Bei RG Veda handelt es sich um eine Mangareihe der japanischen Comiczeichnerinnen-Gruppe CLAMP. Sie ist lose an Figuren der Rigveda, einer hinduistischen Schrift, und der vedischen Religion angelehnt. RG Veda lässt sich am ehesten dem Genre Fantasy zuordnen und handelt von einer Fehde zwischen Göttern. Genauer ist es der Donnergott Taishaku, unter dessen blutiger Schreckensherrschaft das Himmelreich zittert. Einer Legende nach werden „sechs Sterne“ gegen ihn rebellieren, einer von ihnen wird sie aber verraten. Mit dieser Prophezeiung wird auch der Herrscher Yasha konfrontiert als er im Wald den letzten Abkömmling des Volkes der kriegerischen Ashura weckt. Da Taishaku die Ashura ausgelöscht und auch nur deren Namensnennung unter Strafe gestellt hat, ahnt Yasha, dass er den noch kleinen und wehrlosen Ashura schützen muss. Das bekommen aber auch andere mit und Yasha gerät immer mehr ins Kreuzfeuer bis er bald nichts mehr zu schützen hat – außer Ashura, der schnell heranwächst und dessen Fähigkeiten sich bald zeigen. Als Yasha von der Prophezeiung hört, liegt es schon bald für ihn auf der Hand, dass sie beide zu diesen sechs Sternen gehören und die Lösung zur grausigen Diktatur Taishakus sind. Ashura zu beschützen und die anderen „Sterne“ zu suchen wird aber eine immer schwierigere Aufgabe, die viele Opfer fordert.
RG Veda erschien eigentlich von 1989 bis 1996 in Japan, was es nun nicht zur offensichtlichen Wahl für eine Publikation in den 2020ern macht oder erklärt, warum ich die Reihe gerade erst gelesen habe. Tatsächlich war RG Veda aber in den 90er Jahren der große Durchbruch CLAMPs, wurde oft in einem Atemzug mit ihnen genannt und schon früher einmal in Deutschland veröffentlicht. 2019 erhielt die Reihe eine Neuveröffentlichung bei Manga Cult. Die Bände der Reihe erschienen nun gebündelt in einer großformatigeren Hardcover-Ausgabe, betitelt als Master Edition. Leider sprang ich zu spät auf dem Zug auf. Ich leistete mir Band 1 der Master Edition, las ihn erst vor Kurzem und musste feststellen, dass die letzten beiden Bänden seit einiger Zeit verlagsvergriffen sind. Sammler:innen haben wohl in weiser Voraussicht zugeschlagen, während ich nun zur Bibliotheksausgabe von früher zurückgriff. Anfangs war RG Veda okay. Es rief angenehm nostalgische Gefühle an meiner Teenagerzeit und das Aufwachsen mit CLAMP-Manga hervor. Schicksal, Prophezeiungen, magische Schwerter und schwierige, schwer zu labelnde Beziehungen inklusive. Besonders hooked war ich anfangs nicht. Dann las ich den letzten Band und habe schon eher verstanden, warum vor Allen dieser verlagsvergriffen ist.
Über weite Strecken verläuft die Handlung relativ formelhaft. Yasha nimmt eine Art Vaterrolle gegenüber (dem kleinen) Ashura ein und fast alle Personen, denen sie begegnen, werden hinterher von Taishaku und seinen Generälen umgebracht. Ab und zu treffen sie besonders mächtige Krieger und Kriegerinnen, bei denen man schnell ahnt, dass sie Teil ihrer Gruppe werden und als „Sterne“ zu verstehen sind. Begleitet wird das ganze stets von der Prophezeiung und man vermutet schon, dass Ashura selber der Verräter ist, der dort bereits bedeutungsschwanger angekündigt wird. Denn Ashura ist eine Gestalt mit mehreren Gesichtern gemäß seines Vorbilds, das auch tatsächlich so dargestellt ist. Einerseits ist Ashura der noch schutzbedürftige, kindliche Prinz. Ab und zu spricht aber aus ihm auch eine hasserfüllte, brutale Gestalt mit einem schönen, elfenhaften Gesicht. Das janusartige ist wie viele Charakterzüge auch anderer Protagonisten den Veden entliehen. Und ein gutes Sinnbild für die Dualität von Gut und Böse in uns allen?
Wer mehr Geschichten CLAMPs kennt, liest hier auch Parallelen zu X bzw. X-1999 heraus. Nun denkt man schon alles zu wissen und die Handlung aus Sterne suchen, Opfer erdulden, magische Items finden erinnert an Videospiele und scheint nicht mehr zu überraschen. Aber mit fortlaufender Handlung wird das Mysterium um die Prophezeiung doch nochmal vertieft und Andeutungen gemacht, die bei Laune halten. So sagt der scheinbare overpowerte Bösewicht Taishaku selber, dass er an dem Reich gar nicht interessiert ist und ganze andere Beweggründe für sein Handeln hat. Oftmals wird auch die Frage gestellt, ob die Prophezeiung denn eintreffen muss? Wird sie einer aus ihrer Reihe verraten oder kann sich das Schicksal doch noch ändern? Wie gut stehen aber die Chancen, wenn doch bisher alles eingetreten ist, was prophezeit wurde? Kann man das Schicksal ändern? Eine Frage, die Gewicht hat.
