ausgelesen: Gabriel García Márquez‘ „Hundert Jahre Einsamkeit“

Nachdem ich letztes Jahr total begeistert von Die Liebe in den Zeiten der Cholera war (vom Buch, vom Film nicht so sehr …) und es als ‚das Buch meines Sommers‘ bezeichnete, empfahl mir die liebe Andrea nun DAS Buch von Márquez. „Hundert Jahre Einsamkeit“. Und das war wohl das Buch meines Spätsommers – Traditionen soll man pflegen. Und ja, ich bin absolut überzeugt davon, dass das Wetter nur so lange so relativ schön war, weil ich noch immer dieses Buch gelesen habe. Und jetzt … bin ich überzeugt davon, dass wir Herbst haben.

Inhalt

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Wir verfolgen die hundert Jahre andauernde Geschichte der Buendías, beginnend bei Ursula und José Aracadio Bundía. Sie gründen den Ort Macondo – Schauplatz aller möglichen Umbrüche, Familienstreitigkeiten, Wandel der Zeit und Politik und des Wetters. Sie bekommen Kindern und wir werden Zeuge wie sie aufwachsen, was sie prägt, was sie zermürbt und letztendlich auch Zeuge dessen wie sie sterben. Dabei erleben wir Menschen, die vor Kummer Kalk und Erde essen. Welche, die ihren Lebensabend an eine Kastanie gebunden verbringen. Und andere, die so schön sind, dass sie in den Himmel auffahren. Andere, die sich in ihre Schwester verlieben. Und wieder andere, die nie Liebe erfahren. Welche, die von der Alchemie besessen sind und andere, die von Kriegen besessen sind. Wir erleben getriebene Charaktere, laute und auch leise. Sie streiten sich, sie schreien sich an, sie lieben sich. Aber so unterschiedlich sie auch sein mögen, sie alle teilen eins: die Familien-Einsamkeit.

Hintergrund

Als mich neulich ein Kollege fragte, was ich gerade lesen, wirkten alle gleich bedrückt, als ich sagte „Das Buch ‚Hundert Jahre Einsamkeit’“. Nein – es ist nicht so wie der Name vermuten läßt. Das ist kein schwermütiges Buch. Ich würde es eher als genre-los bezeichnen. Und das sind die guten Geschichten. Was aber vielleicht wirklich etwas mühsam werden kann, ist die Sache mit den Namen 😉 Ich wurde im Blog schon von einigen vorgewarnt und habe mir nebenbei einen kleinen Stammbaum geschrieben. Der Grund: die männlichen Nachkommen werden so ziemlich alle entweder José Arcadio oder Aureliano genannt. Es passiert durchaus mal, dass mehrere Aurelianos zeitgleich leben und das kann verwirrend sein. Der Autor schafft es aber die fast schon beiläufige Nennung kleiner Charaktereigenschaften die meiste Zeit deutlich zu machen, welcher Aureliano oder José Arcadio gerade gemeint ist. Ach übrigens … es gibt auch Stammbäume zuhauf im WWW. Hier zum Beispiel.

Es werden aber tatsächlich hundert Jahre dieser besonderen Familiengeschichte erzählt und hier und da wird behauptet, dass es das bedeutendste Werk des kolumbianischen Literatur-Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez sei. Dafür spricht, dass er niemals der Verfilmung des Stoffs zugestimmt hat.

Meinung

Denn nichts ist spannender als das Leben – besonders bei Márquez. Er gibt seinen Charakteren soviele Eigenschaften mit auf den Weg, dass wir sie uns so lebensecht vorstellen können, obwohl er oftmals nicht einmal beschreibt wie sie aussehen. Und das sind ganz besondere Eigenschaften, die einem wieder ins Gedächtnis rufen, was für ein Wunderwerk jeder Mensch eigentlich ist. (Ich vergesse das nämlich manchmal, wenn mir jemand erzählt, dass er „Mitten im Leben“ oder „Schwiegertochter gesucht“ guckt. Sorry, bitte nicht böse sein … .) Wie auch der derzeit sehr gehypte Autor Haruki Murakami ist Márquez ein Vertreter des magischen Realismus – seine Buendía haben es schon mal mit hartnäckigen Geistern zutun oder auch mit Menschen, die am hellichten Tag einfach mal in den Himmel entschweben. Da fühlt man sich, als ob man mit offenen Augen träumen würde.

