In der Nacht vor Weihnachten gibt es allerlei Chaos in einer kleinen Gemeinde. Alles fing damit an, dass der Teufel den Mond gestohlen hat. Damit wollte er sich an dem Schmied Wakula rächen, der in der örtlichen Kirche ein Bild über die Vertreibung des Teufels gemalt hat. Ein schrecklicher Schneesturm wirbelt danach alles durcheinander. Währenddessen buhlt Wakula um die schöne Oxana, die aber eine stolze Forderung hat. Er kann sie zur Frau nehmen, wenn er ihr die Schuhe der Zarin als Geschenk bringt.
Nikolai Gogol gilt als einer der bedeutendsten russischsprachigen Schriftsteller und sein Die Nacht vor Weihnachten wurde mir von einer Freundin und Landsmännin Gogols empfohlen. Müsste ich es einordnen, würde ich es als Märchen mit einer guten Portion Komik sehen. Die Ausgabe aus dem Insel Verlag hat zudem stimmungsvolle, farbige Illustrationen von Mehrdad Zaeri; die teils abstrakt sind und sich den Schlüsselszenen widmen. Anfangs hatte ich allerdings meine liebe Müh‘ und Not mit der Erzählung und kam eher schwer rein. Zum Einen neigt Gogol zu langen Bandwurmsätzen, es treten direkt am Anfang irre viele Personen auf und zum Anderen sind die langen Sätze teilweise voll mit Begriffen, die ich nicht kannte. Es gibt übrigens ein Glossar, darin werden aber sehr wenige davon aufgeführt. Auf den ersten Seiten habe ich quasi nur Fragezeichen gesehen und hatte das Gefühl alles nochmal sezieren zu müssen, um überhaupt zu verstehen, worum es geht. Als Beispiel dient mal die nachfolgende Passage:
„Wäre in dem Moment der Sorotschinsker Gerichtsassessor in der Troika mit seinem Gutspferd vorbeigefahren, mit seiner nach Ulanenart gefertigten, lammfellverbrämten Mütze und dem dunkelblauen, mit schwarzem Karakul gefütterten Schafspelzmantel, mit der teuflisch geflochtenen Peitsche, mit der er seinen Kutscher anzutreiben pflegte, dann hätte er sie gewiss bemerkt, denn dem Sorotschisnker Gerichtsassessor entgeht keine einzige Hexe auf der Welt.“ p.8
Troika? Karakul? Ulanen? Der Satz ist einfach vollgepropft mit Beschreibungen, ein paar halbwegs oder auch gar nicht bekannten Begriffen und nach hinten raus eigentlich unsinnig, weil der Gerichtsassessor nicht da war und die Hexe demzufolge nicht sehen konnte. Ich brauchte ein, zwei weitere Seiten, um zu verstehen, dass auch in solchen Passagen die Komik der Geschichte liegt. Es ist ein anderes Lesen als wenn man zeitgenössische Texte liest. Das letzte Mal hatte ich das Gefühl wahrscheinlich als Schülerin, wenn mir jemand klassische Texte hingelegt hat. Heißt so richtig ist der Funke im ersten Drittel nicht übergesprungen, auch weil durch die Masse an Beschreibungen und Charakteren die Kausalkette ins Hintertreffen gerät und man nicht gut nachvollziehen kann wie eine Aktion zur nächsten führt. Danach bin ich aber warm mit der Erzählung geworden. V.A. desto öfter die Figuren auftreten und man sich langsam an sie gewöhnen und einordnen kann.
Gogol wirft ein satirisch-liebevolles Bild auf seine Charaktere. Da gibt es die zahlreichen Herren, die des abends mit eindeutigen Absichten bei der Solocha anklopfen und die sie dann in Kohlensäcken verstecken muss, damit sie sich nicht gegenseitig begegnen. (Wieviele Würdenträger passen wohl in einen Kohlensack?) Oder auch Oxana, die nicht mein Lieblingscharakter wurde, weil sie so gerne vor dem Spiegel steht, lobt wie wunderhübsch sie doch ist und auch am liebsten darüber mit anderen spricht wie schön sie ist. Obwohl der Schmied Wakula es gern anders hätte, ist er aber in sie verliebt und möchte sie heiraten. Ob er es dann schafft ihr die Schuhe der Zarin zu beschaffen? In der Nacht vor Weihnachten?
Solche Episoden wie die mit den Kohlesäcken sind schon herrlich witzig. Wenn ich russische und ukrainische Bücher lese, erhoffe ich mir immer mehr über die Lebensweise, Kultur und Traditionen aufzuschnappen. Zum Teil hat das funktioniert. Ich denke an die Tradition des Umhergehens und Singens die darin erwähnt und mit Speisen belohnt wird. Oder an Gerichte wie Wareniki, die ich schon mal gegessen habe und Kutja – das leider noch nicht. Manches geht aber nur mit reichlich nebenbei nachlesen, was natürlich auch lohnenswert ist (aber vielleicht nicht unbedingt entspannt). Was ist eigentlich ein Kosak?? Tausendmal gehört, Bilder gesehen, aber kann ich es wirklich einordnen? Jetzt besser. Nach hinten raus war Die Nacht vor Weihnachten einfacher zu lesen, zum schmunzeln, kurzweilig und ich habe etwas gelernt. Ziemlich turbulente Nacht vor Weihnachten.
„Auf allen Gesichtern, wohin man auch blickte, war der Feiertag zu erkennen: Der Gemeindevorsteher leckte sich die Lippen bei der Vorstellung wie er mit seiner Wurst das Fasten brechen würde; die Mädchen überlegten, wie sie mit den Burschen über das Eis gleiten würden; die alten Frauen flüsterten eifriger als sonst ihre Gebete.“ p.112
Fazit
Anfangs etwas überfrachtet, nach hinten liebevoll-satirisches Weihnachts-Märchen.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-458-19485-9, Insel Verlag
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich normalerweise zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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