ausgelesen: Julia Schoch „Das Vorkommnis“ (Biografie einer Frau #1)

Autofiktionale Literatur war ja eines der geflügelten Worte des Frühjahrs auf dem Buchmarkt. Kaum ein Podcast oder Blogpost kam ohne aus und es wandelte gerade nur so durch die Gänge der Leipziger Buchmesse. Auch Julia Schochs offenbar auf drei Teile angelegte Reihe Biografie einer Frau musste sich das Label gefallen lassen. Die Reihe beginnt mit Das Vorkommnis, in der die namenlose Erzählerin mit einer Halbschwester konfrontiert wird, von der sie bis dahin nichts wusste. Als die Fremde so plötzlich in ihr Leben tritt und ihr bisheriges Verständnis von Familie umkrempelt, hat das einige Auswirkungen für unsere Erzählerin.

Das heißt anfangs setzt sie erstmal zur Flucht nach Vorn an. Sie tritt einen beruflichen Auslandsaufenthalt an. Nimmt Kinder und Mutter mit, während ihr Ehemann daheim bleibt. Es ist nicht so, dass sich hier ein rasanter Thriller entspinnt. Viel mehr denkt unsere Protagonistin viel darüber nach, was sie nun mit dieser Schwester anfangen soll. Sie hat ja schon eine, mit der sie nicht so besonders gut klarkommt (das ist mehr oder weniger ein Zitat aus dem Roman 😉). Was nun tun mit dem Ungleichgewicht, das eine dritte hervorruft? Eine unbekannte Größe. Unsere Erzählerin beginnt ganz anders über die Beziehung zu ihrem Mann nachzudenken, über ihre Kindheit und ihre Eltern. Darin finden sich Gedanken über das Aufwachsen in der DDR und Familie. Manchmal witzig, manchmal von Melancholie geprägt oder auch mit einem Hauch Tragik.

Julia Schochs Erzählstil schätze ich sehr. Sie macht die Auslandsreise zu einem Kuriosum. Zieht eine Autorin aus der DDR aus in den USA über DDR-Literatur zu referieren. Dabei lässt sie etwas zurück, das ihr andererseits aber im Kopf rumspukt und sich in alle ihre Beziehungen schleicht: das titelgebende Vorkommnis. Man entdeckt darin zart das autofiktionale, wenn man was von Autorin und DDR liest. Andererseits: haben wir vor 2022 auch versucht in fiktional, autobiografisch oder gar autofiktional zu labeln? Ist das überhaupt wichtig? In jedem Fall ist unsere Protagonistin sehr nahbar. Und nachfühlbar wie sehr diese Nachricht an ihrem Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit rüttelt.

Fazit

Kurzes, nahbares Buch voller eindrucksvoller Momentaufnahmen über Familie

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-423-29021-0, dtv

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein.

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