Da Silvia Moreno-Garcias Mexican Gothic inzwischen auch auf Deutsch unter dem Titel Der mexikanische Fluch im Limes Verlag verfügbar ist, wird es höchste Zeit ein paar Worte dazu zu verlieren. Gelesen habe ich es vor einer ganzen Weile und es ist ein Geschenk, über dass ich mich sehr gefreut habe. Nicht nur, weil es ein absolut schickes Cover hat, sondern auch weil ich Gothic Horror Storys sehr mag und endlich an einer meiner Wissenslücken arbeiten kann. Ich habe leider bisher wenige Bücher gelesen, die mich nach Mexiko führen.
Im Mexiko der 1950er Jahre verschlägt es Noemí Taboada von der Stadt aufs Land, nachdem sie einen beunruhigenden Brief ihrer Cousine Catalina erhalten hat. Die frisch vermählte fühlt sich seit langer Zeit unwohl, ist inzwischen bettlägerig und beschuldigt ihren Ehemann Virgil Doyle sie zu vergiften. Noemí, nicht auf den Mund gefallen, will daher auf dem Anwesen der Doyles nach dem Rechten sehen. Es wäre zuviel gesagt, dass sie mit offenen Armen empfangen wird. Zumindest darf sie Catalina sehen und bei den Doyles wohnen. Ansonsten läuft sie gegen eine Wand aus Heimlichtuerei, Schönrederei und Bevormundungen. Dass ihre Familie Mazateken sind, stößt bei den Doyles auf einen Mix aus Neugier und Entwürdigungen. Stets und ständig entlockt es den britischen Doyles ihre diskriminierende Haltung. Letzendlich ist klar, dass hier irgendwas faul man Noemí Catalina dann gar nicht mehr sehen lässt. Dass Noemí zeitgleich mehr und mehr schaurige Visionen hat, ist nur ein weiteres Indiz für Spuk oder faulen Zauber. Wie beweisen? Und wie Catalina retten?
„I can see you think yourself terribly amusing. We do not talk during dinner. That is the way it is. We appreciate the silence in this house.“ p.28
Noemís Träume und Visionen schließen dabei häufig den Mann ihrer Cousine, Virgil, und den Schwiegervater, Howard, ein, die sich ihr gegenüber alle sehr herablassend benehmen. Die englische Industriellenfamilie macht ihren Standpunkt klar. Die Mexikaner:innen taugen für sie maximal als Arbeitskräfte, ansonsten verbreiten die Doyles nur Kolonioalisierung rechtfertigende Rassismen. Noemís ist für sie ein besonderes Konundrum, da sie ihrer Zeit voraus ist. Progressiv, Widerworte einlegend, hinterfragend – und Gott bewahre, ein Partygirl. Sie weiß, dass sie nicht weiterkommt, wenn sie nicht bis zu einem bestimmten Grad mitspielt und findet immerhin in einem der Doyles einen Verbündeten, aber auch einiges schockierendes in der Familiengeschichte der Doyles, in der offenbar v.A. die Frauen ein unschönes Ende finden.
„You are much darker than your cousin, Miss Taboada“ p.29
„It bothered her to be thought of poorly. She wanted to be liked. Perhaps this explained the parties, the crystalline laughter, the well-coiffed hair, the rehearsed smile. She thought that men such as her father could be stern and men could be cold like Virgil, but women needed to be liked or they’d be in trouble. A woman who is not liked is a bitch, and a bitch can hardly do anything; all avenues are closed to her.“ p.58
Ausbeutung, altehrwürdige Familien und Tradition, das Patriarchat und Kolonioalismus, der Glaube an dienende und herrschende Klassen – all das ist ein Wespennest, in das Noemí zu recht und von der ersten Minute an sticht. Trotzdem ist sie nicht ganz meine Protagonistin, was vielleicht an der etwas einseitigen Charakterzeichnung liegt. Zwar wird Noemí als progressiv beschrieben und so behandelt, aber man liest zu wenig aus ihr heraus, dass das bestätigt. Wir wissen, dass sie gern schöne Kleider hat und sich viel Gedanken um Outfits macht. Silvia Moreno-Garcia hat Motive miteinander verbunden, die aufhorchen lassen, kann aber noch etwas in der Entwicklung und Beschreibung ihrer Charaktere reifen. Statt Noemí durch Taten sprechen zu lassen, beschreibt due Autorin sie häufig positiv durch Phrasen wie „she said with that easy, genial tone of hers“ (p.79) und zwingt uns damit ein Bild auf, was nur ansatzweise gelebt oder bewiesen ist. Abgesehen davon hat sie eine spannende Gothic Horror Story über das sich einverleiben der Geschichte, der Kultur und ganzer Persönlichkeiten durch sich als „bessere“ oder „wertvollere“ Menschen erhebende Klassen geschrieben. Nicht subtil, vielleicht auch nicht mehr neu, aber effektiv, keine Frage. V.A. mit dem Sinnbild was Moreno-Garcia in dem findet, was sich dort im Anwesen der Doyles zusammenbraut.
Es fällt mir schwer den Näherungswert der historischen Akkuratheit der Handlung zu bewerten, weil ich einfach wirklich mehr über Mexiko wissen könnte. Immerhin hat mir das Buch einen Anlass gegeben und einige Worte gedroppt, mit denen ich weitermachen kann wie Mestizos oder Mazateken. Man findet sich also trotzdem in die Welt von Mexican Gothic, Silvia Moreno-Garcia überfordert nicht, hätte Lesende vielleicht sogar etwas mehr fordern können. Es gibt einige Ungereimtheiten in Noemís Suche und Befreiungsschlag, die für mich nicht ganz aufgehen. Beispielsweise wie lange sie Catalina vor Noemí verstecken konnten und warum sie später doch fitter ist als angenommen und mit Noemí einen Fluchtversucht wagen kann. Warum nicht gleich so? Das ändert nichts an der spannenden Idee hinter Mexican Gothic, das ich mir visuell kraftvoll vorstellen konnte, v.A. vielfarbig. Das liegt v.A. an dem letzten Drittel des Buches als der Schauer genaue Konturen annimmt. Mehr kann ich nicht sagen ohne zu spoilern. Das Buch war vielleicht für mich nicht die stärkste Gothic Horror Novel, die ich gelesen habe, aber eine Serienadaption mit rundherum mexikanischer Kultur kann ich kaum erwarten.
Fazit
Nicht die stärkste Gothic Horror Novel, aber spannende Ideen und Motive
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-1-52940-267-4, Jo Fletcher Books/Hachette
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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