Seufz. Zum dritten Band der Dunkler-Turm-Reihe schrieb ich „Endlich findet Stephen King in dieser Reihe eine Sprache, die ich eher verstehen kann. Und verstehen will. Nach nun inzwischen so vielen Seiten […] kann ich sagen, dass ich das erste Mal wirklich von der Geschichte des Revolvermanns angefixt bin […]“ Zu den Dingen, die ich am dritten Band der Reihe mit dem klingenden Namen tot. so großartig fand, zählte das allmähliche Verknüpfen der Welten, der erkennbare Mythos und die Weiterentwicklung der Charaktere. Auch die klare Linie mit der unser Ka-Tet von einer abwechslungsreichen Etappe zur nächsten auf dem Weg zum Dunklen Turm stürzt. Im vierten Band ist von all dem wenig zu erkennen, da sich Stephen King offenbar daran machte ein lange überfälliges Kapitel aus Rolands Geschichte zu erzählen. Sein Trauma, das Ende seiner Kindheit, sein Erwachsen werden, seine erste Liebe und große Verluste. Zu schade, dass er dafür 950 Seiten braucht und es alles das vermissen lässt, was zuvor anfing mich so für die Reihe zu erwärmen.
Toto, I’ve a feeling we’re not in Kansas anymore!
Am Anfang löst Glas aber erst einmalig den sehr offensichtlich und sehr effektiv platzierten Cliffhanger vom Ende des dritten Bandes auf. Endlich erfahren wir, ob oder viel interessanter wie unser Ka-Tet bestehend aus Roland, Jake, Susannah, Eddie und Oy die Fahrt mit Blaine, the Mono unbeschadet überstanden hat. Ich muss gestehen, dass die Auflösung mich etwas weniger von den Socken gehauen hat als die ganze Einleitung Blaines und die Fahrt an sich. Was das Ka-Tet danach vorfindet, gibt ihnen Rätsel auf. Das „Zauberer von Oz“-Zitat steht nicht ohne Grund im Titel. Offenbar sind sie in einem Kansas gelandet, aber in keinem, dass sie kennen. Und offenbar wurde dieses Kansas von einer Pandemie heimgesucht. Wer jetzt nicht als erstes an Corona denkt und mit Kings anderen Werken vertraut ist, denkt vielleicht beim Name der Grippe, Captain Trips, an The Stand und erkennt wie Stephen King seinen Dunklen Turm weiter als Multiversum seiner Werke webt.
Als sie weiter durch diese verwüsteten Lande ziehen, wird Roland an seine Vergangenheit erinnert und löst das Versprechen ein, dass er einst Eddie und Susannah gab. Dass die Zeit kommen würde, wenn er ihnen alles erzählt und sie ein gutes, altes „Palaver“ haben. Rolands Rückblick beginnt dort, wo er zuletzt endete. Nachdem „der gute Mann“ John Farson Roland auf dem Kieker hatte, schickt Rolands Vater ihn weg. Vordergründig sollen seine Freunde Cuthbert, Alain und er sich als Söhne von Ranchern ausgeben, die eine großräumige Inventur in der Baronie Mejis durchführen sollen. Unter der Hand ist es ein Geheimauftrag um den Machenschaft Farsons auf die Schliche zu kommen. In jedem Fall müssen sie verheimlichen, dass sie Revolvermänner sind und sollen möglichst unter dem Radar fliegen. In Mejis angekommen verliebt sich Roland in Susan Delgado, die dem Bürgermeister Hart Thorin als Zweitfrau versprochen wurde.
Zwischen beiden herrscht sofort eine unverkennbare Chemie, es ist romantisch, es knistert – beide können nur bedauern, dass sie sich nicht etwas früher getroffen haben. Susan selber ist resolut, kommt sich immer mehr wie Vieh vor, dass man an einen alten Kerl verkauft hat und beginnt zu rebellieren. Das Ka-Tet um Roland, Cuthbert und Alain deckt außerdem so einiges an Korruption in Mejis auf. Ein Konflikt ist unvermeidlich. Und in dieses Geflecht, das geboren ist um aufzufliegen, mischt sich auch noch die Hexe Rhea von Cöos, die im Besitz einer magischen Glaskugel ist, die die Geheimnisse und Begierden der Menschen aufzeigt und durchaus im Stande ist die Menschen zu beeinflussen.
