In der letzten Ausgabe haben wir uns mit Uncanny-Valley-Effekt beschäftigt und warum eine KI, ein Roboter oder eine andere künstliche Darstellungsform so schnell als gruselig empfunden wird, obwohl sie doch menschliches Verhalten zeigt. Wo wir doch gerade bei gruselig waren … sehen wir uns mal einen ganz anderen Ansatz von KI an. Wie wäre das, wenn wir unser Hirn hochladen könnten? Das ist dann so ziemlich das, was wir uns unter künstlicher Intelligenz vorstellen, oder nicht? Geht das denn? Also heute: Mind-Uploading.
Mein Backup von mir
Der Verlust des eigenen Ichs, des Bewusstseins und Wissens ist eine Urangst und dürfte jedem einen Schauer über den Rücken jagen. In Filmen wie Transcendence wurde ein Ansatz und Gedankenexperiment aufgegriffen, das seit vielen Jahren die Menschen zum diskutieren bringt. Wenn man x-beliebige Daten digitalisiert und speichert, warum nicht das menschliche Gehirn? Wenn man die Strukturen des menschlichen Hirns auf einen Computer übertragen würde, sei es als Simulation (rein-digital) oder in einem physischen, künstlichen, neuronalen Netz, könnte man damit nicht auf einzigartige Weise das Gehirn erforschen? Sozusagen künstliche Intelligenz mittels einer ganz anderen Herangehensweise erschaffen? Und als schöner Nebeneffekt hätte man ein Backup von sich selbst. Smells like immortality. Oder?
Die Medien machen’s vor …
… und zeigen uns auch wo das ganze hinführen kann. Denn das ist das starke an Zukunftsvisionen. Im besten Fall zeigen sie uns was schief gehen kann, bevor wir darüber nachgedacht haben. In der Anime-Serie Neon Genesis Evangelion (1995) existiert das Entscheidungssystem MAGI, das die Wissenschaftlerin Naoko Akagi aus drei eigenständigen Supercomputer-Systemen zusammensetzte. Namentlich: Kaspar, Melchior und Balthasar. Jeweils neuronale Netze. Die repräsentieren unterschiedliche Schattierungen von Akagis Persönlichkeit. Einmal ihre Werte als Mutter, als Frau und als Wissenschaftlerin. Der Ansatz impliziert, dass ein mind-uploading nicht trivial ist. Wie bildet man eine Persönlichkeit ab? Kann man diese wirklich von einem biologischen Körper trennen, der von Enzymen und Hormonen beeinflusst wird? Und von äußeren Umständen? Der Anime Ghost in the Shell (1995) sieht es als Normalzustand, dass Menschen ihren Geist in eine Hülle (shell) hochladen lassen. Eine Vision, die unglaubliche viele Möglichkeiten nach sich zieht, denn die digitalisierten Gehirne sind stets mit dem Internet verbunden. Der Weiterentwicklung des Menschen wären keine Grenzen gesetzt, wo man heute eher Stillstand beobachtet. Dabei illustriert der Film aber auch wie gefährlich es ist, wenn sich Hacker daran zu schaffen machen und wie angreifbar man ist, wen jemand wortwörtlich im Kopf eines Anderen rumpfuscht. Im Spielfilm Transcendence (2014) wird das Bewusstsein eines Wissenschaftlers hochgeladen, es entstehen aber schon bald Zweifel, ob man es wirklich noch mit dem „Menschen“ zutun hat oder sich die digitale Entität gar in eine möglicherweise gefährliche Richtung entwickelt. Und wie soll überhaupt das Bewusstsein in die Maschine kommen? Eine Frage, die kaum ein Film oder Buch beantwortet. Im Horror-Sci-Fi-Roman Loop – The Ring III (der dritte Teil der Ring-Filme – ja genau die mit dem gruseligen Mädchen aus dem Fernseher) wird die Frage beantwortet. Dort wird einmal ein Mensch digitalisiert, d.h. seine Bestandteile mittels eines Lasers gescannt, der dabei den Körper zersetzt. Kein Weg zurück.
Und wie sieht die Realität aus?
Neurowissenschaftler und Bioinformatiker beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit der Frage und es gibt keine klare Aussage über die Machbarkeit. Zuviele Unbekannte. Kann beispielsweise das Gedächtnis eines Menschen wirklich anhand der neurologischen Struktur, d.h. der Verzweigung von Nervenzellen des Gehirns, gespeichert werden? Und welche Methoden sind überhaupt gut genug um das feine Netz aus Neuronen zu scannen und zu speichern? Wäre die Rechenleistung ausreichend? Und woher weiß das digitale Hirn welche Impulse welchen Weg durch das Nervenzellen-Geflecht suchen? Kann auf dem Weg eine Persönlichkeit gespeichert werden? Und kann das ganze überhaupt durchgeführt werden mit der Aussicht auf ein Überleben? Im Gespräch sind die Methoden des serial sectioning, bei dem gefrorene Gehirnmasse in Scheibchen gescannt werden muss. Es ist unklar ob bildgebende Verfahren wie das nicht-invasive funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) ausreichen würden, um alle Abhängigkeiten abzubilden. Es wird angenommen, dass weitere Verfahren wie Magnetoenzephalographie (MEG) vonnöten wäre.
Think … small
Einige Initiativen versuchen Mind-Uploading eines Wurms und von Fruchtfliegen zu erreichen. Während das IBM-Projekt Blue Brain seit 2005 untersuchte wie man das Gehirn einer Maus digitalisieren könnte. In der breiten Öffentlichkeit gibt es reges Interesse an der Thematik, aber auch Kritik. Zum Einen können durch die Forschung wichtige Erkenntnisse darüber gewonnen werden wie das Gehirn funktioniert und vielleicht sogar Wege gefunden werden, um neurologischen Erkrankungen entgegen zu wirken. Auf der anderen Seite ruft das ganze philosophische und moralische Fragen auf den Plan. Darüber kann sich jeder individuell ein Bild machen, daher hierzu ein paar Links:
Das englische Wikipedia: Mind-Uploading
io9.com: You Might Never Upload Your Brain Into a Computer
Deutsche Wikipedia: Unsterblichkeit, Abschnitt Mind-Uploading
kurzweilai.net: We’ll be uploading our entire minds to computers by 2045 and our bodies will be replaced by machines within 90 years, Google expert claims
Zu den bisherigen Artikeln der Reihe:
‘Künstliche Intelligenz’ (I) – Was ist dran?
‘Künstliche Intelligenz’ (II) – Maschinelles Lernen
‘Künstliche Intelligenz’ (III) — “Künstliche Neuronale Netze”
‘Künstliche Intelligenz’ (IV) — “Künstliche Neuronale Netze” im Detail
‚Künstliche Intelligenz‘ (V) — Wer war Alan Turing? Und was ist der Turing-Test?
‚Künstliche Intelligenz‘ (VI) — Doku-Tipp „Plug & Pray“
‚Künstliche Intelligenz‘ (VII) — die Darstellung von KI in den Medien
‚Künstliche Intelligenz‘ (VIII) — zu Gast im ‘unheimlichen Tal’
Auf einer Unheimlichkeits-Skala von 1 bis 10, wobei 10 super-gruselig ist, wie unheimlich findet ihr diese Vision? In welchen Medien ist euch die Technik über den Weg gelaufen. Und … würdet ihr euch Hirn backupen?
Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen rund um IT, Forschung, Netzwelt, Internet und eben auch Gerüchten widme. 🙂
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