Serienlandschaft: Wenn Serien weiter gehen als ihre Vorlage … „American Gods“ Season 2 Besprechung

Hatten wir das nicht neulich erst? Genau. Vor exakt einem Monat habe ich hier meine Meinung zu einer Serie kund getan, die eine Literaturvorlage hat und die Grenzen dieser sprengt. In dem Beitrag habe ich mich gefragt, ob sie das noch im Sinne ihrer Vorlage tut? Das war „The Handmaid’s Tale“ Season 2 und die Antwort war ein überdeutliches „ja“. Nun habe ich eine weitere zweite Staffel einer Serie gesehen, deren erste ich großartig fand, deren Literaturvorlage ich kenne und liebe und die ihre Vorlage in der Adaption erweitert. Ist das Urteil aber ebenso positiv wie bei der Handmaid? Es gilt – wie immer – spoilerfrei für die Staffel, die ich reviewe. Nicht spoilerfrei für vorangegangene Staffeln.

Ragnarök

Nach dem Aufeinandertreffen der alten und neuen Götter am Ende der ersten Staffel ist der Groschen bei Shadow Moon (Ricky Whittle) gefallen. Sein Auftraggeber Mr Wednesday (Ian McShane) ist niemand geringeres als der nordische Gott Odin. All die illustren Personen, die er besucht sind ebenso Götter oder übermenschliche Entitäten, die er versucht davon zu überzeugen bei seiner Sache mitzumachen. Und diese Sache ist nichts anderes als der Krieg der Götter. Nach Odins und Easters Machtbeweis ziehen sich die neuen Götter um Media erst einmal mit eingekniffenem Schwanz zurück. Die alten Götter beziehungsweise der alte Gott und sein Gefolge bestehend aus Shadow, Mad Sweeney (Pablo Schreiber) und Laura (Emily Browning) machen sich weiter auf ihrem Road Trip durch die USA, um sich für den bevorstehenden Kampf der Götter zu rüsten.

„American Gods Staffel 2 | Offizieller Trailer | PRIME Video“, via Prime Video DE (Youtube)

Nachdem Odin/Wednesday all seine Verbündeten auf dem House on the Rock um sich sammelt und Shadow in einer Vision die wahre Gestalt der Götter zu Gesicht bekommt, schlagen aber die neuen Götter bereits ein weiteres Mal zu. Zu den herben Verlusten zählt u.a. dass Shadow gekidnappt wird, was einmal mehr bewusst macht, dass seine Rolle in dem Spiel der Götter größer ist als er sich bewusst ist. Das resultiert in Laura auf Rettungsmission und macht einmal mehr bewusst, dass Wednesdays/Odins Mission für die menschlichen unter ihnen ein umso gefährlicheres Unterfangen ist.

„Believe in me“

Was bereits in der ersten Staffel gut gelang, war einige der Rollen des Buches auszubauen. So bekam Laura von Anfang an eine ansprechende Nebenhandlung begleitet durch Mad Sweeney, der nach wie vor sein „Glück“ wiederhaben möchte. Namentlich die Münze, die Lauras untoten Körper lebendig macht. Wobei ihr zunehmend fauliges Fleisch immer mehr auseinander fällt. Lauras Irrfahrt Shadow zu retten, wird zwischenzeitlich eine bei der sie versucht wieder lebendig zu werden und dabei einmal mehr auf Wednesday reinfällt – und diverse andere Möchtegern-Heilsbringer. Wie kuriert man den Tod? Gar nicht. Oder vielleicht doch? Die Antwort darauf hat wohl nur die dritte Staffel der Serie, sofern die kommt. Lauras wieder erweckter Glaube an die Liebe und dass dieser eventuell nur durch die Münze entstand ist einer der Punkte, die in der Staffel adressiert werden – danke, dass wir über den Elefant im Raum sprechen. Was genau Lauras Weg sein soll wird in der Staffel gemächlich entwickelt. Und dann gibt es da die zarte Hoffnung, dass aus ihr und Mad Sweeney was werden kann. 😉 In jedem Fall sollte er in ihrer Nähe bleiben, dann hat er zumindest noch etwas „Glück“. Es ist einer der Comedy-Momente der Staffel, wenn er versucht ohne sie durchs Leben zu kommen. Sie und Bilquis (Yetide Badaki) sind die wohl größten Beispiele für Rollen, die in der Serie mehr Aufmerksamkeit und überhaupt erstmal Handlung bekommen, wo im Buch nur gähnende Leere herrschte. Und ohne zuviel zu verraten erkennt Bilquis die Zeichen der Zeit und ist ein deutliches Symbol für einen Charakter, der sich neu erfindet um zu überleben.

