Denke ich an Science-Fiction, denke ich an Zukunftsvorhersagen. Denke ich an den Umgang der Menschen mit Wissenschaft und Technologie. Und wie das mörderlich krachen geht. Denke an das Ausschwärmen ins All als eine Art „Zukunfts-Diaspora“, an Raumschiffe und die Finsternis am Firmament. Versteht mich nicht falsch, ich liebe Science-Fiction. Nur begegnen mir deutlich öfter Dystopien und Visionen, die ermahnend wirken. Manchmal gibt es mehr Science darin, manchmal mehr Fiction. Selten beides in ausgewogenem Maße. Und wenn Science, dann widmet sich das v.A. Astrologie, Physik, Mathematik, Mechanik, Informatik, seltener Gesellschaftswissenschaften. A Psalm for the Wild-Built macht das alles anders.
Becky Chambers Roman ist der erste einer zweiteiligen Reihe und sehr kurzweilig. Auf den nur ca. 150 Seiten erfahren wir von dem Ausschwärmen der Menschen auf andere Planeten, nachdem die Heimat unbewohnbar wurde. Man hat aus den Fehlern gelernt und bewahrt auf der neuen Heimat die natürlichen Biotope. Es gibt also viel Natur in Panga, der Heimat von Dex. Dex ist Ordensgeschwister. Würde sich Dex als männlich bezeichnen, dann würden wir von Dex als Mönch sprechen. Wenn weiblich, dann vielleicht von Dex als Nonne sprechen. Dex ist aber non-binär und es mangelt an einem adäquaten Wort im Deutschen. Was aber vollkommen adäquat ist, ist Dex. Genauso wie der Umstand, dass auf Panga verschiedene Glaubensgemeinschaften nebeneinander koexistieren. Eines Tages verkündet Dex in der Gemeinschaft die Aufgabe zu wechseln. Unzwar möchte sich Dex von nun an komplett auf Teezeremonien konzentrieren.
Endless electronic ink had been spilled over the old tradition, but all of it could be boiled down to listen to people, give tea. p.12
Anfangs ist das Umschulen stressig und löst vor Allem Zweifel in Dex aus. Die Ordensgemeinschaft versteht die Aufgabe so, dass man umherreisen und vielen Menschen die Teezeremonie zugänglich machen muss. Zwar hat Dex genau diesen Eskapismus, die Abwechslung und das Leben in der Natur gesucht, aber wie steht es um den Rest? Die Gespräche mit Hilfesuchenden, den richtigen Ratschlag auszusprechen, Tee zu einer heilsamen Erfahrung zu machen? Und gerade als Dex am meisten zweifelt, erscheint etwas seltenes da draußen in der Wildnis. Ein Roboter.
Der Roboter nennt sich selbst Mosscap und ist deswegen eine Seltenheit, weil Roboter auf Panga vor Jahren bereits Bewusstsein entwickelten und sich entschieden die Menschen zu verlassen. Es würde immer eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geben, die beiden Seiten nicht gut tut. So in etwa war die Begründung. Und die Menschen akzeptierten das. Schließlich wollte man ja nun schlauer sein als früher (d.h. schlauer als wir). Seitdem wurde kein Roboter mehr gesehen. Mosscap erwischt Dex im denkbar ungünstigsten Moment und lässt dann aber auch nicht locker, denn Mosscap kommt aus dem selbstgewählten, friedlichen Versteck wegen einer sehr spezifischen Aufgabe. Mosscap soll nämlich die Frage beantworten: was brauchen Menschen?
„And yet, if they were completely honest, the thing they had come to look forward to most was not the smiles not the gifts nor the sense of work done well, but the part that came after all of that. The part when they returned to their wagon, shut themself inside, and spent a few precious, shapeless hours entirely alone. Why wasn’t it enough?“ p.39
Das trifft einen Nerv in Dex. Schließlich scheinen die Fragen von Dex unendlich. Ist das der richtige Job für mich? Mache ich einen Fehler? Was ist der nächste Schritt in meinem Leben? Warum finde ich nicht die Erfüllung, die ich gesucht habe? Demzufolge kann Dex die Frage erstmal nicht beantworten, aber Mosscap hat Hoffnung und beschließt Dex zu begleiten. Es ist erst der Beginn eines Abenteuers, das wohl im zweiten Band erst so richtig losgehen wird. Bis dahin erfahren wir im ersten Band schon eine Menge über die Welt, in der Dex und Mosscap leben. Außerdem stellt Mosscap schon hier einige wunderbare Fragen, die wahrscheinlich niemanden in der Leserschaft kalt lassen.
