Das gehörte Wort … Hörbuch-Besprechung zu „The Sandman: Act II“

Wo sich nun inzwischen schon Act III in meiner Hörbuch-App einreiht, wird es wohl Zeit über Act II der Reihe nach den Sandman-Comics von (u.a.) Neil Gaiman zu sprechen. Von dem ersten Sandman Hörspiel war ich hin und weg. Vor Allem war es der lange erhoffte Einstieg in das Universum der „Endless“ und „Lord of Dreams“, der mir bisher dadurch verwehrt blieb, dass ich mich mit der Optik der Comics nicht anfreunden konnte. Aber diese Neugier! Das erste Hörbuch war mit seinem großartigen Sprechercast (Neil Gaiman als Erzähler, James McAvoy als Dream/Morpheus, Riz Ahmed, Kat Dennings, unvm.) außerdem die perfekte Einstimmung auf die Serienadaption. Aber jetzt erstmal: wie war Act II?

Grob zusammengefasst ist Act II eine Sammlung zwei größerer Sandman Story Arcs (Season of Mists, A Game of You) und diverser, einzelner Storys aus Fables & Reflections. Ähnlich wie man das schon aus dem ersten Hörspiel kennt, tritt Dream nicht in allen in Erscheinung. Das scheint auch einer der größeren Kritikpunkte zu sein, wenn man über viele Reviews querliest. Was geblieben ist: es ist wieder ein Hörspiel mit verteilten Sprecherrollen für die der Cast größtenteils wieder zurückkommt. In einer Review las ich den Begriff Audiomovie, der sehr passend ist. Schließlich ist die Qualität des Hörspiels großartig gemessen an der Vertonung, den verteilten Rollen, dem Cast bekannt aus Film & Fernsehen, den epischen (und vielleicht sogar zu lauten) Einspielern zwischen den Kapiteln und gar den Liedern (in Act II!). Neil Gaiman tritt wieder in einer Rolle als Sprecher auf, der verdrahtet, was wir sonst im Comic (mit oder ohne Erzähler aus dem Off) selber verknüpft hätten. Denn so häufig sind aus dem Comic-Format adaptierte Hörbücher verglichen zu Adaptionen aus Romanen nicht und ich würde gern vergleichen können, ob und wieviel der reine Text des Comics ergänzt werden musste. Schließlich gibt es hier eine nicht näher zu bezeichnende Menge an Informationen, die man aus Comics rein visuell wahrnimmt und die hier vermutlich durch Gaiman vorgetragen werden.


The Sandman: Act 2 Trailer (2021) James McAvoy, Kat Dennings | Audible, IGN, Youtube

Season of Mists ist offenbar der gesammelte Band 4 der Sandman Comics. Darin steckt Lucifer scheinbar in einer Lebenskrise und macht den Laden dicht. Jawohl. Er übergibt kurzerhand Dream den Schlüssel zur Hölle und sagt „mach was draus“. Das ist mal ein, ähm, interessantes Angebot. Dream hat um diesen plötzlichen Ruhm nicht gebeten und v.A. nicht um die nachfolgende Aufmerksamkeit für seine Person. Die plötzliche Brachfläche auf dem überirdischen Immobilienmarkt ruft alle möglichen Entitäten auf den Plan, die bei Morpheus vorsprechen und der Meinung sind, dass sie den Platz für sich beanspruchen wollen. Manche bieten Morpheus im Gegenzug als Bestechung etwas an, das er kaum abschlagen kann. Wird er seine Objektivität behalten? Und wie sieht die Lösung für den Überhang an Platz aus? Reißt die plötzliche Brachlage ein Loch in das Gefüge der Endless? Durch die recht eindeutigen und gewichtigen Angebote all der Besucher:innen erfahren wir auch einige Details über Dream und seine Familie, die uns zuvor verwehrt blieben. Manches wird auch nur sehr wirkungsvoll angeteasert. Die Zwickmühle Dreams ist spürbar und es ist ganz spannend zu sehen wie viele Besucher aus allen möglichen Welten, aller Couleur und Götter verschiedenster Mythologien und Glaubensrichtungen sich die Klinke in die Hand geben . Manche vertragen sich gut miteinander. Andere nicht.

Um Band 5 der Comics handelt es sich wiederum bei A Game of You, das einen bekannten Charakter wiederbringt, wo wir sie am wenigstens erwartet hätten. Um Barbie. 🙂 Genau, die Barbie, die in Act 1 The Doll’s House mit Rose Walker kurzzeitig unter einem Dach lebte. Nach der Trennung von ihrem Freund lebt sie mit anderen Frauen und einem mann in einem Apartmentblock und sie schlagen sich mit jeweils sehr eigenen Hoffnungen und Ängsten durch. Barbie träumt schon eine Weile nicht mehr. Die Bewohner ihres Traum-Habitats brechen brechen aber in die Welt der Wachenden aus und überbringen Barbie eine Botschaft: in Barbies Träumen lauert eine Gefahr für beide Welten. Barbie kehrt also zurück in ihre Traumwelt und nimmt ihr früheres Ich aus besseren, rosigeren Zeiten an – „Prinzessin Barbie“. Da ich mich an Barbies Traumwelt als Prinzessin aus Act I gar nicht erinnern konnte, hatte ich beim Hören ständig das Gefühl irgendwas verpasst zu haben. Müsste ich wiedergeben was die Kritikpunkte anderer Hörenden war, scheint es v.A. sauer aufzustoßen, dass Dream (weitläufig, aber nicht komplett) abwesend ist und Act II damit für viele irrelevant wirkt.