Das Thema der sich selbst erfüllenden Prophezeiung ist ein verführerisches. Man will doch händeringend wissen, ob es eintritt und was sich eventuell noch für ein Twist hinter all dem verbirgt. Twists wird es einige geben, die über die musterhaften ersten zwei Drittel der Handlung hinwegtrösten. Ich möchte gar sagen, dass sich RG Veda im Finale mit einer ausgeklügelten Offenbarung nach der anderen, aber auch einem hohen Body Count zu einer Art Manga-Game-of-Thrones mausert. Hält man dafür aber drei weniger überraschende Bände aus? Dass müssen sich geneigte Lesende selber fragen. Gegen Ende hat die Geschichte auf jeden Fall mehr Appeal. Manche Elemente der Handlung und Vorausdeutungen werden kunstvoll eingewebt wie die Frage, ob man die Prophezeiung und das Schicksal abwenden kann. Ebenso Taishakus wahre Motive oder auch die Frage nach dem Verräter oder der Verräterin. Andere Fakten hätten sie gern früher fallen lassen können. Beispielsweise, dass beim Töten eines Gegners dessen Kraft auf einen übergeht. Wäre auch schon vor den letzten Kapiteln eine Erwähnung wert gewesen, damit man die Regeln und Grenzen der magischen Welt von RG Veda für voll nehmen kann. So bekommt man eher das Gefühl, dass sie beliebig erweiterbar ist und dieser Fakt gerade gelegen kam.
Auch der Zeichenstil entwickelt sich. Sind anfangs die Hüften sehr schmal und die Rüstungen ungelenk und unfreiwillig komisch, werden spätere Kapitel atemberaubend schön und sehr detailliert illustriert. Sogar so schön, dass man versteht, warum sich RG Veda qualifiziert hat als Master Edition neu aufgelegt zu werden. Der Vergleich zwischen der kleinformatigeren, älteren Ausgabe und der neueren, großformatigeren Master Edition zeigt, dass man den Kampfszenen in der neueren besser folgen und das Artwork mehr genießen kann. Nur muss man dafür auch akzeptieren, dass CLAMP sich eingroovt und ihren Stil entwickelt. Die ersten Bände sind solide, aber das Artwork dort nicht die Augenweide des vierten und fünften Bandes. Frühere Bände wurden auch anders übersetzt. Während dort beispielsweise „Yasha-oh“ als Eigennamen stehen gelassen wird, findet man in der überarbeiteten Übersetzung der Master Edition an der Stelle die Bezeichnung „König Yasha“, die weniger gestelzt klingt. (Das „O“ ist im Japanischen ein glorifizierender Partikel, der Status preisgibt.)
Das Artwork CLAMPs orientiert sich an verschiedenen Einflüssen. Welche und wie viele davon tatsächlich hinduistischen Ursprungs sind, kann ich schwer beurteilen. Obwohl ich das nicht fundiert begründen kann, halte ich es eher für einen Mix verschiedener visueller Stile, einschließlich asiatischer und orientalischer. Man mag gar ein wenig HR Giger in den organischen, verschlungenen Ornamenten erkennen, die oftmals Ashura begleiten. Das sich unermüdlich drehende Rad des Schicksal findet sich insbesondere in den später aufwendig gestalteten Seiten.
CLAMP hat zudem seit jeher Beziehungen unterschiedlicher Gestalt in ihre Geschichten geschrieben. Heterosexuelle, homosexuelle und welche die kaum zu labeln sind. Was heute normal sein sollte, aber vor 35 Jahren wohl als mutig oder wegweisend angesehen werden kann. Es entbehrt auch nicht ganz Kritik, dass die Beziehungen oftmals an Queerbaiting erinnern, wenn eben nicht gelabelt wird und nicht klar ist, ob wir hier von Liebe sprechen, oder ob sie „nur wirklich gute Freunde“ sind. Zumindest scheinen die Heilerin und Kriegerin Soma und die Musikmeisterin Kendappa nicht nur gute Freundinnen zu sein. Yasha und (der ältere) Ashura haben eine Beziehung, die auf manchen Artworks nicht mehr nur so väterlich wirkt. In dem Manga habe ich wieder gelernt wie populär Bishounen und androgyne Charaktere insbesondere im Manga der 90er Jahre waren und es sind – auch wenn das heute etwas anders aussieht. Spätestens im letzten Band macht CLAMP dankbarerweise Nägel mit Kopfen und droppt einige Labels – und das auf die bittere Art. Lieblingscharaktere segnen das zeitliche, das finale „Ich liebe dich“ wird gefühlt immer einen Tick zu spät ausgesprochen und CLAMP schafft ein brutales und tragisches Ende.
CLAMP-Manga spannen eine ganz andere Welt auf. Eine in der das unmögliche möglich gemacht werden und das Schicksal verändert werden soll. Eine Welt, in der Versprechen um jeden Preis gehalten werden. Eine Welt, in der Gefühle zu oft nicht ausgesprochen werden. Manches davon mag lächerlich erscheinen, wenn man sich nicht darauf einlässt. Wenn man es aber kann, ist RG Veda mitreißend und das Ende eines, dem wir entgegen fiebern, obwohl wir wissen, dass ein Happy End hier nahezu aussichtslos ist. Die Reihe mag mich nicht von Anfang an beeindruckt haben. Am Ende hat sie mich aber daran erinnert, was für unfassbar verzwickte, tragische, aber auch brutale und gelungen komponierte Geschichten CLAMP erzählt. Habe ich mir dann noch gebraucht die ganze Reihe geholt? Habe ich … .
Fazit
Die Reihe entwickelt sich zu einem emotionalen, aber auch brutalen Epos, das fragt, ob das Schicksal unausweichlich ist. Dranbleiben wird belohnt.
Ab 2004 erschien „RG Veda“ in sieben Bänden abgeschlossen bei Carlsen, ab 2019 in einer in 5 Bänden abgeschlossen Master Edition bei Manga Cult.
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
Schreibe einen Kommentar