Mein Mann und ich schauen „Lost“ – für ihn ist es das erste Mal, für mich das zweite. Inzwischen ist er so ungeduldig mit „Lost“ wie ich mit unserer anderen Serie, die wir gemeinsam schauen (Star Trek DS9). 😅 Eine Freundin schaut inzwischen auch mit und ist weitaus versöhnlicher als er. Obwohl ich „Lost“ liebe, scheint die vierte Staffel aber mein Tiefpunkt zu sein. Die Review ist spoilerfrei, solltet ihr aber meiden, falls ihr Staffeln 1-3 noch nicht kennt.
Kurz bevor wir uns im Staffelfinale von Charlie (Dominic Monaghan) verabschieden müssen, lässt er seine Freunde noch wissen, dass es „nicht Pennys Boot“ ist, zu dem sie versuchen Kontakt aufzunehmen. Die Gruppe um Jack (Matthew Fox), Kate (Evangeline Lilly), Sawyer (Josh Holloway) und all die anderen weiß erstmal wenig damit anzufangen und es bilden sich zwei Gruppen. Diejenigen, die trotzdem mit der Crew auf dem Schiff reden will und Hoffnung auf Rettung hat und diejenigen, die die Warnung ernst nehmen, abwarten oder auch die Insel per se nicht verlassen wollen. Erstere scharen sich um Jack und letztere (wie könnte es anders sein) um Locke (Terry O’Quinn).
Egal wer welcher Gruppe angehört, zwischendurch die Seiten wechselt oder seine:ihre Meinung ändert – wir erfahren v.A. eines: ein paar Leute haben die Insel offenbar verlassen. Denn aus Flashbacks wurden Flash-Forwards. Wir sehen wie die „Oceanic Six“ von der Presse umringt werden. Darunter Kate, Jack, Hurley (Jorge Garcia), Sayid (Naveen Andrews), Sun (Yunjin Kim) und eine Person, die hier nicht verraten werden soll. Und sie geben an, die einzigen Überlebenden zu sein.
Nun stehen Zuschauende natürlich vor der spannenden Frage wie es dazu kommt. Wieso verlassen nur so wenige von ihnen die Insel und was ist mit dem Rest passiert? Vieles hängt damit zusammen, wer denn nun eigentlich die Crew auf dem Rettung verheißenden Schiff ist. Ben (Michael Emerson) warnt jedenfalls lautstark vor ihnen. Sie würden der Insel schaden wollen, alle umbringen – es gibt eine Menge Warnungen und nicht alle sind nur ein Plot von Ben. Erstmal landen aber per Heli + Fallschirm einige Wissenschaftler:innen auf der Insel, die einerseits vorgeben unsere Freunde retten zu wollen, andererseits offenbar eben doch ein größeres Interesse an den speziellen Merkmalen der Insel zu haben. Darunter die Anthropologin Charlotte (Rebecca Mader), der Physiker Daniel (Jeremy Davies) und Miles (Ken Leung), der scheinbar ganz andere Fähigkeiten hat. Was danach folgt ist ein langwieriges Hin und Her.
Serienschöpfer:innen und Drehbuch wollen alles erdenkliche aus diesem Szenario des Ungewissen herausholen und zeitgleich was Neues probieren, das nach drei Staffeln auf der Insel überrascht. Am ehesten funktioniert das mit den Flash-Forwards. Das Leben „draußen“ ist offensichtlich nicht so toll. Manchmal wegen noch offener Rechnungen, wegen der Berühmtheit in der Presse oder Schuldgefühlen wegen der Geschehnisse auf der Insel. Der zweite Teil, das Drama um das Schiff und die Insel und unsere in zwei Lager gespaltenen Freunde ist ermüdend. Natürlich redet niemand Tacheles, was auch die Forschungsgruppe zu Fähnchen im Wind macht, die still ihre eigene Agenda verfolgen. Nichts bringt irgendwen voran – schon gar nicht die Handlung. Red Herrings und vage Andeutungen überall. Das hat eine gewisse Zeit in Lost ganz gut funktioniert, weil man Theorien entwickeln konnte, die Charaktere lieb gewann und zumindest immer mal Brotkrumen fand. Hier geschieht das aber leider nicht und funktioniert dramaturgisch daher auch wenig.
Gepaart wird das Ganze mit unnötigem Drama: warum erzählt Jack nicht einfach, was ihm fehlt? Warum wird die Hintergrundgeschichte der Forschungsgruppe nicht weiter ausgebaut? Zumindest sind andere Charakterentwicklungen sehr wünschenswert. Sawyer macht sich gut. Gräbt man etwas tiefer, erfährt man auch, was die Staffel so unausgegoren macht: der 2007–08 Writers Guild of America Strike. Man kann u.a. hier einiges dazu nachlesen, was wir am Ende nie zu Gesicht bekamen wie die Geschichte Charlottes oder auch nochmal einen späten Take auf Libby. Durch was sich die Staffel noch auszeichnet abgesehen von einem narrativen Verwirrspiel: ein hoher Bodycount und Logiklücken. Warum braucht am Ende ein Schlauchboot so viel weniger Zeit und keine komplizierten Routen, um zum Schiff zu gelangen, aber ein Helicopter schon? Grrrr.
Dass bei diesen schlechten Aussichten hier unten tatsächlich noch „6 von 10 Sterne“ stehen, liegt daran, dass man mich meistens mit meinen Lieblingscharakteren und deren Schicksal kriegt. Was das betrifft, entwickelt die Staffel in den Flash Forwards für mich deutlich mehr Sog und Zugkraft, hält am Ende die Staffel für mich. Plus: das eine oder andere interessante Detail über die Insel zu erfahren. Ansonsten ist es in der Tat die für mein Empfinden schwächste Staffel bisher. (6/10)
Übersicht der Reviews zum „Lost“-Rewatch: Season 1 | Season 2 | Season 3 | Season 4 | Season 5 | Season 6
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Habt ihr auch so mit der vierten Staffel gehadert? Wie würde sich wohl euer Blick auf die vierte Staffel von „Lost“ im Rewatch ändern? Ich konnte mich nur an weniges erinnern, weil „Lost“ damals meiner Erinnerung nach schon in das Nachtprogramm in der Free-TV-Ausstrahlung gewechselt hat und ich einige Folgen nie gesehen habe. Oder mit anderen Worten: hier das erste Mal gesehen habe.
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