Der sehr Barbie-zentrierte Teil von Act II wird auch nicht selten in dem Zuge kritisch genannt. A Game of You nimmt relativ viel Raum ein, ca. ein Drittel. Alles nur am Auftreten Dreams zu messen, scheint mir als ein sehr hartes Urteil. Schon aus vorherigen Kapiteln wissen wir, dass die Geschichte von Dream eben auch die seines Realms ist. Und in der Traumwelt blüht Barbie schließlich auf und ein vergessenes „Etwas“ gewann dort unverblümt viel Macht. Außerdem ist A Game for You ein für die 90er (es erschien ab 1991) recht mutiges und konsequentes Werk. Schließlich wurde das Comiclesen oftmals als ein Medium mit vorrangig männlichen Lesern angesehen/missverstanden, die Interesse an vorrangig männlichen Helden haben. A Game of You hat vorrangig weibliche Protagonistinnen, dazu noch verschiedener Persönlichkeitsmerkmale wie das lesbische Paar Hazel und Foxglove und die Transfrau Wanda, die alle Nachbarinnen Barbies sind. Wie das eben so ist, kam nun, 30 Jahre später, Kritik an Gaiman & Co. auf wie Wanda dargestellt wurde und ob das nicht sogar transfeindlich wäre, da Wanda in einer regelrechten tour de force immer wieder die Anerkennung als Frau verwehrt bleibt. Gaiman nahm dazu Stellung (Quelle: Sandman: Neil Gaiman Rejects Argument That ‚A Game of You‘ Was Anti-Trans, 02.08.2021). Nun bin ich selber cis und daher an den Lesarten anderer sehr interessiert, kann mir nur sehr eingeschränkt eine Meinung zu dem Aspekt bilden.

Dass Dream nicht in allen Geschichten als Protagonist auftritt, wird auch in den anderen Sidestorys so bleiben. Und ja, was die Relevanz der ausgewählten Episoden betrifft, kann man schon etwas ungeduldig werden. V.A. weil Act I relativ viel die Abwesenheit von Destruction angeteasert hat oder auch den Zwist zwischen Desire und Dream. Konflikte unter den Endless kommen hier aber nicht besonders groß zum Tragen. Zwar finde auch es etwas schade, dass die verhältnismäßig wenig Teil von Act II waren, aber einige der Geschichten haben trotzdem großen Eindruck bei mir hinterlassen. Season of Mists ist dafür beispielsweise sehr persönlich und Dream bekommt die Gelegenheit mit einem Teil seiner Vergangenheit abzuschließen. Zwar fand ich A Game of You nur mäßig spannend, aber ich war beeindruckt von dem konsequent weiblichen Cast/Figuren. Außerdem zeigt die Geschichte was für Chaos es auslöst, wenn Wesen der Traumwelt in der der Wachenden auftauchen (armer Martin Tenbones – den sah man ja auch kurz in der Serie!).

So gesehen ist der rote Faden von Act II vielleicht tatsächlich eher das Fortsetzen der Geschichten rund um die Beziehungen Dreams und aufzuzeigen wie groß die Bedeutung von Träumen ist. Denn die Episoden aus Fables & Reflections entführen uns u.a. ins antike Rom, in den Orient und erzählen die überraschenderweise größtenteils wahre Geschichte von Joshua Abraham Norton (erster und letzter Kaiser der USA – wahren Begebenheit). Eine relativ kurze Geschichte, die mich aber total umgehauen hat, ist die von Orpheus, Dreams Sohn. Inklusive dem Song of Orpheus – wow, so schön! Insgesamt ist Act II auch für mich etwas schwächer als der erste, aber immer noch en wahnsinnig gutes Hörspiel. Man kann argumentieren, dass wir durch den ersten schon viel über das Reich der Träume gelernt haben und es all dieses Auffrischen nicht bräuchte. Aber das Ausloten der Möglichkeiten ist schließlich auch ein Teil des Spaßes. Nur wirken die Gefahren nicht so imminent, was schon an der Spannungskurve dreht.

Der Beitrag heute ist das 8. Türchen des Booleantskalenders. Schaut gern mal in die anderen Beiträge. 🙂 Habt ihr Act II gehört oder die entsprechenden Comics gelesen? Was ist eure Meinung? Ein typischer schwacher, zweiter Teil oder eine gelungene Fortsetzung? Da ich nun inzwischen Act III höre, kommt es mir ja doch so vor als ob Act II zwangsläufig sehr viel vorbereiten musste und lange Wege zurücklegte, die für Act III notwendig waren.

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