Das gehörte Wort … Hörbuch-Besprechung zu „Orlando“ von Virginia Woolf

Es ist nicht mein erster von Woolf. Warum ich ausgerechnet dieses Mal zu einem Hörbuch griff, kann ich gar nicht sagen. Vermutlich wurde es mir vorgeschlagen und dieses eine Mal hat der Algorithmus nicht unrecht gehabt. Ja! Ich wollte „Orlando“ schon ewig lesen, woraus nun eher zufällig hören wurde. Meine Ausgabe ist die von Sissy Höfferer gesprochene von Der Audio Verlag.

England, irgendwann im 16. Jahrhundert. Titelgebender Orlando ist ein junger Adliger, der als schön, edel und literarisch begabt beschrieben wird. Irgendwann zur Zeit Königin Elisabeths I. verliebt sich Orlando. Es ist der Auftakt eines langen Elends. Zuerst wird er von der Liebe enttäuscht, dann von der Romantik, als nächstes den Menschen allgemein und letzten Endes auch noch von der Kunst und Literatur. Als die Welt für Orlando ganz ruiniert ist, versucht er es mit der Politik und bittet um einen Posten als Botschafter, woraufhin es ihn nach Konstantinopel verschlägt. Und dann eines morgens als auch die Politik und sein Ansehen ihn im Stich lässt, wacht er als Frau auf.

Man kann eine Menge hineindeuten in das, was Orlando da passiert ist. Zumal Woolfs Erzählung mehr und mehr im magischen Realismus aufgeht. Schließlich hat Orlando gegen Ende des Buches fast 400 Jahre gelebt. Vielleicht lässt das die Interpretation zu, dass Orlando (weibl.) eine andere Ausdauer für dieses Leben entwickelt hat. Vielleicht war Orlando als Frau auch einfach nicht mehr zu enttäuschen? Von dem Leben, den Menschen und allem. Aber das klingt nur allzu negativ. 🙂 Mit einem weitaus feineren Humor nimmt Orlando jedenfalls ab jetzt alles, was ihr widerfährt. Und das ist einiges. Auf der Heimreise von Konstantinopel realisiert sie das erste Mal, dass von ihr nun erwartet wird Röcke und Kleider zu tragen, sich anders zu verhalten und ach Schreck, beim Anblick ihres ausgestreckten Beins fällt direkt ein Matrose vom Mast und stirbt. Ihr wird ein Sonnensegel ausgebreitet, sie wird vollkommen anders behandelt. Aber es ist nicht alles bequem und galant, nein. Denn sie muss darum fürchten, dass ihr Anwesen und Besitz vor dem Gesetz nicht zugestanden wird. Vielleicht lebt Lady Orlando auch deswegen so lange. Weil der Prozess eine Weile dauert.

„‚Frauen habe keine Sehnsüchte‘, sagt dieser Herr, […] ’nur Affektiertheiten‘ […] ‚Es ist allgemein bekannt‘, sagt Mr S.W., ‚dass Frauen, wenn ihnen die Anregung des anderen Geschlechts fehlt, nichts finden, worüber sie miteinander reden könnten. Wenn sie allein sind, reden sie nicht. Sie kratzen sich.’“

Ab jetzt führt uns Virginia Woolf mit feinsinniger, cleverer, nie zu spitzfindiger Sprache vor wie es war als Frau zu leben. Langweilige Teepartys, sich nie verwirklichen können und wenn doch, dann wird darüber die Nase gerümpft. Und am wichtigsten ist sowieso, dass man verheiratet ist und mit wem. Dabei schreitet Orlando die Grenzen der Geschlechterrollen ab. Manchmal zieht sich Lady Orlando auch mal Hosen an und geht nachts spazieren. Die Labels und Etiketten versucht sie zwar schon noch zu bedienen, um die Gesellschaft glücklich zu machen, aber sie reizt es aus, wo es geht. Das ganze Hörbuch ist eine Sammlung von Erkenntnissen, Beobachtungen, Sätzen, die ich mir einrahmen möchte. Gesprochen wird das Hörbuch akzentfrei von der österreichischen Schauspielerin Sissy Höfferer, die zudem ein angenehmes Tempo vorlegt. Dadurch ist das Buch nie langweilig, obwohl die Gefahr bestand, wenn es gelesen wird. Schließlich ist es wie ein langer Monolog, der von einer Erzählstimme vorgetragen wird, die nicht Orlando ist.

Im Original ist Woolfs Roman erschienen unter Orlando: A Biography und man kann in fast jeder Quelle nachlesen, dass die Titelfigur an die Poetin und Literarin Vita Sackville-West angelehnt ist. Vita Sackville-West war nicht nur eine enge Freundin Virginia Woolfs, sondern beide hatten auch eine Liebesbeziehung. Sie inspirierte Woolfs Orlando durch ihre für damalige Verhältnisse unkonventionelle Art, vor Allem was das Hinterfragen der Geschlechterrollen betrifft. Sie genierte sich nicht in Männerklamotten rumzulaufen und weichte die unsichtbaren Grenzen auf, die für viele heute noch in Stein gemeißelt zu sein scheinen. Genderfluid, Cross-Dressing, Non-binär, transgender … es gibt unzählige Merkmale von Menschen, queeren Persönlichkeiten, die sich in Aspekten der Erzählung wiederfinden können. Der Roman erschien 1928 und ist in so vielen Dingen seiner Zeit voraus. Was Woolf 1928 schon wusste: durch den Wechsel des Geschlechts änderte sich nichts an Orlandos Selbst.


Jimmy Somerville – David Motion: „Coming“, from „Orlando“, Johnny Söderberg, Youtube

Wie man wohl raushört, war ich enorm beeindruckt von Orlando und habe nach dem Hören direkt auch noch die Verfilmung mit Tilda Swinton nachgeschoben, aus der auch der eingebettete Song stammt. Den Film kann ich auch empfehlen, aber es ist auch klar, dass er auf viele spannende Etappen rein aus Zeitgründen verzichten muss, leider. Kennt ihr Buch oder Verfilmung?

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