Als ich anfing zu bloggen, fand ich einen Katalysator für den Wunsch nach Austausch und den Drang zu schreiben. Mein Blog sollte außerdem mein erweiterter Mindpalace sein, der so Dinge festhält wie Empfindungen und Meinungen über Medien. Weil ich eben auch mal was vergesse. Welcher Film von Kathryn Bigelow ist mein liebster? Und was hat mich doch gleich an diesem einen Buch fasziniert, was gestört? Das alles können im Einzelnen auch Excellisten, ein Tagebuch, soziale Netze und Gespräche im real life erledigen. Aber nicht alles in Summe. Als ich anfing zu bloggen, sagte mir aber auch eine damalige Kommilitonin: „Bloggen ist doch jetzt schon tot“. Das tat weh.
Viele Jahre war das für mich unerheblich, weil ich eine gewisse, kleine Bubble gefunden habe. Eine, in der ich lese und die mich liest und das macht mich sehr glücklich. Als ich mich neulich an einem Wochenende aber hinsetzen und Kommentare beantworten wollte, sah ich, dass es keine neuen gab. Ich sah auch, dass zwei von mir geschätzte Bloggende aufhörten und Abschiedsartikel schrieben. Dann wiederum las ich zwei Artikel großer Zeitungen und Online-Portale, die das „personal blogging“ zurückforderten. Tja, was soll es denn nun sein? Quo vadis, Blogging? Das entscheiden letzten Endes die Lesenden. Und doch habe ich mal zusammengetragen, was ich als die Chancen des Bloggings als Teil der Netzkultur sehe.
Die Vielfalt an Inhalten
Das erste Argument für das Bloggen ist auch das schwächste und allgemeinste. Seitdem es das Internet gibt, werden Inhalte von Privatpersonen und Business in den elektronischen Äther gestopft. Die Themenvielfalt ist sicherlich mit dem sogenannten Web 2.0 explodiert, damals eben vorrangig auf Textebene. Es gab plötzlich Wikis, CMS und Blogsoftware, die jeder bedienen kann. Heute gilt diese Themenvielfalt aber auch für alle anderen Darreichungsformen wie Podcasts und Videoformate. Daher: das schwächste und allgemeingültigste Pro-Blog-Argument. 😉
Blogs sind zeitsparend
Hier gehen sicherlich die Meinungen auseinander und die Wahrnehmung ist von Konsument:in zu Konsument:in unterschiedlich. Für diejenigen, die nur 10-min-Podcasts hören, aber „2000 Zeichen pro Tag“-Blogs lesen (gibt es das?), wird die Rechnung wohl nicht aufgehen. Nehme ich mich als Datengrundlage, dann finde ich in meinem Podcatcher hauptsächlich Episoden verschiedener Casts, dere Episoden 28 Minuten bis über zwei Stunden Spieldauer haben. Sowohl in meinem Podcatcher, als auch in meinem Feedreader sind aber schon viele unterschiedliche „Content Creators“ abonniert. Von Youtube fange ich erst gar nicht an, da komme ich schon seit Jahren nicht hinterher. Es ist ein Überangebot, das schier unzähmbar erscheint und daher nie lückenlos konsumiert werden kann. In meinem Fallbeispiel kann ich aber 20 Blogartikel in der Spielzeit einer einzigen Podcastepisode lesen. Das wissenschaftlich zu sezieren oder das „Ergebnis“ messbar zu machen, erscheint mir fast unmöglich. („Was ist der Gewinn der beiden im Vergleich?“ „Bringen die 20 Artikel mehr als die 28 Minuten Casts?“ Wie misst man das? „Waren die vermittelten Informationen im Podcast tiefgründiger, oder wurde einfach viel gelabert?“ etc.) Hier stehen sich einfach blanke Summen gegenüber, die vielleicht auch nur für mich aufgehen. Tatsächlich sind über einstündige Podcast-Formate für mich immer noch schwer zu verfolgen und fast eine Wochenaufgabe, für die zog andere Casts hinten runterfallen – wie übrigens auch Blogartikel. Nur ist die Masse hier scheinbar größer, aber leichter zähmbar.
