Fantastischer Film: Große Freiheit

Von großer Freiheit keine Spur: Der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches (§ 175 StGB) ist heute dunkle Geschichte. Im Film wird aber Hans Hoffmann (Franz Rogowski) 1968 noch danach verurteilt, weil er mit Männern schläft. Nur weil er ist, wer er ist und obwohl er niemanden geschadet hat, geht Hans in den Knast. Seine Ankunft dort scheint routiniert und Zuschauende lernen auch bald warum. Er sitzt nicht das erste Mal ein. Bei der täglichen Arbeit grüßt ihn sogar Viktor (Georg Friedrich) – „na, wieder da?“ Wir erfahren rückblickend von Hans Befreiung aus dem KZ, wo er auch wegen seiner Homosexualität festgehalten wurde, nur um dann seine „Reststrafe“ im Knast abzusitzen. Wir erfahren wie er Jahre später erneut verurteilt wird – zusammen mit seiner großen Liebe Oskar (Thomas Prenn) und wir erfahren wie er 1968 wieder einsitzt. Immer dabei Viktor, lebenslänglich. Der kennt Hans seit 1945 wo er ihn als Perversen beschimpfte, dazwischen wo er ihn schützte und 1968, wo Hans sein einziger Halt wird als er durch seine Sucht vielleicht die Chance auf frühere Entlassung gefährdet.


Thomas Pluch Drehbuchpreis 2022 Clip GROßE FREIHEIT von Thomas Reider und Sebastian Meise, drehbuchFORUM Wien, Youtube

Dass es den Paragraphen mal gab ist der Stoff den man inzwischen als Anlass zu dystopischem (d.h. futuristischem) Horror nimmt. Strafrechtliche Verfolgung von Menschen, nur weil sie lieben und Sehnsüchte haben. Fast surreal erscheint die Jahreszahl als § 175 aus der Taufe gehoben wurde: 1872 ist Äonen her (metaphorisch gesprochen). Dieses grauenvolle Gefühl von „So wurden Menschen mal behandelt?“ unterstreicht das Gefängnis-Setting. Zwar komplett ohne Science-Fiction, wirkt es wie eine orwellsche Dystopie, in der Hans immer wieder dazu verdammt ist, dieselben Gefängniswände anzustarren. Nur, dass sich der Anstrich mal ändert. Reizen Hans, Viktor und die anderen Insassen ihre Freiheiten zu sehr aus oder werden erwischt, dann droht Einzelhaft in kompletter Dunkelheit. Die verkraftet Hans im Jahr 1968 selbstredend ganz anders als Hans, 1945 frisch aus dem KZ entkommen. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen, die Konstanten sind Hans und Viktor.


Große Freiheit – offizieller Kinotrailer – Kinostart am 18.11.2021, Piffl Medien, Youtube

Die wechselnden Zeitebenen können wir sehr gut anhand des Alters der Protagonisten auseinanderhalten. Während künstliches Altern von Darsteller:innen in Film und Fernsehen nicht selten cringy wirkt, ist das Make-Up hier fantastisch und hat zu recht Preise gewonnen. Zudem wurden die drei Zeitebenen ansprechend gewählt, um Parallelen zu verdeutlichen und selten genug geswitcht, sodass wir als Zuschauende nie abgehängt werden. Wie Hans lernt wieder aufzublühen und später eine gewisse Krisengeprüftheit an den Tag legt, ohne komplett zu verrohen oder innerlich zu sterben, wird eindrucksvoll von Franz Rogowski verkörpert. Georg Friedrich spielt Viktor als einen Mann mit schmalem Grad zwischen ruhiger Gefasstheit und Cholerik. Darin wie er dazulernt liegt eine eigentümliche Zärtlichkeit. Beschimpft er Hans anfangs noch als Perversen und will mit ihm keine Zelle teilen, wird Hans später seine vielleicht wichtigste Bezugsperson. Jemand, der ihn kennt, seitdem die Welt beschlossen hat ihn wegzusperren und zu vergessen.

Die Kameraarbeit und Szenengestaltung fängt sowohl Freiheit wie auch Gefangensein ein. Zwischen weiten Räumen, in denen Kamerafahrten möglich sind bis hin zu kleinen Räumen, die ein statisch anmutendes Bild von Zelldurchsuchung und Verzweiflung anbieten. Gar noch intimer, nur durch den Spion der Wächter. Freiheitsgrade sind kostbar. Seit dem 17. Mai 1990 wird der Tag in Anlehnung an den § 175 als Aktionstag gegen Homophobie, Biphobie, Interphobie und Transphobie gefeiert (IDAHOBIT). Bewusstsein geschaffen und daran erinnert wie viele Menschen ihr Leben und sich selbst verneinen mussten wegen fehlenden Wissens, Bystandern, mangelnder Empathie, geringen Mutes und Angst. Große Freiheit gießt das nicht nur in entwaffnende Bilder, sondern ist auch davon abgesehen einfach ein immens berührender Film.

Große Freiheit, Österreich/Deutschland, 2021, Sebastian Meise, 117 min


GROSSE FREIHEIT – Drei Fragen an Regisseur Sebastian Meise, Filmcoopi Zürich, Youtube

Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

Eine Antwort

  1. […] Große Freiheit 👬 Gefängnisdrama um § 175 […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert