Damit ist jetzt nicht Heimat als allgemeines Konstrukt gemeint, sondern meine Heimat. 🙂 Ich komme ursprünglich aus Brandenburg. Und da Brandenburg groß ist, ergänze ich: Süd-Brandenburg. In letzter Zeit ist meine Heimat Schauplatz von Serien und Büchern, was ich gar nicht gewöhnt bin. Berlin, München, Köln, Hamburg oder andere Regionen und Städte Deutschlands – das kennt man eher. Da sich das Bild häuft, klingt das arg nach: „Spotlight!“ Deshalb widme ich mich heute einem Thema in Schrift und Bild; in Buch und Serie.
Roman: Juli Zeh „Unterleuten“
Eine liebe Freundin von mir schlug das Buch in unserem Buchclub vor und bewarb es sehr zutreffend als: „es ist wie einem Autounfall zuzugucken“. Und da hat sie recht. Man fragt sich von der ersten Seite an, wann der erste Mord am Gartenzaun passiert. Das Szenario: 15 verschiedene Akteure, die mehr oder weniger oft auftreten und deren Gedankenwelt je in einem Kapitel aufgeschrieben wird. Allwissende Erzähler gibt es nicht und bald suchen wir die Wahrheit zwischen den verschiedenen Meinungen und Versionen von Ereignissen. Sie alle wohnen in dem (fiktiven) brandenburgischen Dorf Unterleuten oder sind auf andere Weise mit dem Ort verbunden. Verfeindete Familien und alte Fehden scheinen mit unterschiedlichen Sicht- und Lebensweisen zu kollidieren. Dann kommt ein Unternehmer in die Gegend, will dort einen Windpark errichten und ist damit das Streichholz, dass den Ort zum Brennen bringt. Die einen wollen das unbedingt verhindern, die anderen wittern das große Geschäft. Wer wird sein Land dafür hergeben? Mit wem kann man noch reden, wem noch vertrauen? Gerhard Fließ will das Biotop schützen, die zugezogene Linda Franzen ihren Kopf durchsetzen, Meiler das große Geschäft machen, Wolfi Hübschke will am liebsten den ganzen Tag rasen mähen, Gombrowski und Kron wollen v.A. ihre langjährige Feindschaft füttern.
„Gerhard hatte lange genug in Berlin gelebt, um das zu wissen. Nicht gewusst hatte er, dass selbst ein Dorf mit zweihundert Einwohnern zu eng sein konnte.“ (p.12)
Der Epilog fasst es ganz gut zusammen: jede der ca. 15 Erzählstimmen in Unterleuten denkt die einzige Person zu sein, die recht hat und zu wissen wie der Hase läuft. Geringschätzigkeit ist das am weitesten verbreitete Gefühl. Es gibt einige wertvolle Einblicke des Buches in eine Welt nach der Wende, eine Welt in der viele über Ost-West-Denke nicht hinweggekommen sind. Über toxische Männlichkeit und den Wandel von Geschlechterbildern – sowie deren überspitzte Ausprägungen („Vielleicht war sie nicht ganz richtig im Kopf; immerhin war sie eine Frau.“, denkt Meiler p.246). Überspitzt ist allgemein das Motto. Juli Zeh versammelt überbordend unglückliche Menschen, unglückliche Ehen. Demonstriert Kleingeistigkeit und Verklärtheit an allen Fronten – auf Gedeih und Verderb. Zu einseitig, zuviel Agenda und dafür viel zu lang und ausufernd für meinen Geschmack. Wie traurig nur Elend zu versammeln. Die Apokalypse im Kleinen und gutbürgerlichen zu suchen ist sicherlich attraktiv für manche, aber zuviel Fantasie und zu gewollt als Sensation aufgeschichtet. Es ist mir ein Rätsel wie Leute begeistert sagen, „genau so sind Dörfer“ oder „genauso sind brandenburgische Dörfer!“ Denn das ist doch alles nicht mehr als ein Konzept, das die menschliche Lust an Gossip über’m Gartenzaun bedient. Und die gibt es überall.