Es braucht wenig um Blogs zu lesen
Wenn einigermaßen responsive, dann können Blogs in Feedreadern, Apps und einfach auf der Webseite gelesen werden. Sie sind dann über alle Endgeräte verfügbar, die entsprechende Apps oder mindestens über einen Browser verfügen. Was braucht es also? Im Zweifelsfall eben nur Internet. Bei Podcasts sieht das inzwischen ähnlich aus, bei Videoformaten gilt dasselbe. Kopfhörer sollten es dann aber zumindest in der Öffentlichkeit schon sein und bei Videos gibt es eben je nach Inhalt kein „Freihand-Hören“. D.h. irgendwann wird man mal hinschauen wollen. Klar, einen Blog kann ich nicht beim Schnippeln während des Kochens lesen. Also manche vielleicht, ich nicht. Alles hat seinen angedachten Zweck, manches geht hier und da besser als anderes. Trotzdem brauche ich weniger um beispielsweise Blog zu lesen.
Blogs sind durchsuchbar
In vielen Fällen werde ich auf die Podcasts und Videos gar nicht aufmerksam, die mir Lösungen versprechen. Neulich wurde in einem Podcast über Scrum eine Frage beantwortet, über die ich selber schon lange mariniere. Suche in der Suchmaschine brachte nichts hervor. Klar – der Inhalt war auf der Tonspur, nicht in der Beschreibung des Podcasts, nicht im Titel. Transkripte werden nicht zwingend zur Verfügung gestellt oder seo-wirksam ausgewertet. Und so ist der Inhalt an und für sich da, aber für niemanden durchsuchbar. In Podcasts und Videos wird u.a. durch tagging dagegen gearbeitet oder durch das markieren von Segmenten innerhalb von bspw. Youtube-Videos. Der Blog geht aber in vielen Fällen als Ganzes in die Auswertung im Index ein. Andersrum: wenn ich auf einer Webseite suche, finde ich gleich den Abschnitt durch Schlüsselwörter und bin in Sekunden an der Stelle, wo ich hinwill. Podcasts kompensieren das häufig durch ein Inhaltsverzeichnis, das mich aber meist trotzdem nicht zu der konkreten Stelle führt, sondern nur zum dem Näherungswert.
Sie sind die Single-source-of-truth
Häufig unterscheidet sich die Darstellung von Podcastepisoden stark nach Podcatcher oder wie auch immer man sie konsumiert. Ich hatte schon Apps, die nicht die ganze Beschreibung des Podcasts übernehmen oder keine tags. Manchmal nicht mal die URL zum Podcast. Häufig finde ich manche Podcasts eben nur in Spotify oder im Podcatcher oder auf der Podcast-Webseite. Es gibt keine mir bekannte Möglichkeit wirklich alle Podcasts in einem Feed zu vereinen. Blogs sind textbasiert und leichter integrierbar. Sie haben meist die eine Quelle, wenigstens die Quell-URL.
Blogs sind (meist) interagierbar
Es gibt natürlich jede Menge Bloggende, die sich dagegen entscheiden Kommentare auf ihren Plattformen zuzulassen. Die Gründe sind vielfältig. Hatespeech – ich kenne mindestens drei von Frauen geführte Gaming-Blogs, die diesen Schritt gehen mussten, um ein ruhiges Leben zu haben. Anderer Grund auf Kommentare zu verzichten: mangelnde Zeit für die Moderation. Aber letzten Endes führen viele Blogs, um zu ihren selbst gewählten Themen eine Plattform für Austausch zu ermöglichen. Podcasts werden häufig durch Podcatcher konsumiert, also Apps die ähnlich Feedreadern die Folgen auflisten. Die Podcatcher heißen aber nicht umsonst catcher, weil sie die Folgen abgreifen, aber keine Reaktionen zurückspeisen. So gehen den Podcastern die Kommentare in einzelnen Apps und dortigen Bewertungen o.Ä. verloren. Ich habe schon von einigen Castern gehört, dass sie das sehr bedauern. Dass ihnen Feedback häufig entgeht oder es als frustrierend wahrgenommen wird, kein Echo zu bekommen. Auch dass man eben social media als Ersatz für die Kommentarspalte nutzt. Natürlich funktioniert das auf Blogs auch nur ansatzweise besser. Wer nie die Blogs öffnet, sondern auch nur im Feedreader liest, verzichtet häufig darauf einen Kommentar dazulassen. Leider auch ein Grund, warum viele Bloggende das Handtuch schmeißen. Auch ich bin frustriert deswegen. Wie komme ich dann also zu meiner Einschätzung, dass Kommentare und Feedback ein typisches Blog-Ding sind? Sagen wir mal so: ich lese viel Blogs und höre viel Podcasts. Kommentare sehe ich aber nur unter „klassischen“ Blogs und fast nie unter den Podcasts. Und das ist eigentlich sehr sehr schade.