Mein persönlicher Favorit und ein Gespann, von dem ich gern mehr gesehen hätte, sind Salim (Omid Abtahi) und der Ifrit bzw. Dschinn (Mousa Kraish). Ähnlich Bilquis haben sie im Buch eigentlich nur eine kleine Rolle und werden als Beispiel für den Verbleib des Glaubens und das Leben in der „neuen Welt“ unter „alten Zwängen“ genannt. Ein Thema, das ausgebaut wird. Der Ifrit folgt Wednesday, weil er in seiner Schuld steht – und Salim weicht ihm nicht von der Seite. Nicht selten hinterfragt der Ifrit dabei Salims unerschütterlichen Glauben. Wednesday wünschte sich gar, dass Salim ihm huldigen würde, da der beneidenswert mit dem ganzen Herzen glaubt. Der betet aber einen anderen Gott an. Übrigens macht es sehr viel Spaß den Schauspielern auf Twitter zu folgen, die sich vor, nach und während der Staffel gegenseitig texten. New Media wäre entzückt.

Apropos Personalfragen: wie schon vor einer Weile berichtet sind nach Staffel eins zusammen mit dem damaligen Showrunner Bryan Fuller (u.a. bekannt durch Hannibal) einige Schauspieler abgesprungen. Die großartige Gillian Anderson und Kristin Chenoweth haben die Serie beispielsweise verlassen, womit Easter einfach nicht mehr auftaucht (sehr traurig!). Media bekommt kurzerhand ein Upgrade und wird als New Media durch Kahyun Kim als Ausgeburt sozialer Netze ersetzt. Zwar wird das sehr effektreich inszeniert und die letzten Episoden zeigen, dass ihr Media-Faktor noch nicht vergessen ist, aber so wirklich wird der Einfluss sozialer Netze nicht demonstriert, obwohl das Potential v.A. in punkto Fake-News, Influencern, „Anbetung neuer/falscher Götter“ und „Macht“ vielversprechend wäre. Nicht genutztes Potential. Auch das angebliche Upgrade von Technical Boy (Bruce Langley) erschließt sich nicht wirklich. Die offen ausgespielte (Über)Macht der neuen Götter ist spürbar anhand von Ergebnissen, aber nicht anhand des „Personals“. Ein Beispiel für die Charaktere, die einzig in der Serie auftreten und der Story recht gut dienen ist beispielsweise der Riese Argos, der den meisten durch das geflügelte Wort der „Argusaugen“ bekannt sein dürfte und passenderweise mit Massenüberwachung verbunden wird. Ähnlich wie Vulkan in Staffel eins demonstriert er die Sache als Überläufer zu den neuen Göttern recht gut. Sein Schicksal demonstriert ausgezeichnet wie sehr Wednesday alle Wesen manipuliert. Leider bemerken das aber auch alle vor Shadow.

„Your Gods are Dead“, via American Gods (Youtube)

Immer mit der Ruhe, wir haben bestimmt zehn Staffeln Zeit …

Obwohl Wednesday Shadow mehr als nur einmal und sehr wortwörtlich hängen lässt, folgt der ihm blind. Warum eigentlich? Weil sein altes Leben in Schutt und Asche liegt und seine Frau als Zombie durch die Gegend fährt? Wie zuvor bleibt der Charakter Shadow Moon nur schwach umrissen. Selbst dafür, dass er Göttern und Wundern begegnet, spricht er wenig und hinterfragt kaum. Nach den bereits im Buch ikonischen Szene im House on the Rock folgt eine größtenteils serieneigene Handlung, in der Odin versucht seinen legendären Speer Gungnir wieder zusammenzusetzen und den Weltenbaum Yggdrasil zum Wachsen zu bringen, was man als „sich für den Krieg rüsten“ bezeichnen kann. Während all dem bekommt Shadow genug Hinweise, dass Odin Dreck am Stecken hat und ignoriert die geflissentlich, was die Staffel erstens zäh macht und zweitens unglaubwürdig. Für Fans der Literaturvorlage ist es schwer zu schlucken, dass quasi nur Episode eins und kleinere Bestandteile der folgenden zwei Episoden an das Buch angelehnt sind und der Rest hinzuerdacht. Dementsprechend ist das Vorankommen der Handlung quasi nicht gegeben. Das kann normalerweise ignorieren, solange eine Serie sinnig ist. In diesem Fall kann sie ihre Vorlage übertrumpfen und die Botschaft besser rüberbringen. Schließlich ist sie adaptiert – niemand sagt, dass sie vorlagentreu sein muss. Das Problem ist nur: alles, wovon sich die Serie noch ernähren kann, sind die in Staffel eins gelegten Grundsteine. Alles, was in Staffel zwei dazukommt ist so inhaltsleer wie die Charakterzeichnung von Technical Boy, New Media oder Odins Roadtrip in Staffel zwei. In Anbetracht dessen wären die (neuen) Serienschöpfer gut beraten den Inhalt nicht noch mehr in die Länge zu ziehen. Das ging schon für andere, wirklich gute (bessere) Serien schlecht aus.

