In den letzten Woche habe ich fast ausschließlich Bücher, Comics und Manga gelesen, die in einem Band abgeschlossen sind. Mit einer Ausnahme – der ersten Ausgabe der Deluxe Edition von „The Wicked + The Divine“. Und zu der gibt es soviel zu sagen und zu zeigen, dass ich dem Band ruhig mal eine Ausgabe von angelesen widmen kann, obwohl ich hier normalerweise immer meinen Fortschritt in diversen Reihen bespreche.
The Wicked + The Divine (kurz WickDiv) ist ein mehrbändiger Comic von Kieron Gillen, illustriert von Jamie McKelvie, der seit 2014 veröffentlicht wurde und erst im September diesen Jahres beendet wurde. In der Welt der Wicked und Divine werden Götter alle neunzig Jahre wiedergeboren und formen den sogenannten Pantheon. Als Wirte dienen ihnen sterbliche Menschen und sie leben im Schnitt nicht länger als zwei Jahre. Und wenn sie gehen, nehmen sie ihre Wirte mit. Die wiederbelebten Götter sind auch mit entsprechenden Fähigkeiten ausgestattet. „But remember: just because you’re immortal, doesn’t mean you’re going to live forever.“ Wie es ihnen während ihrer zwei Jahre ergeht, hängt stark davon ab in welcher Zeit sie wiedererweckt werden. In der Gegenwart des ersten Bandes („Year One“) werden sie wie Popstars verehrt. Göttinnen wie Amaterasu geben Konzerte, ihre Zuhörer verfallen in Ekstase, wenn sie singt und sie scharen Heere von Fans um sich. Darunter ist unsere Protagonistin Laura, ein 17-jähriges Mädchen, das sich und sehr wohl bewusst ist, dass die Götter göttlich, aber auch vergänglich sind. Und trotzdem wäre sie gern eine von ihnen.
Laura ist ein Hoch auf Fandom. Sie erkennt den Starrummel, sie ist eigentlich ein bodenständiger und aufrechter Typ, aber sie will wissen wie es sich anfühlt dazuzugehören. Sie reist den Göttern hinterher, kauft Fanshirts und macht auch schon mal Cosplay. Sie kennt jeden Auftritt und als sie die Chance hat die Götter Backstage zu erleben, sagt sie nicht nein. Dabei lernt sie Luci(fer) kennen und freundet sich mit ihr an. Denn richtig: auch Luzifer wurde wiedergeboren. Laura und Luci verstehen sich prächtig, sie ist im Begriff Amaterasu kennenzulernen; da wird auf die Götter geschossen. Luci will größeres Unheil abwenden, tötet die Angreifer und tja: landet im Knast. Laura glaubt aber an eine Verschwörung und dass jemand es gezielt auf all das angelegt hat. Sie will Lucis Unschuld beweisen und klappert dafür viele der anderen Götter und Göttinnen des Pantheon hilfesuchend ab. Was Laura dabei über das Gott-Sein und die Reccurence, also die alle neunzig Jahre stattfindende Wiedergeburt der Götter, erfährt, wird einiges verändern.
In den letzten Jahren ist das Thema Göttlichkeit einige Male portraitiert worden. Ich denke da nur an Neil Gaimans (eigentlich schon älteres) jüngst als Serie adaptiertes Buch American Gods, den Film Hancock oder auch die Serie Preacher. WickDiv fährt also keinen sehr neuen Ansatz, aber einen immer noch reizvollen. Wie wäre es, wenn Götter in Zeiten von Social Media und Popkultur auferstehen würden? Wären sie Stars? Würden sie Kriege anzetteln? Zwar sind sie in diesem Band Popstars, aber ich denke, dass weitere Bände von früheren Recurrences erzählen werden, in denen die Götter anders auftraten und nicht nur Unterhaltung und Glamour dienten. So oder so zeigt Lauras Beispiel moderner Anbetung wie attraktiv Ruhm und der Götterstatus nach wie vor ist. Trotz bekannter Nachteile. Sagen wir mal so: es brauch keine Paparazzis, um den Nachteil des Ruhms zu demonstrieren. Laura wird noch den einen oder anderen Kopf explodieren sehen.