Und das tut man auch irgendwie. Denn Márquez‘ Sprache ist so lebendig und so reich an Bildern, dass man sich mittendrin fühlt. Man hat das Gefühl, als ob er einen ganz anderen Wortschatz hat – oder zumindest soviel mehr daraus macht als alle anderen Menschen auf diesem Planeten. Seine Bücher fühlen sich wie ein 3-Gänge-Menü an und vieles andere, was man bis dato gelesen hat, nur noch wie eine Instant-Nudelsuppe. Das hat ein bisschen was von Erleuchtung. Der einzige Autor, der dieses Gefühl bisher bei mir auslöste, war Haruki Murakami. Und gerade deswegen ist eine hundert Jahre andauernde Familiengeschichte nicht langweilig. Aber ich gestehe … ich habe das Buch ein, zwei Mal weggelegt und nicht sofort wieder in die Hand genommen. (Skandal! Ich weiß …) Wenn von Bürgerkriegen die Rede war, fühlte ich mich so aus der Geschichte gerissen und mit plötzlichen Umbrüchen und etwas zerfaserten Darstellungen konfrontiert, dass sich auf diesen paar Seiten die Geschichte plötzlich wirklich nach 100 Jahren anfühlte. Ich kann auch nicht so gut mit dem Thema Krieg, muss ich sagen. Der Werdegang der Familienmitglieder hat mich wesentlich mehr gepackt und mich die Schlussfolgerung und das Ende der Geschichte sehr gerührt.

Fazit:

Vielleicht sollte man nicht unbedingt mit diesem Buch von Márquez starten – denn ich musste feststellen: entweder man liebt oder man hasst es. Aber wenn man es liebt, bleiben einem die Geschichten und Charaktere noch lange in Erinnerung und hallen nach. So wie bei mir.

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Darf ich auch mal nebenbei erwähnen, dass ich die Ausgaben aus dem Fischer-Verlag im Mini-Format sehr gern habe?

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

11 Antworten

  1. Sehr schöne Rezension! Muss es wirklich auch mal lesen.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Dankeschön 😀 Könnte was für dich sein – ist ja auch ein historischer Roman irgendwie 😉 nur dass hier die Stadt fiktiv ist. Es wird auch, soweit ich weiß, kein bestimmter realer Krieg angesprochen. Aber so vom Flair …

      1. Ja, ich mag ja Atmosphärisches. Da muss dann nicht mal allzu viel passieren 😀

  2. Das klingt nach einem großartigen Buch – kann mir bei deiner Inhaltsangabe allerdings schon vorstellen, dass es zwischenzeitlich etwas schwermütig wird, oder? Ich setz es mal als übernächstes Buch auf meine Leseliste, vielleicht wird’s ja mein Neujahrsbuch 😉 Welches empfiehlst du denn als erstes zu lesen?

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hm … schwermütig würde ich gar nicht mal sagen. Es passieren zwar schon Dinge, die mich etwas geschockt haben (plötzliche Tode …) Aber die Charaktere in dem Buch sind so verrückt und viele Geschichten so augenzwinkernd erzählt, dass es meistens schnell wieder ablenkt. Aber hier und da kamen mir einige Passagen schon etwas langatmig vor. Das Problem ist, wenn man dann das Buch weglegt, weil einen die Bürgerkriegserzählungen gerade nicht fesseln (so wie es bei mir der Fall war), dann kommt wegen der vielen gleichen Namen später schlecht wieder in die Erzählung rein (so wie es bei mir der Fall war) … .
      Also wenn du mich so fragst … ich würde dir empfehlen zuerst „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ zu lesen. Das hat weniger Seiten und eignet sich dann vielleicht etwas besser den Autor kennenzulernen und herauszufinden, ob man den Erzählstil mag. Ich lese normalerweise absolut keine Liebesromane oder Schmonzetten und gerade deswegen kann ich dir sagen: es ist auch nicht die übliche Liebesgeschichte. Und hat mehr historische Bezüge (Cholera eben).