Fazit

Staffel zwei der Serie führt vieles fort, was in Staffel eins richtig gemacht wurde. Im Ausbauen der Nebencharaktere wie Salim und Laura hat es uns Identifikationspotential gegeben – und das deutlich mehr als der vermeintliche Hauptcharakter Shadow Moon. Außerdem wurde in Staffel eins noch erkannt, was die Welt bewegt und aktuelle Entwicklungen eingebaut. Das trumpsche Amerika, Waffenfanatiker, illegale und legale Einwanderung und Rassismus – nur einige Eckpfeiler des Realitätsbezugs. Aber leider legt Staffel zwei nicht nach und verschenkt viel Potential. Gegen Ende der Staffel wird immerhin Kapitalismus, urbanes Leben und Fake-News erwähnt, aber weniger effektvoll als man das in Staffel unter Fullerscher Inszenierung gesehen hätte. Es fehlen die künstlerisch wertvollen Szenen wie die in der Waffenfarbik, wo der Schweiß der Götter und die Anbetung der Fanatiker in die gusseiserne Ware fließt – mit Feuer und Hitze. Die Bilder sind deutlich weniger stark, das Produkt massentauglich und fordert weniger den Kopf. Man muss einfach Szenen wie das Verhör durch Mr Town hinnehmen und wenig hinterfragen. Es ist oberflächlicher geworden, aber noch nicht alles über den Haufen geworfen. Bitte findet zur alten Qualität zurück!

(7/10)

Sternchen-7

Zum Weiterlesen hier im Blog

Vergleich zwischen Buch und Serie: Neil Gaimans „American Gods“ vs. „American Gods“ Season 1
Buchbesprechung „American Gods“ von Neil Gaiman

Header image credit: unsplash-logoStefan Kunze

Wie ist eure Meinung zur zweiten Staffel? Empfindet ihr sie auch als schwächer als die erste und meint den stilistischen Unterschied zu Fullers Vision zu erkennen? Oder hat euch die Staffel mehr Spaß gemacht als die erste? Was vermutet ihr über das Schicksal der Figuren in Staffel drei? Und vor Allem: was vermutet ihr wieviele Staffeln die Serie schafft? Was war euer Highlight der Staffel? Für mich wird es (wie im Buch bereits auch) das House on the Rocks sein und die erkenntnisreichen Szenen danach.

Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei :).

Eine Antwort

  1. Ich fand die zweite Staffel doch auch deutlich schwächer als die erste – vielleicht ist das wirklich dem Weggang von Bryan Fuller geschuldet. Die Handlungsführung war dieses Mal relativ mäandernd (ich mag dieses Wort irgendwie 😉 ), so als wüsste man nicht so recht, wo man eigentlich hin will. Eine der Stärken der zweiten Hälfte der ersten Staffel war in meinen Augen auch, dass sie zwar vom Buch abweicht, aber sich mitunter so anfühlt, als hätte das entsprechende Material aus dem Roman stammen können (etwa die Vulkan-Episode). Im Gegensatz dazu war Staffel 2 dann am stärksten, wenn Material aus dem Roman direkt umgesetzt wurde, während der Rest sich irgendwie ziellos anfühlte. Immerhin gehen wir ja jetzt in Richtung Lakeside, ich bin also durchaus gespannt, wie es weitergeht und hoffe, dass die Serie ihren Fokus in Staffel 3 wiederfindet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert