ausgelesen: Minna Rytisalo „Lempi, das heißt Liebe“

Eine finnische Autorin. Ich glaube, das ist eine Premiere für mich. Minna Rytisalo ist Finnisch-Lehrerin, betreibt nebenbei einen Literaturblog und hat 2016 mit Lempi ihr Debüt als Autorin gegeben. Von diversen Preisen gekrönt, erreichte ihr Buch 2018 Deutschland unter dem Titel Lempi, das heißt Liebe. Lempi ist der Name der titelgebenden (fiktiven) jungen Frau im finnischen Lappland zur Zeit des zweiten Weltkriegs. Sie hilft zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Sisko dem Vater dabei einen Kaufmannsladen zu betreiben. Lempi und Sisko sind ein Herz und eine Seele. Spüren den Schmerz der anderen. Sorgen für Getuschel mit ihrer Schönheit und ihrem Abitur. Zwei Menschen, die man ansieht und erwartet, dass ihnen die Welt offen steht und großes und gutes passieren wird. Sisko, frisch verlobt, und die wilde Lempi spielen ein Spiel. Wer zuerst in den Laden kommt, den soll Lempi heiraten. Naja, der erste, den vergessen wir lieber. Kichernde Mädchen. Als der junge Bauer Viljami in den Laden kommt, aber ist es um beide geschehen. Sie heiraten bald und haben doch nur einen gemeinsamen Sommer als der Krieg ausbricht und Viljami an die Front muss. Das ist das, was man aus dem in drei Abschnitte geteiltem Buch nach und nach erfährt. Denn Lempi selber kommt nicht zu Wort. Sie ist abwesend. Eine der ersten Dinge, die man liest, ist der Brief der Magd Elli an Viljami, in dem steht, dass Lempi mit einem anderen Mann abgehauen sei und danach, dass Lempi tot ist. Ist das wahr?

„Der Laden roch nach Mädchen, was für ein Geruch das auch immer ist, woher soll ich das wissen. Süßlich, sauber, anders als bei Männern, kommt vielleicht von den Haaren und der Haut, den Atemzügen. Ihr wart zu zweit, doch ich sah nur die eine. Damit fing es an. Du wandtest den Blick nicht mehr ab, und ich auch nicht. Es ging schnell. Zwei Briefe, schon wolltest du die Frau an meiner Seite werden.“ S. 18-19 (Viljami)

Der erste der drei Abschnitte und Ich-Erzähler ist Viljami, Lempis Ehemann, Bauer und später Soldat. Der Krieg ist vorbei, er kehrt heim und schaut, was von seinem Gut noch übrig ist. Von ihm selber ist wenig übrig, seitdem er erfahren hat, dass Lempi tot ist. Er ist am Boden zerstört und nicht er selbst. Als er einberufen wurde, bemerkt Lempi, dass sie schwanger ist und nimmt eine Waise bei sich auf. Plötzlich ist da eine Familie, die er nicht kennt. Lempis und Viljamis Sohn wird noch geboren. Aber Lempi … ? Der zweite Abschnitt gehört der Magd Elli, die Viljami eingestellt hat um Lempi und ihn auf dem Hof zu unterstützen. Es war scheinbar für alle absehbar, dass Lempi, die quasi „unter ihrem Stand geheiratet hat“ vieles über das Leben auf einem Bauernhof nicht weiß. Nicht nur Kühe melken und romantische Bilder vom Beerensammeln bestimmen den Alltag, sondern auch harte, körperliche Arbeit. In dem Abschnitt aus Ellis Sicht wird vor Allem klar, dass sie Viljami für sich selbst haben wollte und tiefe Missgunst, Hass und Neid auf Lempi hegt. Sie macht Zeichen, spricht Gebete und sagt Worte, mit denen sie versucht sie zu verhexen, sie will sie los werden. Und kaum, dass Viljami weg ist, denkt sie nicht selten darüber nach sich Lempis zu entledigen. Am besten nachdem Viljamis Kind zur Welt gekommen ist. Wie die Wahrheit ist? Das erfährt der Leser. Und ob Lempi Gerechtigkeit widerfährt? Dafür brauch es den dritten und letzten Abschnitt des Buchs, der von Sisko, Lempis Schwester, erzählt wird und zudem nichts geringeres als ein Zeitzeugenbericht des Lappland-Krieges ist.

„Ja, ich wünschte dir den Tod. Ich betete. Gott, nimm diese nichtsnutzige Stadtgöre, diese verdammte Metze fort, diese an elektrisches Licht und Radio gewöhnte Samtsaum-Schlampe, diese Nagelfeile. Das Schlimmste waren die glühenden Blicke, die Viljami dir zuwarf, dabei warst du zu nichts nütze, ließest dich bedienen, kaum dass er wegsah. […] Ihr habt gedacht, ich wäre nur eine Salzsäule, ein Findling, ein Kübel, eine Milchkanne, aber ich kann sehen und erst recht hören und merkte alles.“ S. 93 (Elli)

Der Beginn des Buches ist etwas holprig. Viljami schwelgt in Erinnerungen an Lempi und springt zwischen den Gedanken hin und her. Im einen Moment ist er an der Front, im nächsten im Kaufmannsladen, wo er Lempi kennenlernt, im nächsten Moment liegt er mit ihr am See nahe seines Hofes. Er erzählt in einfachen, schnörkellosen Worte, die aber so gut gewählt sind, dass in ihnen eine bodenständige, unverkitschte, zarte Romantik liegt. Aber es wirkt auch ungeordnet, chaotisch. Nebensatz an Nebensatz – den Satzpunkt muss man suchen. Lange Ketten von Aufzählung und Eindrücken verwirren. Das strapaziert und liest sich schwer, vor Allem dann, wenn Viljamis Erinnerungen solche Zeitsprünge hinlegen. Man kann nicht alles sofort einordnen. Vielleicht ist es aber so wie wir uns erinnern? Nicht chronologisch, nicht linear und nicht in wohlgeformten Sätzen, die den am Boden zerstörten Soldaten und Bauern eh nicht interessieren. Sein Leben ist vorbei, nachdem es begonnen hatte, obwohl da zwei Kinder auf ihn warten (und eine Magd). Er spricht von der Vererbung von Trauer, weil auch sein Vater seine Frau früh verlor. Schon beim zweiten Abschnitt ist klar: das holprige, das war Viljami, der zuviel Trauer mit sich herumträgt.

