Serien-Besprechung: „Yellowjackets“ Season 1

Yellowjackets“ war eins meiner Serienhighlights 2023. Trotzdem habe ich nie darüber geschrieben. 🤔Warum? Weil ich mich stets gefragt habe, warum ich die Serie so sehr mochte, aber nicht genug, um sie mit einer 10/10 zu krönen. Bin ich der Sache auf die Spur gekommen oder wollte ich nur einfach endlich weiterschauen? Ihr erfahrt’s spoilerfrei in der Besprechung.

Unwillkommener könnte der Besuch der Reporterin Jessica (Rekha Sharma) für Shauna (Melanie Lynskey) kaum sein. Es reicht ihnen nicht von der Überlebensstory der Yellowjackets zu hören. Alle unterstellen, dass etwas vorgefallen sein muss, was sie verbergen. Shauna und ihr Mädchen-Fußballteam stürzten vor 25 Jahren auf dem Weg zu Nationalspielen mit einem Flugzeug in der Wildnis Kanadas ab und schafften es irgendwie 19 Monate zu überleben. Allerdings nicht alle von ihnen. Zwar kann Shauna die Journalistin abwimmeln, aber nicht die Erinnerungen. Zeitgleich werden auch drei weitere der Yellowjackets von der Vergangenheit eingeholt. Taissa (Tawny Cypress) kandidiert gerade als Senatorin, was auch die Presse und die „besorgten Bürger:innen“ auf den Plan ruft, die plötzlich den Absturz wieder interessant finden. Natalie (Juliette Lewis) hat eine Postkarte mit mysteriöser Botschaft erhalten und beschuldigt Misty (Christina Ricci) die Urheberin zu sein. Die einzelnen Spuren bringen die Überlebenden bald wieder zusammen. Was nicht automatisch heißt, dass die Rätsel weniger werden.

Yellowjackets (Offizieller Trailer) | Paramount+ Deutschland, Youtube

Während all dem kommt die persönliche Ebene nie zu kurz. Nicht nur, dass das gegenwärtige Leben der Yellowjackets eine signifikante Rolle spielt, es wird natürlich durch die traumatischen Ereignisse beeinflusst. Dazu sehen wir in ausführlichen Rückblicken wie es zu dem Absturz kam, wie sie überlebten und was sich tatsächlich ereignete. Wir lernen alle unsere erwachsenen Yellowjackets auch als Teenager kennen inklusive all der Dinge, die sie umtreiben. Diejenigen von ihnen, die einen schlechten Ruf haben, aber niemand darüber redet aus welchen zerrütteten Elternhäusern sie stammen. Diejenigen, die sich unter Schmerzen finden müssen. Andere wie Misty, die sonst belächelt werden und nach dem Absturz das erste Mal Anerkennung erhalten – mit Folgen. Mentale Probleme, gesundheitliche, persönliche, Ängste. Nahbar hoch zehn.

Wir bekommen auch schnell vermittelt, dass sich innerhalb der neunzehn Monate doch einiges an der Gruppendynamik tat, der Winter hart an ihnen zehrte und sie vielleicht doch taten, was alle vermuten? Sich zu kannibalisieren. Worauf wir einige weitere Blicke erhaschen: es war vielleicht, aber nur vielleicht, noch viel krasser als es sich die sensationsgierigen vorstellen. Der Glaube an eine höhere Macht außerhalb der Hütte, reichlich Blut und kultgleiche Riten. Es wird wild.

Was Yellowjackets so außergewöhnlich macht ist das Genre in Kombination mit dem überwiegend weiblichen Cast. In der (ebenso großartigen) Serie Evil hieß es mal: „Das Fernsehen hasst Mütter“. Da haben sie nicht so Unrecht. Das Abwesende-Mutter-Trope (manchmal als Sündenbock, manchmal als Auslöser der Ereignisse) ist das Eine, die ewig gleichen Stereotype sind das andere. Wie viele Serien kennt ihr, die einen vorrangig weiblichen Cast haben und sich nicht allein um Beziehungsfragen oder Slice of Life-iges drehen? Ja, da fällt einiges weg, was einem schnell einfällt. Dass die Medien gern Geschlechterbilder und -klischees reproduzieren ist kein Ding der 50er Jahre, sondern eins von bis kurz vor #MeToo. Hier aber lässt es Frauen großräumig und überzählig ein Genre einnehmen, das eigentlich sonst vorwiegend Männern vorbehalten bleibt: Mystery und Survival. Nicht nur das. Mein Gott. Sie spielen Fußball.

