Fantastischer Film: Sick of Myself

Nach Dream Scenario wollte ich schon wissen, wer dieser Kristoffer Borgli ist. Das weiß ich immer noch nicht, aber ich stieß auf den Vorgängerfilm Sick of Myself, bei dem Borgli auch Regie führte und den man wohl als seinen Durchbruch bezeichnen kann. Der handelt von einem geltungssüchtigen Paar, das sich auf der Suche nach Anerkennung und Aufmerksamkeit in eine fatale Abwärtsspirale begibt. Wobei man debattieren kann, wen es schlimmer trifft. Denn während der Künstler Thomas (Eirik Sæther) Möbel klaut, um sie anschließend zu Kunstwerken zu verarbeiten, schaut seine Freundin Signe (Kristine Kujath Thorp) resigniert auf seinen Erfolg und sein Verhalten ihr gegenüber. Angestachelt von seiner mangelnden Fürsorge beginnt sie selbst mit allen Mitteln um Aufmerksamkeit zu buhlen. Nachdem sie einem Unfall bewohnt, bemerkt sie, dass gesundheitliche Probleme, Verletzungen und potentiell tödliche Situationen sehr viel Mitgefühl wecken und nutzt das aus.

Sick of Myself Trailer #1 (2023), Rotten Tomatoes Indie, Youtube

Spätestens jetzt dürfte klar sein, dass Signe auf potentiell fatale und unumkehrbare Weise versucht ihr Geltungsbedürfnis zu befriedigen. Müsste man eine Triggerwarnung verteilen, dann wäre das naheliegendste Wohl Blut und Selbstverletzung. Letterboxd listet den Film als Horrorkomödie und das ist ziemlich treffend, denn den Horror merkt man etwa ab der Mitte des Films. Der beginnt langsam, aber nicht langweilig. An kleinen anekdotenhaften Situationen wird klar wie sehr Thomas Signes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit unterwandert – vielleicht sogar wissentlich. Danach kommt die Abwärtsspirale des Paars, das offenbar auch gegenseitige Lügen hinnimmt, solange es sie Beide interessant macht. Was Signe tut, kann man gut und gern als Bodyhorror der eher realistischen Art bezeichnen. Immer dabei: eine schwer zu greifenden Form Humors. Kein haha-witzig, sondern eher ein Humor der bitteren Art, der viel über die Haltung seiner Charaktere kommuniziert und sie zur einer Karikatur macht, ohne ihre Taten zu verharmlosen oder zu banalisieren.

Denn banal ist das nicht. Recht früh im Film unterhalten sich Signe und ihre Freundinnen über Narzissmus und dass der nicht unbedingt nur schlecht ist. Narzissmus würde einen weiter bringen. Nur wohin fragt man sich? Soweit, dass es absurd und schockierend ist. Aber selbst als sich die Schlinge um ihren Hals zuzieht, baut Signe weiter ein Lügenkonstrukt. Sick of Myself trifft in das Herz unserer Gesellschaft, wo persönlichen Entwicklung immer weiter durch Social Media verzerrt wird. Wo die Aufmerksamkeit algorithmisch gesteuert zu einem Suchtmittel gemacht wurde. Signe und andere wollen gesehen werden und was sie sich dafür antun ist eine gute Metapher für die seltsame Maschinerie der Aufmerksamkeitsindustrie, die macht, dass wir den uns nahestehenden zu wenig Zeit widmen und meinen mehr Aufmerksamkeit zu brauchen. Egal wie.

Sick of Myself, Norwegen/Schweden, 2022, Kristoffer Borgli, 98 min

Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch.

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