Habe ich das Buch gelesen? Ja. Kann ich mich an irgendwas daraus erinnern? Nein, nicht wirklich. Die wenigen Erinnerungen, die hängen geblieben sind, haben mit den Charakteren und der Handlung in Gesamtheit zutun. So ist ich mir noch präsent, dass Tsunamis in dem Buch erwähnt wurden. Das fiel unangenehm gut zusammen mit der Tsunami-Katastrophe in Südasien, 2004. Damals gab es zig Tsunami-Dokus im Fernsehen, was den Umwelt-Horror im Stile von „Die Natur schlägt zurück“ verstärkte. Auch wenn das unsachlich klingen mag. Zur Zeit als der Roman erschien war „environmental horror“ weniger stark präsent als heute. Walfang und Umweltverpestung allgemein haben da eher beigetragen. Bevor ich nun also die Serie sah, konnte ich mich nur grob an die Handlung erinnern. Immerhin auch an das Ende. Trotzdem war ich sehr gespannt. Und soviel kann ich vorweg nehmen: so schlimm wie der Autor selber finde ich die Adaption überhaupt nicht. Die Besprechung ist spoilerfrei.
Als vor der kanadischen Küste sonst so friedliche Wale Whale-Watching-Boote angreifen und damit viele Leben fordern, ist Walforscher Leon Anawak (Joshua Odjick) erschüttert. Nach seiner Erfahrung und jahrelangen Arbeit absolut untypisches Verhalten. Währenddessen entdecken der Biologe Dr. Sigur Johanson (Alexander Karim) und Tina Lund (Krista Kosonen) eine neue Spezies Eismeerwürmer und kommen damit empfindlich einer Ölbohrfirma ins Gehege. In Frankreich beschäftigt sich die Molekularbiologin Dr. Cécile Roche (Cécile de France) mit dem Fall einer neuen Spezies von Meerestieren, die für Menschen tödliches Gift absondert. Mehr oder weniger parallel dazu entdeckt die Meeresbiologie-Studentin Charlie Wagner (Leonie Benesch) seltsame Töne aus dem Ozean. Es dauert bis die Wissenschaftler die Punkte verbinden und zu einem Schluss kommen: all diese Vorkommnisse sind verbunden und sie nehmen immer gefährlichere Ausmaße an. Wie stoppt man eine derartige, globale Bedrohung? Und wer hat all diese Mutationen verursacht?
Der Schwarm | ZDF-Trailer zur Thriller-Serie nach dem Weltbestseller von Frank Schätzing, ZDF Filme und Serien, Youtube
Bei Mutationen bleibt es nicht – bald schon stehen auch Naturkatastrophen wie die in der Einleitung bereits erwähnten Tsunamis auf dem Plan. Was den Schockfaktor betrifft, versteht sich die Serie sehr gut darin uns zu zeigen wie gewaltig die Natur ist. Oder wir brutal sie sein könnte, wenn sich alle Organismen ähnlich wehrhaft verhalten würden wie wir gedankenlos im Umgang mit der Natur sind. Ob die Wale, die Boote zerschmettern und die Mega-Tsunamis schon torture porn sind, müssen Zuschauende selber bewerten. Für mich war es ein ausbalanciertes Gegenüberstellen der einzelnen Figuren inklusive persönlicher Konflikte mit den Ereignissen, derer sie Zeuge werden und die für sie zu immensen Herausforderungen werden. Dabei nimmt sich Der Schwarm (Buch wie Serie) einigermaßen viel Zeit bis sich die Forschenden austauschen und all die Geschehnisse verknüpfen. Immerhin wird so in Aspekte wie die Ausbeutung der Umwelt am Beispiel des Lund/Johanson-Handlungsstrangs investiert. Das ist einerseits gut und notwendig, um der Serie die Marschrichtung vorzugeben. Andererseits – es dauert eben. Manche wissenschaftliche Details wirken etwas lauer und uninteressanter als im Roman, beispielsweise wird (wenn ich mich nicht verhört habe) nicht ein einziges mal das Wort Schwarmintelligenz verwendet, wobei es doch eines der interessantesten Details und v.A. das wohl offensichtlichste ist. Die Serie heißt wie sie heißt. Andererseits habe ich nun Bilder zu Details und Vorrichtungen wie sie im Buch geschildert wurden, die mir das Buch offensichtlich nicht längerfristig bebildern konnte.