Positivität und die Auseinandersetzung mit uns und unserer Lebensqualität sind Dinge, die man doch nicht so häufig in Science-Fiction-Literatur findet. Zumindest nicht auf so gut tuende Weise. Mir fliegt das englisch Wort wholesome zu, wenn ich an den Roman denke. Schon alleine der Einstieg ist eine Wohltat. Darin scheitert Dex das erste Mal am neuen Job und der Teezeremonie. Nichts klappt und Dex denkt bereits den falschen Job gewählt zu haben. Dann gibt es einen Cut auf Dex nach vielen Monaten. Inzwischen kommen Leute bewusst zu Dex, stehen Schlange für die Zeremonie, den Tee, einen Ratschlag, Dex offenes Ohr. Man hat gelernt: es ist noch kein:e Meister:in vom Himmel gefallen. Gib allen Dingen etwas Zeit. Und der nächste Gedanke: ich möchte auch mal Tee trinken mit Dex.
Damit fördert A Psalm for the Wild-Built quasi ab dem ersten Kapitel zur Selbstreflexion auf. Wie entsteht unsere eigene Unzufriedenheit? Unsere Zweifel? Die von Dex werden nach einer Weile gegen neue ausgetauscht. Natürlich bleibt die Geschichte nicht stehen, nachdem Dex nun im neuen Job Sicherheit gefunden hat. Das zeigt, dass auch in einer perfekten Welt, Menschen den Sinn ihres Lebens, von Arbeit und Berufung hinterfragen. Schließlich kommen die Menschen in der Region, in der Dex Zelt aufschlägt ja auch mit Problemen zur Teestunde. A Psalm for the Wild-Built lässt sich dem Genre des Solarpunk zuordnen. Darin wird ein optimistisches Bild der Zukunft entworfen. Ein „so sollte es sein“ statt eines mahnenden. Häufig eines, in dem Lebewesen im Einklang mit Technik und Natur leben. Die Menschen hier sind besser als Klimakrise und Kriege.
Ein anderes Problem, dass es auf Panga und in dieser wunderbaren Zukunftsvision nicht gibt ist die Geschlechterfrage. Genauso wie Dex als nicht-binäre Hauptperson nicht erklärt werden muss, ist auch Mosscap non-binär, weil Roboter. Das Duo ist damit eine wunderbare Gegenentwicklung zu der manchmal omnipräsent wirkenden Geschlechterfrage. Es ist einfach nur schön dieser Vision von Panga beizuwohnen, wo alle sein können, wer sie sind und das respektiert wird. Ohne wenn und aber. Was uns Becky Chambers Version von Solarpunk aber auch lehrt: all diese Perfektion heißt nicht automatisch, dass das Leben kein Reibungspotential hat. Ich bin gespannt was wir im zweiten Teil der Monk & Robot Reihe mit Mosscap und Dex herausfinden wie wir auch damit gesund umgehen. Wieder angekommen in der Welt außerhalb des wunderbaren Buchs frage ich mich, ob die Reihe aber jemals ins Deutsche übersetzt werden kann? Genderneutrale Sprache kollidiert mit den Möglichkeiten im Deutschen sehr. Aber wenn mich A Psalm for the Wild-Built eines gelehrt hat, dann: es ist möglich, wenn man will, wenn man Vertrauen hat und der Sache Zeit gibt.
„It’d be nicer here if there were some crickets, […] p.6
Fazit
Wunderbare feelgood Science-Fiction, die auch ohne Kenntnis des zweiten Teils bereits Wirkung hat
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-1-250-23621-0, Tordotcom
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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