WickDiv ist in jeglicher Hinsicht bunt und verlockend. Die Charaktere repräsentieren alles an Ethnien, Abstammungen, sexuellen Orientierungen und Meinungen, was man sich so vorstellen kann. Es ist ein wilder Trip und zwischendurch eine ziemliche Party. Die Geldmaschine rund um den Pantheon läuft, der Rubel rollt und der eine oder andere von uns wird sich im Fangirling wiederkennen. Spätestens, wenn von Conventions die Rede ist. Tatsächlich interessiert mich doch aber am meisten was der Zweck dieser ganzen Geschichte ist. Warum kehren sie wieder? Und was ist die Verschwörung hinter dem ganzen? Denn das eine oder andere läuft in dieser Recurrence mörderlich schief. Und natürlich interessiert mich ganz stark Lauras Schicksal, das am Ende des ersten Bandes mit dem wohl krassesten Cliffhanger schließt, den ich dieses Jahr in irgendeinem Medium gesehen habe. Das Design der Hardcover-Edition ist exzellent und ein ganz schöner Brummer. Man bekommt nichts geringeres als ein Hardcover des gesamten „Year One“, d.h. 11 Trades zusammengefasst in einem 400-Seiten-Türstopper von fast A4-Format. Kostet auch im Schnitt so über 30€. Als Gimmick gibt es etliche Seiten mit Writer’s Notes, Covers von anderen Künstlern und Gedanken zu jeder einzelnen Seite. Die Selbstbeweihräucherung der Autoren ist mir zwar stellenweise zu groß, aber die Informationen sind grandios. So erfährt man zum Beispiel, dass Lucis Äußeres auf David Bowie basiert und Amaterasus Look nicht ganz umsonst an Florence von Florence + the Machine erinnert. Die Deluxe Edition kommt außerdem mit glänzenden Pantheon-Symbol auf dem Cover daher und sieht echt schmuck aus. Der/die/das Pantheon gibt zu Beginn eines jeden Kapitels des aktuellen Status der Götter wider. Ist einer bereits gegangen, so steht dort nur ein Totenschädel. Kommt einer neu hinzu, ist das Symbol beispielsweise bunt. Als Luci gerade in den Knast wandert, sieht man ihr Symbol wortwörtlich hinter Gittern (siehe Foto oben). Also insgesamt ein ganz cooles Ding, oder? Einziger Haken bei der Sache: der Zeichnungen wegen hätte ich es nicht gekauft.
Warum? Sagen wir es mal so: ich bin mehr ein Fan von Comics die mal Papier gesehen haben. Man sieht WickDiv sehr stark an, dass alles auf dem digitalen Blatt entstanden ist. Die Übergänge, Verläufe, Zeichnungen sind alle sehr clean und lassen ein wenig den Superhelden-Background des Zeichners Kieron Gillen (mitgewirkt haben neben den genannten auch noch Matthew Wilson und Clayton Cowles) erkennen. Die Zeichnungen sind alle sehr eindimensional. Es gibt selten Panel auf denen Menschen und Hintergründe zu erkennen sind. Außerdem folgt das Layout sehr oft einem sehr einfachen Muster. Alles quadratische Panel. Oh alles rechteckige Panel – schön in einer Linie untereinander. Das System geht mal besser, mal schlechter auf. Es lässt Spannungspotential vermissen, wirkt sehr sauber und „einfach“. Auch den Figuren fehlt Dynamik. Sie sind oftmals in genau derselben Pose, mit derselben Mimik und Gestik dargestellt und dabei in oftmals sehr einfachen Posen. Die Panels bieten wenig Raum und gestalten die Szene selten aus. Was die kreativen Köpfe sehr gut können ist das Inszenieren von Schlüsselszenen und Covern. Insbesondere letztere sind mit ihren bewusst ikonischen Frontalansichten der Charaktere ein Hingucker. Wo es also an ein bisschen Schmutz und Dynamik fehlt, glänzt WickDiv mit seinen Ideen und herrlich subversiv-menschlichen Charakteren. Will ich weiterlesen? Ja! Am liebsten sofort. Aber an den Zeichnungen liegt es nicht.
Link zur Leseprobe von Image Comics
In „angelesen“ sammle ich die Eindrücke von Buchreihen, die ich lese. D.h. insbesondere von Manga, Comics und Graphic Novels, die ich noch nicht abgeschlossen habe und deswegen nur als Teil eines Ganzen betrachten kann. Wer andere Literatur sucht und die Meinung zu abgeschlossenen Reihen, findet die in ausgelesen, einer weiteren Rubrik hier im Blog. 🙂
Schreibe einen Kommentar