Durch die zweite Person, die uns Einsicht bringt, wird das Bild dessen was passiert ist, runder. Elli ist garstig, aber ihr Hintergrund lässt auch erkennen woher das kommt. Ein schweres Leben, dass einen missgünstigen und brutalen Geist hervorgebracht hat. Sisko, Lempis Schwester, erzählt die Geschichte zu Ende. Es sind viele Jahre vergangen, man merkt es der Sprache sofort an. Sie rekapituliert ein ganzes Leben, ist Zeitzeugin, die über den Lapplandkrieg spricht und wie es Frauen wie ihr ergangen ist, die sich in einen Deutschen verliebten und mit ihm weggingen. Vaterlandsverräterinnen, die noch Jahrzehnte später geschnitten wurden, vielleicht sogar eingesperrt. Sisko, das heißt Schwester. Lempi hat sie nie vergessen. Spätestens hier entfaltet sich, dass Minna Rytisalo sehr wohl sehr gut schreiben kann. Das Buch liest sich weg wie warme Butter sich streichen lässt. Geschmeidig. Die Sprache ist kurz, knapp, prägnant, aber die Wortwahl seidig. Sie kann Sisko soviel über Geschichte erzählen lassen, dass man die eigene Ungeduld vergisst – man wollte doch wissen, was aus Lempi, Elli und Viljami wurde. Und dann fällt ein Satz zu Lempis Kindern und der reicht. Und dann fällt ein Satz zu Elli und was damals passiert ist. Und es reicht aus. Sie sagt mit sehr wenig sehr viel. Schnörkellos. Vor Allem erzählt sie eine Geschichte, die mir bisher unklar war, die von finnischen Frauen, die sich für die Liebe entschieden und dafür als Verräterinnen gebrandmarkt wurden.

„Kaum dachte ich, Ah, jetzt läuft es so und so, kam es anders. Vor allem im Privatleben. Beruflich glückte mir das Meiste viel besser. Da laufen die Dinge den Regeln und Verträgen entsprechend, zumindest, solange diese nicht selbst bricht. Was ich durchaus getan habe, schon allein dadurch, dass ich eine Frau bin.“ S. 157 (Sisko)

Obwohl der Schreibstil anfangs befremdet und durch Viljamis Wehklagen ungeduldig macht, wird bald klar, dass Minna Rytisalo großartig erzählen kann. Sie ist eine Stimmungserzählerin mit einem lockeren und leichten Schreibstil. Heißt, dass es ihr leicht gelingt die Atmosphäre des einfachen Lebens in Lappland einzufangen. Im fiktiven Pursuoja, wo der Elch schnaubt – das habe ich mir nicht ausgedacht, das steht in dem Buch. Da wohnen Viljami und Lempi und hätten ein wunderbares Leben leben können, voller Liebe, harter Arbeit und Kindergeschrei. Im Nachwort schreibt die Übersetzerin Elina Kritzokat noch einige historische Details in ebenso knapper, aber treffsicherer Form, sodass man besser einordnen kann, was man gelesen hat. Dinge, die ich gelernt habe: wo Lappland überhaupt genau ist (der ferne Norden Skandinaviens und teilt sich somit in Norwegisch-Lappland, Schwedisch-Lappland und Finnisch-Lappland), dass Finnland teilweise zu Russland gehörte und es mehr als einen Gebietskampf gab, dass es den Lapplandkrieg gab und dass die Samen die Urbevölkerung Lapplands waren. Ich mag es, wenn mich ein Buch emotional an meinen Lesesessel kettet und ich beim Lesen schlauer werde. Vor Allem hat es mich aber berührt.

„So lange wir an einen Menschen denken, ist er am Leben.“ S. 132 (Sisko)

Fazit

ein wunderbares Buch – bitte mehr sowas

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

2 Antworten

  1. Ich muss gestehen, ich habe um dieses Buch immer einen großen Bogen gemacht: Auf einmal tauchte es überall auf – in den Blogs, in den Magazinen, in den Geschäften etc. Allein, weil mir dieses Cover wieder und wieder ins Blickfeld gerückt wurde, schwand meine Neugier, mich mit dem Inhalt zu beschäftigen. Der Buchtitel klang für mich auch alles andere als attraktiv. Aber wenn die Lieblingsbloggerin darüber schreibt, komm ich natürlich nicht umhin, mir diese Zeilen zum Buch anzusehen. 😀 Und dein Artikel hat dann doch ein vielschichtigeres Buch präsentiert, als ich es angesichts des Titels vermutet hätte. Interessant finde ich ja vor allem, dass die Titelfigur anscheinend selbst keinen direkten Auftritt hat. Auf jeden Fall hast du es nun geschafft, mich doch neugierig auf die Geschichte zu machen. Ich halte mal die Augen offen nach einer Lese- und einer Hörprobe. 🙂

  2. „Lempi“ eingefangen im Leben von Lempi und fesselnd beschrieben erlebte ich hautnah die Tragik der Menschen in kriegerisch unruhigen, unsicheren Zeiten

    Sehr lesenswert

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