Nachdem ich letztes Jahr total begeistert von Die Liebe in den Zeiten der Cholera war (vom Buch, vom Film nicht so sehr …) und es als ‚das Buch meines Sommers‘ bezeichnete, empfahl mir die liebe Andrea nun DAS Buch von Márquez. „Hundert Jahre Einsamkeit“. Und das war wohl das Buch meines Spätsommers – Traditionen soll man pflegen. Und ja, ich bin absolut überzeugt davon, dass das Wetter nur so lange so relativ schön war, weil ich noch immer dieses Buch gelesen habe. Und jetzt … bin ich überzeugt davon, dass wir Herbst haben.
Inhalt
Wir verfolgen die hundert Jahre andauernde Geschichte der Buendías, beginnend bei Ursula und José Aracadio Bundía. Sie gründen den Ort Macondo – Schauplatz aller möglichen Umbrüche, Familienstreitigkeiten, Wandel der Zeit und Politik und des Wetters. Sie bekommen Kindern und wir werden Zeuge wie sie aufwachsen, was sie prägt, was sie zermürbt und letztendlich auch Zeuge dessen wie sie sterben. Dabei erleben wir Menschen, die vor Kummer Kalk und Erde essen. Welche, die ihren Lebensabend an eine Kastanie gebunden verbringen. Und andere, die so schön sind, dass sie in den Himmel auffahren. Andere, die sich in ihre Schwester verlieben. Und wieder andere, die nie Liebe erfahren. Welche, die von der Alchemie besessen sind und andere, die von Kriegen besessen sind. Wir erleben getriebene Charaktere, laute und auch leise. Sie streiten sich, sie schreien sich an, sie lieben sich. Aber so unterschiedlich sie auch sein mögen, sie alle teilen eins: die Familien-Einsamkeit.
Hintergrund
Als mich neulich ein Kollege fragte, was ich gerade lesen, wirkten alle gleich bedrückt, als ich sagte „Das Buch ‚Hundert Jahre Einsamkeit’“. Nein – es ist nicht so wie der Name vermuten läßt. Das ist kein schwermütiges Buch. Ich würde es eher als genre-los bezeichnen. Und das sind die guten Geschichten. Was aber vielleicht wirklich etwas mühsam werden kann, ist die Sache mit den Namen 😉 Ich wurde im Blog schon von einigen vorgewarnt und habe mir nebenbei einen kleinen Stammbaum geschrieben. Der Grund: die männlichen Nachkommen werden so ziemlich alle entweder José Arcadio oder Aureliano genannt. Es passiert durchaus mal, dass mehrere Aurelianos zeitgleich leben und das kann verwirrend sein. Der Autor schafft es aber die fast schon beiläufige Nennung kleiner Charaktereigenschaften die meiste Zeit deutlich zu machen, welcher Aureliano oder José Arcadio gerade gemeint ist. Ach übrigens … es gibt auch Stammbäume zuhauf im WWW. Hier zum Beispiel.
Es werden aber tatsächlich hundert Jahre dieser besonderen Familiengeschichte erzählt und hier und da wird behauptet, dass es das bedeutendste Werk des kolumbianischen Literatur-Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez sei. Dafür spricht, dass er niemals der Verfilmung des Stoffs zugestimmt hat.
Meinung
Denn nichts ist spannender als das Leben – besonders bei Márquez. Er gibt seinen Charakteren soviele Eigenschaften mit auf den Weg, dass wir sie uns so lebensecht vorstellen können, obwohl er oftmals nicht einmal beschreibt wie sie aussehen. Und das sind ganz besondere Eigenschaften, die einem wieder ins Gedächtnis rufen, was für ein Wunderwerk jeder Mensch eigentlich ist. (Ich vergesse das nämlich manchmal, wenn mir jemand erzählt, dass er „Mitten im Leben“ oder „Schwiegertochter gesucht“ guckt. Sorry, bitte nicht böse sein … .) Wie auch der derzeit sehr gehypte Autor Haruki Murakami ist Márquez ein Vertreter des magischen Realismus – seine Buendía haben es schon mal mit hartnäckigen Geistern zutun oder auch mit Menschen, die am hellichten Tag einfach mal in den Himmel entschweben. Da fühlt man sich, als ob man mit offenen Augen träumen würde.
Und das tut man auch irgendwie. Denn Márquez‘ Sprache ist so lebendig und so reich an Bildern, dass man sich mittendrin fühlt. Man hat das Gefühl, als ob er einen ganz anderen Wortschatz hat – oder zumindest soviel mehr daraus macht als alle anderen Menschen auf diesem Planeten. Seine Bücher fühlen sich wie ein 3-Gänge-Menü an und vieles andere, was man bis dato gelesen hat, nur noch wie eine Instant-Nudelsuppe. Das hat ein bisschen was von Erleuchtung. Der einzige Autor, der dieses Gefühl bisher bei mir auslöste, war Haruki Murakami. Und gerade deswegen ist eine hundert Jahre andauernde Familiengeschichte nicht langweilig. Aber ich gestehe … ich habe das Buch ein, zwei Mal weggelegt und nicht sofort wieder in die Hand genommen. (Skandal! Ich weiß …) Wenn von Bürgerkriegen die Rede war, fühlte ich mich so aus der Geschichte gerissen und mit plötzlichen Umbrüchen und etwas zerfaserten Darstellungen konfrontiert, dass sich auf diesen paar Seiten die Geschichte plötzlich wirklich nach 100 Jahren anfühlte. Ich kann auch nicht so gut mit dem Thema Krieg, muss ich sagen. Der Werdegang der Familienmitglieder hat mich wesentlich mehr gepackt und mich die Schlussfolgerung und das Ende der Geschichte sehr gerührt.
Fazit:
Vielleicht sollte man nicht unbedingt mit diesem Buch von Márquez starten – denn ich musste feststellen: entweder man liebt oder man hasst es. Aber wenn man es liebt, bleiben einem die Geschichten und Charaktere noch lange in Erinnerung und hallen nach. So wie bei mir.
Darf ich auch mal nebenbei erwähnen, dass ich die Ausgaben aus dem Fischer-Verlag im Mini-Format sehr gern habe?
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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