Während sich für mich Vor- und Nachteile bis hierhin auszubalancieren scheinen, hat Frank Schätzung durchaus große Kritik an der Serie parallel zur Veröffentlichung geübt. Ich vermute, dass die überwiegend negativen Kritiken davon nicht vollständig unbefleckt blieben. So gut gewählt finde ich seine Worte nicht, die u.a. vom ZDF produzierte Serie als „Gepilcher“ zu werten. Damit steckt er den Sender, seine Formate und vielleicht sogar seine Zuschauenden in eine bestimmte Schublade, die ich ich (inzwischen) für unverdient halte. Es ist ja nun nicht so, dass der Roman total frei von emotionalen Themen und Bindungen war (ja, ich habe mein Gedächtnis aufgefrischt, aber nein, ich habe nicht den kompletten Roman nochmal gelesen). Das ZDF muss sich längst nicht mehr verstecken. Ich denke beispielsweise gern an In 80 Tagen um die Welt zurück oder das Engagement von Mai Thi Nguyen-Kim.
Um zurück zur Sachlichkeit zu finden, stellt sich natürlich die Frage, ob das Ändern der Geschlechter zahlreicher Charaktere und das Umlabeln ihrer Hautfarbe oder Gesinnungen der Story etwas hinzufügt. Das muss nicht zwingend so sein, aber hier empfinde ich es wegen des Überhangs weißer Männer und weißen Mindsets im Roman als sogar sehr willkommene Änderung. Das ist nämlich eins der Details an die ich mich vom Lesen des Romans sogar noch sehr gut erinnern kann. Als Leserin im Teenageralter (übrigens kurz vor der Wahl einer Ausbildung) dachte ich: Mensch, irgendwie sind alle wichtigen Charaktere Männer. Eine der wenigen Frauen, die SETI-Wissenschaftlerin, ist hängen geblieben. Hier wird sie gespielt von Sharon Duncan-Brewster. In weiteren Rollen treten Oliver Masucci, Eidin Jalali, Takuya Kimura, Rosabell Laurenti Sellers, Takehiro Hira, Klaas Heufer-Umlauf und Barbara Sukowa auf. Und tatsächlich hat mich das diverse Casting positiv überrascht. Nicht zuletzt, weil es den Wissenschaftsbetrieb (global) nicht als exklusive Gemeinschaft „alter, weißer Männer“ darstellt. Auch bin ich sehr dankbar, dass es auf das militärische Platzhirschgerangel des Buches verzichtet. Zwar schenken bei Weitem nicht alle den Wissenschaftler:innen Glauben, als sie die These äußern, dass es eine gemeinsame Ursache für all diese Phänomene gibt, aber letzten Endes ziehen alle mehr an einem Strang und ich sage. Das ist eine gute Entscheidung, denn davon können wir global und menschlich eindeutig mehr gebrauchen. Gut gemeinte Botschaften machen nicht zwingend eine Serie inhaltlich besser, aber überholte Einstellungen zu propagieren erst recht nicht. Am ambivalentesten bin ich aber wohl was die Serie betrifft bei ihrem Ende. (7/10)
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Jetzt bin ich gespannt: wie hat euch die Serie gefallen? Und kennt ihr zufällig den Roman und könnt vergleichen? Oder wollt ihr das womöglich auch gar nicht? Hat sich das lange Warten gelohnt und welche ähnlichen Formate könnt ihr empfehlen?
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