Die einzigen wenigen Brandenburg-Momente sind die von Wende, von LPG, von Stadtflucht, Bofrost und fahrenden Supermärkten wie auch Naherholungsgebiet. Letzten Endes wurde Unterleuten übrigens wegen der schieren über 600 Seiten nicht unser Buchclub-Buch (Vermutung). Auch wenn ich mit dem Buch inhaltlich nicht soviel anfangen kann, muss man zugeben, dass es schlau konzipiert ist. Zumindest greifen die vielen Motivationen recht gut ineinander und lassen wenig Logiklücken zu. Auch ist es eine Leistung soviele Erzählstimmen authentisch und ohne Brüche wiederzugeben. Schreibt man über ein Buch von Juli Zeh, kommt man inzwischen kaum dran vorbei nicht auch etwas zu Juli Zeh zu sagen. Ich stimme ihren Meinungen über gesellschaftliche und politische Themen nicht zu, aber ich habe versucht das Buch zu lesen und von all dem zu trennen. Besonders animiert bin ich immer noch nicht mehr von ihr zu lesen. Über Menschen und Zwischen Welten werde ich meiden, denn es schwimmt doch alles im selben Fahrwasser Unterleutens und melkt die Kuh, die sich an Streit ergötzt. Tatsächlich fürchte ich mich schon vor ihrem Sachsen-Roman, wenn der mal kommen sollte. Wenn ich nochmal etwas von Juli Zeh lese, dann eins ihrer früheren Werke.
„Weder Linda noch Frederik waren jemals begabte Köche gewesen. Ihr Überleben verdankten sie Bofrost.“ (p.31)
Fazit
Der Beginn Juli-Zeh’scher Abziehbilderbücher.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-442-71573-2, btb/Penguin Random House Verlagsgruppe
Serie: „Lauchhammer“
In einem ehemaligen Tagebau nahe der Stadt Lauchhammer in der Niederlausitz wird die Leiche der Schülerin Ramona (Jule Hermann) gefunden. Für die Ermittlungen arbeitet der in Lauchhammer aufgewachsene Polizist Maik Briegand (Mišel Matičević) das erste Mal mit seiner neue Kollegin Annalena Gottknecht (Odine Johne) zusammen. Mehrere Tatverdächtige drängen sich auf, einer davon steht in Verbindung mit Briegands Vergangenheit. Auch lokale Debatten um den Kohleausstieg und Umweltschutz mischen sich in die Ermittlungen – das Camp einiger Klima-Aktivist:innen ist nahe des Tatorts angesiedelt. Briegands Tochter Jackie (Ella Lee) geht dort ein und aus. Derweil stellt Annalena Gottknecht fest, dass der Mord eventuell in Verbindung mit früheren Femiziden steht.
Dankbarerweise wird das Muster des Gerangels zwischen neuer Kollegin und alteingesessenem Ermittler, die sich zusammenraufen müssen, nicht überstrapaziert. Die Figur der Annalena Gottknecht wird von Anfang an als unabhängige Ermittlerin etabliert, die unkonventionelle Meinungen vertritt. Technik und Rationalität ist Trumpf. Bürokratie schätzt sie – keine Seilschaften, keine geheimen Bünde, vor den Regeln sind alle gleich. Ich gestehe so habe ich Bürokratie bisher nicht gesehen, aber ich mag die Denke. Lauchhammer ist ein passabler Krimi, der allerdings auch spätestens ab der dritten Folge wenige Überraschungen bietet.
LAUCHHAMMER Trailer I Neues Deutsches Fernsehen I FFMUC 2022, Filmfest München, Youtube
Beeindruckt haben mich v.A. der Cast insgesamt und die Bilder. Zwar hätte man auch gern etwas weniger Gebrauch von Filtern machen können, aber die Metapher zur vom Tagebau zerklüfteten Landschaft und dem düsteren Eingangs-Voice-Over ist stimmungsvoll. Nur für was? Ähnlich den schweren Maschinen, die die Landschaft zerklüften, bleibt auch bei den Ermittlungen kein Stein auf dem anderen. Wie sich das für einen Krimi gehört, wird einiges an Trauma der Vergangenheit aufgewirbelt. Ob aber die Kohle-Vergangenheit der Lausitz glaubwürdig aufgerollt wurde? Hier scheitert die Serie Lauchhammer sowohl an Vergangenheit als auch Gegenwart.