Blogs tun etwas für die Lese- und Schreibkompetenz
Das ist jetzt der Punkt, an dem ich mich wohl etwas weiter aus dem Fenster lehne. 😀 Ist das denn so? Habt ihr meine Tippfehler schon gezählt? Ich behaupte trotzdem, dass Blogs etwas für die Lese- und Schreibkompetenz tun. Als „Produzent:in“ brauch man beides, als „Konsument:in“ fördert man immerhin die Lesekompetenz. Ich empfinde das zumindest so. Auch stilistisch und inhaltlich hinterfrage ich deutlich mehr, was ich da zu Papier bringe. Ist die Beweisführung schlüssig? Springe ich in meinen Gedankengängen? Ich denke mehr über das Schreiben nach als ich es vor der Bloggerei getan habe und bekomme darüber auch Feedback, was mir hilft. Ich denke ernsthaft, dass mir das gut tut und vielleicht sogar meine Analysekompetenz gestärkt hat. Letzteres weisen all jene, die Videos und Podcasts skripten natürlich genauso auf.
Irgendwas mit Internet
Wo wir gerade bei Kompetenzen sind, erfordert das Bloggen auch einen bewussten Umgang mit dem Internet, digitaler Präsenz, Technik (wenn man beispielsweise selber hostet oder selbster administriert) oder vielleicht sogar Rechtssituation. Ist das jetzt die Schattenseite …? Das überlasse ich euch zu beurteilen, aber ich denke das ist so ein Fluch-Segen-Ding.
Nicht jeder hält gern sein Gesicht in die Kamera
Geht man in’s Internet, muss man sich fragen mit welchem Level von Präsenz man komfortabel ist. Gläserner Mensch? Datenschutz oder Datenschmutz? Bloggen kann ein safe space für all jene sein, die gefunden werden können oder gar gefunden werden wollen. Die aber eine gewisse Privatsphäre brauchen. Die nicht gern ihr Gesicht in die Kamera halten. So gesehen kann Bloggen sogar das kostengünstigere Hobby sein.
Zu dem Thema kann ich auch sehr den Artikel WHY BOOK BLOGS STILL MATTER IN AN AGE OF BOOKTOK von Danika Ellis empfehlen. Es ist aus Sicht der LGBTQ+ Community geschrieben mit einem besonderen Auge auf Trends vs. Themenvielfalt. Anfangs war der Titel dieses Beitrags übrigens „Was Blogs besser können“. Zwar gibt das die Intention auch wieder, vielleicht sogar besser, ist aber auch sehr frontal. Es geht mir nicht darum andere Plattformen oder Medien klein zu machen, alle haben ihre Daseinsberechtigung, ihre Vor- und Nachteile. Einen Blog kann ich mir über Umwege zwar auch vorlesen lassen, aber ein Podcast konsumiert sich beim Kochen schon angenehmer. So oder so: das eine schließt das andere nicht aus. Ich konsumiere all diese Plattformen, aber produziere sie nicht alle. Als jemand, die gern schreibt, hat das Bloggen immer noch einen besonderen Stellenwert für mich. Zusätzlich zu den oben genannten Punkten. Wie seht ihr das? Was ist eure „Lieblingsplattform“ oder euer bevorzugtes Medium? Warum bloggt ihr? Warum bloggt ihr nicht? Und um wieder zum Einstieg zurückzukehren: ist Bloggen wirklich tot?
Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂
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