vielleicht formen, was wir von dem Buch erwarten, auf das wir uns für die nächsten Tage und Wochen unseres Lebens einlassen. Es gibt dabei sicherlich einige „famous first words“, die so berühmt und charakteristisch für ein Buch sind, dass sie jeder kennt.
„Mrs Dalloway“ Virginia Woolf
Mrs Dalloway schwebte immer irgendwie in meinem literarischen Unterbewusstsein bis ich mich dieses Jahr endlich traute und das Buch las. Und bei dem ersten Satz hatte ich das wohl größte Lese-Déjà-vu überhaupt. Es war als wäre der Satz irgendwo in meine Hirnrinde geschnitzt. Ob das anderen auch noch so geht? Ihr könnt es mir verraten. In jedem Fall wäre es möglich, dass mir das Zitat beispielsweise im Film The Hours begegnete, in jedem Fall ist es eine Szene, die in dem Film vorkommt. Der Satz „Mrs Dalloway said she would buy the flowers herself“ ist bereits eine Vorausdeutung des Festes, das Mrs Dalloway veranstalten will und dass der offenkundige Schauplatz des Kernelements des Buches ist. Der Konfrontation mit Wünschen und Zweifeln. Mit Gesellschaft und innerer Zerrissenheit. Aber der Satz ist auch gleichzeitig das, was zum narrativen Startpunkt der Handlung führt. Auf dem Weg zum Blumenladen wird Mrs Dalloway Zeuge eines Flugzeugs, das eine Werbebotschaft verbreiten soll, was aber misslingt. Alle Personen, die in dem Buch umfassender auftreten und deren Pfade sich auf die eine oder andere Weise kreuzen, werden ebenfalls Zeuge dieses Ereignisses. Auf eine seltsame Art denke ich immer, dass wenn sie die Blumen nicht selber geholt hätte und der erste Satz anders wäre, dass die ganze Geschichte anders verlaufen wäre.
„Die Verwandlung“ Franz Kafka
Wer kennt den Satz nicht??? Kafkas Geschichte ist so prominent und surreal, dass man glaubt den ersten Satz zu kennen, selbst wenn man ihn bisher gar nicht gehört oder gelesen hat. Es ist ja auch ein sehr geradliniger Einstieg in die Geschichte und Gregor Samsas Dilemma. Er ist eben aufgewacht und war plötzlich ein Käfer. Ähnlich geradlinig geht es auch mit der Handlung weiter. Kafkas Erzählung verirrt sich zwar kurz in Was-wäre-wenns und Gedanken Gregors, dass er doch noch zu Arbeit muss, aber danach kommt sie ebenso schnell zum Punkt wie ihr erster Satz. Ich fand den direkten Einstieg sehr erfrischend, aber er funktioniert sicherlich nicht in jeder Geschichte. Denn wenn die Charaktere keinen Hintergrundgeschichte bekommen, fehlt es häufig an Identifikationspotential und lässt den Leser auf Distanz. Mein Mitleid mit Gregor Samsa war aber trotzdem sehr hoch.
„Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ (aka „Gefährliche Geliebte“) Haruki Murakami
„Mein Geburtstag fiel auf den 4. Januar 1951, also in die erste Woche des ersten Monats zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aufgrund dieses denkwürdigen Datums erhielt ich den Namen Hajime, was „Anfang“ bedeutet. Ansonsten war an meiner Herkunft nichts Bemerkenswertes.“
Zwar weiß ich es nicht, aber ich vermute, dass das für die meisten Leser keine berühmten ersten Worte sind. D.h. dass sie jedenfalls sicherlich nicht Teil des Allgemeinwissens sind. 😉 Fairerweise gibt es insbesondere in Deutschland dank des Literarischen Quartetts wahrscheinlich andere Gedanken, die Haruki Murakamis Buch vorauseilen. Die Kontroverse um die Übersetzung als es noch unter dem Titel Gefährliche Geliebte erschien beispielsweise. Aber für mich war es einer der besten Anfänge eines Romans, den ich seit langem gelesen habe. Das Geburtsdatum von Hajime habe ich im ersten Moment, d.h. bis die Erklärung folgt, nicht wirklich als besonders wahrgenommen. Mir fiel lediglich auf, dass er folglich im Nachkriegsjapan aufgewachsen sein muss. Über die blanken Zahlen machte ich mir gar keine Gedanken. Mit welchen Hoffnungen aber die Menschen wohl der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entgegen blickten ist offensichtlich, wenn man erstmal darüber nachdenkt. Und dahin muss man kommen – das schafft das Buch sehr gut. Ganz nebenbei mag ich es, dass japanische Namen oftmals eine Bedeutung haben. Nicht nur Naturmotive, sondern häufig auch tiefere Gedanken wie diese hier. Und sehr murakami-typisch ist der Hauptcharakter ein ziemlicher normaler Typ mit guten wie schlechten Eigenschaften, der sich selbst nicht für übermäßig großartig hält. Man weiß sofort, dass man womöglich einen Murakami liest. 😉
Header image/photo credit: Janko Ferlič
Welche ersten Sätze aus Büchern fallen euch ein, die man „irgendwie kennt“, weil sie so populär sind? Gibt es prominente Beispiele? („Es war einmal …“) Oder habt ihr persönliche Lieblings Buch-Anfänge? Erste Sätze, die ihr euch selbst nach Jahren noch merken könnt? Oder hattet ihr schon mal in einem anderen Zusammenhang so ein „Lese-Déjà-vu“?
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