„Wie lange sind wir hier, Roland?“
Ausgezeichnete Frage, Eddie. Als Eddie die stellt und Roland relativ am Ende seines Rückblicks ist, sind wir so bei Seite 882. Es ist also nicht übertrieben zu sagen, dass Rolands Geschichte aus Mejis und von Susan gut 85% des Buches einnimmt. Stephen King nimmt sich dafür jede Menge Zeit. Er erzählt immerhin die ganze Lebensgeschichte Susan Delgados und einiger Menschen aus Mejis, er nimmt sich Zeit für ihre Charakterisierung und für die Western-angehauchte Atmosphäre in Mejis. Für das harte Farmleben und die Erwähnung von Bruchstellen im (Viele-)Welten-Gefüge. Er nimmt sich auch Zeit um detailliert zu beschreiben wie sowohl die alte Hexe und der alte Bürgermeister Susan befingern und allen möglichen anderen mysogynen Scheiß, der wahrscheinlich die Hormone von irgendwem zum flattern bringen soll. Man liest aus meiner Wortwahl heraus, dass ich das nicht so amüsant fand. Ergo: wer sich für dieses mysogyne, vornehmlich western-angehauchte Kapitel nicht begeistern kann, wird ähnlich unzufrieden mit dem Buch sein wie ich. In der Literatur über die Dunkler-Turm-Reihe wird die Romanze zwischen Susan und Roland als die bedeutungsvollste Liebesgeschichte der Bücher angepriesen. Und ähnlich bedeutungsschwanger beginnt der Band mit einem Auszug aus Shakespeares Romeo und Julia und ich kann mich kaum entscheiden, ob ich das hoffnungslos unpassend oder kitschig finden soll.
„Er nahm den Blick nicht von ihren Augen, und sie sah in den seinen etwas vom wahren Roland: die tiefe Romantik, mit der sein Wesen ausgestattet war, eine Romantik, die wie eine sagenhafte Ader fremden Metalls im Granit seiner Sachlichkeit begraben war.“ p.359, ach ich weiß nicht … vielleicht ist das romantisch für Revolvermänner!?
Tatsächlich kommt die Chemie zwischen Roland und Susan sehr gut rüber, aber sie ist eher körperlicher natur und weniger blumig als die Beziehung Romeos und Julias. Und durch Stephen Kings nicht immer eloquente Wortwahl ist das ungefähr so wie Äpfel und Eier zu vergleichen. (Äpfel und Birnen wäre noch zu nah dran.) Die Liebesgeschichte der beiden hat mich über weite Strecken gekriegt, aber die weiteren Strecken waren ein unglaublicher Abturner. All die korrumpierten Charaktere in Mejis hätte ich in der ausschweifenden Länge nicht gebraucht um die Pointe zu verstehen. Am schlimmsten ist aber das unvermeidliche Ende auf das Susan Delgado zusteuert.
Obwohl erklärt wird, wer warum wie gehandelt hat und vielleicht unter dem Einfluss von „Maerlyns Pampelmuse“ (der rosa Glaskugel) stand, wirkt das für mich erstens nach allem was Roland, Susan und seinen Freunden passiert ist ziemlich out of character. Bitter, aber schwer sinnvoll im Kanon der Reihe nachvollziehbar. Man kann sich das zurechterklären wie Stephen King das so hinlegt, aber was unter dem Strich für mich rauskommt ist nur, dass Susan ein Plot Device ist um zu erklären wie Roland so ein harter, kalter Hund wurde. Und das hat bei Weitem nicht die Wirkung, die das Foreshadowing verspricht.
„Es ist Ka, jedermanns beliebtester Sündenbock“
Klar ist, dass das jeder anders liest. Manch einer von euch da draußen, mag das eher verzeihen. Susan als tragische Figur zu kennzeichnen ist jedenfalls gelungen („Vogel und Bär und Fisch und Hase“). Aber der langatmige Rückblick und das Gefühl 800 Seiten einem dürftig aufgelöstem Plot Device gefolgt zu sein, schmeckt ziemlich fade. Schon im Vorfeld wurde vieles in dem Buch mit Ka, dem Schicksal, erklärt. Und selten hat Ka für mich so wenig funktioniert wie in diesem Buch. Denn selten war es so ein einfacher Vorwand für die Dinge, die passieren; die Taten und Entscheidungen und dafür, dass Menschen(schicksale) wie heiße Kartoffeln fallen gelassen werden. Und für Zauberkugeln, die alles verändern und gar keinen „inneren Struggle“ gegen ihren Einfluss erkennen lassen.
Natürlich trägt der Band stark zur Charakterisierung Rolands bei, aber durch den Verlust seiner Familie, Freunde, Heimat und von bereits ein Mal Jake hätte es diesen aberwitzig langen Rückblick vielleicht gar nicht gebraucht. Und das Zitat rund um Ka beweist auch, dass sich Stephen King seines zweiten großen Plot Device namens „Schicksal“ durchaus bewusst ist. Immerhin schließt sich am Ende nochmal der Kreis mit einer Referenz zum Zauberer von Oz und der scharlachrote König wird soweit ich mich erinnere das erste Mal erwähnt. Werde ich weiterlesen? Ja, wenn ich soweit gekommen bin, schon. Aber mit deutlich weniger Freude als ich im dritten Band empfunden habe. Fun-fact: Im Nachwort sagt King er habe 26 Jahre pausiert während des Schreibens dieser Etappe.
Fazit
Fans von „schicksalsgetriebener“, mysogyner Western-Romantik haben vielleicht Freude mit dem Band.
Besprechung zu Teil 1 „Schwarz“
Besprechung zu Teil 2 „Drei“
Besprechung zu Teil 3 „tot.“
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-453-87669-3, Heyne Verlag
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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