  3. Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich doch sehr erleichtert bin, dass Dir der Roman gefallen hat – hätte ich mir niemals verzeihen können, wenn Du so viele Stunden damit verbracht hättest, Dich durch das Buch zu quälen. Die Sache mit den Namen: Ich glaube diese Verwechslungsgefahr ist bestimmt gewollt. Am Anfang habe ich mir auch eine Namensliste erstellt, es dann aber gelassen und mich einfach von den Protagonisten und ihren Geschichten treiben lassen. Du hast den Roman so schön beschrieben, da kommen wieder sehr viele Erinnerungen hoch. Allein dafür: Danke schön!! 🙂 P.S.: Die Mini-Ausgaben sind wirklich sehr hübsch….

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Haha 😀 Nachdem mir „Die Liebe …“ so gefallen hat, war ich mir ganz sicher, dass das gut wird 😉 Tatsächlich gab es ein paar Passagen die ich etwas langatmig fand – deswegen gab es bei Goodreads eben auch nur 4 statt 5 Sterne. Das waren meistens die Bürgerkriegspassagen etc. Krieg ist bei mir immer ein Killer, wenn ich ein Buch lese. Eigentlich egal welches Buch…
      Aber das was ich bei „Die Liebe …“ so mochte (die Bildsprache, die teilweise so spleenigen Charaktere, die Schilderung der damaligen Zeit und Bräuche) war hier auch wieder da. Und die fantastischen Charaktere ja am allermeisten. Das mochte ich wirklich sehr. 😀
      Was die Verwechslungsgefahr betrifft, hast du sicher Recht. Das würde auch diese Familien-Einsamkeit und die ähnlichen Charakterzüge der Aurelianos und José Arcadios bekräftigen 😉 Mir hat das gut gefallen, dass da so oft von einem Kreislauf die Rede war. Gegen Ende hatte ich echt das Gefühl, dass wir wieder am Anfang des Buches angekommen sind. Tolle Aussage! Das war mal wirklich ein richtiges Ende, was nachhallt. Hat man irgendwie zu selten, finde ich … .
      Freut mich, wenn ich ein paar Erinnerungen wecken konnte 😀
      Die Ausgabe von „Hundert Jahre …“ habe ich tatsächlich ca. ein Jahr gefunden nachdem ich „Die Liebe …“ gelesen und gekauft habe. Und als ich die gesehen habe, die zu der anderen passt, dachte ich: JETZT. DAS ist ein Zeichen *_* jetzt lese ich, was mir Andrea empfohlen hat XD

  4. Wie, Herbst? Hättest Du dann nicht ein bisschen langsamer lesen können? 😉
    Du hast mich jetzt aber doch sehr motiviert. Ich habe eine Original-Ausgabe hier liegen aus einer Zeit, in der mein Spanisch wesentlich fließender war als jetzt, und der furchtbar lange erste Satz hat mich bislang jedes Mal dazu gebracht, das Buch ganz schnell wieder aus der Hand zu legen. Aber dann muss ich mir jetzt wohl mal ein bisschen mehr Mühe geben. Zumal ich die beiden dünneren Bände, die ich von Márquez bisher gelesen habe, sehr mochte. Danke für die leidenschaftliche Rezension.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das mit dem langsamer lesen dachte ich mir heute auch, als ich von der Arbeit kam brrrrrrrrr k-k-k-kalt O_O
      Wow XD ein Buch in einer anderen Sprache als englisch (naja oder deutsch) zu lesen … davor habe ich enormen Respekt! Das wäre richtig krass, wenn du das machst! 😀
      Aber diese Bandwurmsätze sind mir auch aufgefallen. Da war einer der ging über 3 Seiten. Das war eine riesengroße Aufzählungen in der eine Person beschreibt, was andere tun um sie zu ärgern. Lustig aber anstrengend XD

      1. *schluck* Das klingt tatsächlich anstrengend. Aber andererseits sind Herausforderungen ja was Feines =) Ich probier das demnächst echt nochmal.

  5. Sehr schön geschrieben. Zum zweiten Todestag von Gabo habe ich übrigens gerade ein kleines Special veröffentlicht: http://www.gabo.novelero.de
    Schaut gerne mal rein.

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