„Warum sollte jemand hier wohnen wollen?“ wird irgendwann in der Serie gefragt. Wie sollen Zuschauende das bewerten, wenn sie quasi gar nichts aus der Region sehen außer gestelltem Verfall, Suchtproblemen und Rassismus? Man sieht sehr wenig vom echten Lauchhammer neben diesen Stereotypen, was Ortsansässigen sauer aufstoßen dürfte. Auch Verwechslungen dürften vorliegen. So wird die Völkergruppe der Sorben einige male erwähnt. Liebe Serienschöpfer: entweder richtig oder gar nicht. Der Spreewald und das Gebiet, in dem die Sorben einst hauptsächlich angesiedelt waren ist ein Stück weg. Ist das ein gut gemeinter Wink in Richtung der Vielfältigkeit der Region? Wirk etwas weit hergeholt. Zwar sieht man ab und zu das Besucherbergwerk F60, aber warum spielt die Serie ansonsten nicht an Standorten und Wahrzeichen Lauchhammers wie den Biotürmen oder dem Kunstgussmuseum. Die Serie ist für mich eine gescheiterte Milieu-Studie, die dank starker Darsteller:innen und Szenengestaltung das Zeug gehabt hätte nicht nur ein guter Krimi, sondern auch eine gute Serie zu werden. Andere geteilte Meinung liest man beim RBB und in der FAZ. Für mich kommen die Serienschöpfer ganz klar nicht ihrer Verantwortung nach, wenn sie eine Serie schon um einen echten Ort zentrieren müssen. Nämlich diesen abzubilden, statt zum Milieu zu deklamieren. (4/10)
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Verheimlichen will ich natürlich nicht die Empfindlichkeit, die das Thema mit sich bringt. Weder die Serie noch das Buch hat ein glaubhaftes Bild mit sich gebracht wie es ist in Brandenburg zu leben oder aufzuwachsen. „Unterleuten“ könnte überall spielen. „Lauchhammer“ beutet für meinen Geschmack die Diskussionspotentiale der Region aus und hängt sich an publikumswirksamen Stereotypen auf, die ein falsches Bild der Region vermitteln. Wie es tatsächlich ist in Brandenburg aufzuwachsen? Lange Wege, wegen der Ländlichkeit der Region. Viel Zeit in Bussen und Zügen verbringen. Dafür viel Landschaft. Seenlandschaften, übrigens erschlossen aus ehemaligen Tagebau-Gebieten.
Brandenburg ist für mich viel spazieren, runter an den See schwimmen gehen. Brandenburg war aber auch eine hohe Arbeitslosenquote nach der Wende. Eine ehemals durch den Kohle-Tagebau reiche Region, die nun besseren Zeiten über die Schulter hinterherblickt. Brandenburg ist damit umzugehen und sich gleichzeitig nicht zu sehr über Rainald Grebes Brandenburg-Song zu ärgern, den irgendwie immer nur die anderen lustig finden. Für mich bedeutet in Brandenburg aufgewachsen zu sein leider auch Ossi-Wessi-Denke zu ertragen. Und das Trauma der Region. Weil „bei uns“ nach der Wende alles dicht gemacht wurde und die wenigsten versuchten zu verstehen wie es sich anfühlt, wenn das bekannte plötzlich geht, Jobs und Identität mitnimmt. Brandenburg ist aber längst nicht mehr nur das. Brandenburg hat Urlaubsgebiete und ist ein inzwischen denke ich ein beliebtes Rückzugsgebiet für Berlin und Umland. Soviele Jahre nach der Wiedervereinigung ist Brandenbrug wie auch hoffentlich der Rest der Bundesrepublik bereit das zu überwinden. Nicht alle Medien können das abbilden. Offensichtlich. Andere Formate wie Schneller als die Angst haben es besser mit ihren Schauplätzen gemeint. Wie wird eure Heimat und euer Wohnort in den Medien dargestellt? Und wie haben euch „Unterleuten“ und „Lauchhammer“ gefallen?
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