‚No Return‘ Opening Title Sequence | Yellowjackets | SHOWTIME, Youtube

Die Geschlechterbilder und Stereotypen drehen sich in mehrerlei Hinsicht um, betrachtet man, welche Rolle die mit abgestürzten Männer und Jungs einnehmen. Sie sind (ebenso) die Verunsicherten, Verletzten, die Unterstützung brauchen und ja – sogar mal das Objekt der Begierde werden. Dürfte eine für männliche Zuschauende ungewöhnliche Umkehr sein. Aber das können die Zuschauer ja gern mal in den Kommentaren schildern wie sie das erlebt haben. 😉 Mir fällt es jedenfalls auf wie viele Frauen es im Cast von Yellowjackets gibt und wie sie die Serie dominieren.

Nach reiflicher Überlegung ist mir irgendwann doch aufgefallen, was mir an Yellowjackets ein wenig missfallen hat und an den Punkten schraubt. Es ist, dass sie einerseits so progressiv ist, andererseits eben doch Stereotype anwendet. Die schrullige, die Überchristliche, die Politikerin und gleichzeitig Alpha-Figur, etc. Dass viele ihrer Handlungen vorhersehbar, impulsiv und sprunghaft sind, scheint manchmal aus dem Ratgeber für Standard-Hollywood-Drehbücher zu stammen. Eigentlich jede Übersprungshandlung. Es ist nicht alles gleichermaßen edgy, manches erscheint plötzlich banal und dient offenkundig Shock Value.

Eher wertungsfrei ist wie sich Yellowjackets eines sehr einfachen und wirkungsvollen Mittels bedient. Es macht uns zu Mitwisser:innen und heizt unsere Sensationsgier (manche nennen es Neugier) genauso an wie der Masse und Reporter:innen, die den Frauen auf den Geist geht. Wir sehen das Psychogramm der Mädchen und können erahnen, dass die Gruppendynamik unter Hunger, Stress und Trauma leidet. Dass sie vielleicht wirklich zu dem fähig sind, was vermutet und angedeutet wird. Aber wir wollen wissen, ob wir damit richtig liegen. Ob es noch viel krasser ist als erwartet. Und wie fühlt sich das so an? Letzten Endes ist Yellowjackets nicht über alle Muster und Vorhersehbarkeiten erhaben, aber immer noch ein außerordentlich guter Genremix mit tollem Cast, der es immerhin wagt Konventionen auf den Kopf zu stellen. Wenn auch nicht alle. Er bindet so vollkommen natürlich homosexuelle Beziehungen und diverse Charaktere ein wie es sein soll und hat einen Soundtrack, der bei mir gefühlt noch ein halbes Jahr später rauf- und runterlief. (8/10)

Sternchen-8

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Habt ihr „Yellowjackets“ gesehen? Und wenn ja wie hat die Serie auf euch gewirkt? Nochmal zurück zur Einleitung: tatsächlich habe ich die Review auch gerade jetzt geschrieben, um die erste Staffel für mich zu recapen und mich der zweiten zu widmen. Die dritte kann ich jetzt kaum erwarten.

4 Antworten

  1. Das war wirklich eine tolle erste Staffel, in der die Erzählweise mit der schrittweise Erhüllung von Erkenntnissen die eigentliche Story sehr aufgepeppt hat. Schade, dass da die zweite Staffel meiner Meinung nach nicht mehr ganz mithalten konnte. Die Figur der Misty ist fantastisch – toll geschrieben, wie sie gleichzeitig Mitleid und Hass erweckt.

    In den USA ist übrigens Frauenfußball das große Ding und schon wesentlich länger etabliert als der Männersport.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ah, das ist ja witzig. 🙂 Wusste ich nicht. Dann wirkt das Argument mit dem „und spielen immerhin Fußball“ vielleicht in Deutschland nochmal besonders. Dass die Serie auch wegen des vorrangig weiblichen Casts in gerade diesem Genre Buzz erzeugt hat, ließ sich aber auch so beobachten – Frauenfußball hin oder her.

      Die zweite Staffel hat mir eigentlich genauso gut gefallen.

  2. Staffel 1 mochte ich sehr. Dieser Mix aus Gegenwart und Rückblenden hatte auch ein bisschen was von LOST. Die Figuren mochte ich, auch wenn du mit den Stereotypen Recht hast. Trotzdem war ich voll drin…

    Staffel 2 hat dann in meinen Augen etwas nachgelassen, aber ich bin schon sehr gespannt, wie Staffel 3 wird… wenn sie denn mal kommt

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Jetzt, wo ich gerade LOST rewatche, fällt mir das auch sehr auf. Staffel 2 hat mir genauso gefallen wie die erste, aber es könnte gern mit großen Schritten in Staffel 3 weitergehen. Und ich hoffe auch, dass die bald kommt.

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