Es ist hinlänglich bekannt, dass in den MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) Frauen meistens nur in sehr geringen Zahlen auftreten. Ich selber habe Informatik studiert (zweimal – Bachelor und Master), bin seit eineinhalb Jahren aus der Uni raus und arbeite seitdem als Softwareentwicklerin. Auch in meiner Firma sind Frauen zahlenmäßig schwächer vertreten. Da gerade jetzt das Thema bei uns stark diskutiert wird, erinnere ich mich wieder daran, dass die Frauen schon im Informatikunterricht in der Minderheit waren. Und das Studium? Das war in erster Linie ein stinknormales Studium. Für mich war es meistens total normal zu tun, was ich tue. Aber es stimmt schon, dass ich einige Aufreger hatte, die mir in größeren Abständen bewiesen haben, dass es eben doch noch irgendwas in den Köpfen der Menschen gibt, dass es als etwas „seltenes | besonderes | seltsames“ betrachtet, wenn eine Frau Informatik studiert. Lasst uns mal gemeinsam auf das schauen, was ich erlebt habe, auf das schauen, was die Geschichte zum Thema Frauen und Informatik zu sagen hat und was mich dazu bringt eine neue Reihe in der Kategorie ‚Netzgeflüster‘ zu starten. Also heute: Die TOP 5 fragwürdigen Sprüche gegenüber mir als Informatikstudentin.
„Also wir hatten auch eine Frau im Informatikstudium, die mussten wir durchschleifen.“ Ein Bekannter meiner Mutter, der im IT-Bereich tätig. Das war seine Reaktion darauf, dass ich mich für ein Informatikstudium entschieden habe.
„Wir hatten auch mal ne Frau im Studium. Die is‘ dann rausgeflogen, weil sie’s nich geschafft hat. (Gefolgt von Lachen.) Mal sehen wie lange ihr bleibt.“ Am ersten Tag in der Uni von älteren Kommilitonen bei der Begrüßungsveranstaltung der Fakultät.
„Vielleicht solltest du lieber was machen, dass dir mehr liegt. Du zeichnest doch gerne und so. Wär‘ Medieninformatik nicht eher was für dich? Denk mal darüber nach.“ – 1. oder 2. Semester Bachelor, ein Kommilitone aus meinem Semester, nachdem ich in einer Mathe-Prüfung durchgefallen bin. Dass ich in der C-Programmierprüfung eine 1,2 hatte, hat wohl nicht interessiert bei der Entscheidung was mir liegt und was nicht.
„Hätte ich ja jetzt nicht gedacht, dass du das schaffst.“ 2. oder 3. Semester Master, von einem Dozenten bei der Abgabe einer sehr aufwendigen Programmier-Hausaufgabe in Java – meiner weapon of choice was Programmiersprachen angeht. Ich weiß bis heute noch nicht, woher diese Einschätzung kam.
Professor duzt mich in der Vorlesung, obwohl er normalerweise alle in der Hörerschaft siezt. Für mich nicht ungewöhnlich, ich arbeite als Hiwi bei ihm und er duzt alle seine Mitarbeiter. Aber dann ist da dieser Moment, als es plötzlich ganz still im Raum wird und sich die männliche Hörerschaft synchron zu mir umdreht und mich mustert. Was denken die denn?
Randnotiz
Der oder andere Spruch (und die nonverbale Reaktion) wirken im ersten Moment nicht so, als ob sie was mit Vorurteilen gegenüber Frauen zutun haben. Die Intention des 3. Spruchs rührt wahrscheinlich eher daher, dass mich der Dozent als jemanden kannte, der viel mit Computergrafik macht – dass man aber darauf reduziert wird und sich nicht vorstellen kann, dass ich fähig bin zu programmieren ist nicht schön und man erschreckt sich erstmal. Schließlich war ich eine Studentin mit ziemlich guten Noten und habe den Spruch um die Ohren gehauen bekommen, als ich bereits mitten im Masterstudium war. Irgendwie muss ich ja auch bis dahin gekommen sein, nicht wahr? Der Artikel heißt ja auch „fragwürdige Sprüche mir gegenüber“ und nicht „fragwürdige Sprüche mir gegenüber als Frau“, es gibt also Schattierungen inwiefern das mit meinem Charakter und dem Fremdbild anderer von mir zutun hat. Trotzdem habe ich bei einigen dieser Beispiele nie gemerkt, dass sich ein Kommilitone das gegenüber einem anderen männlichen Kommilitonen traut – siehe 3. Zitat. Es gab auch männliche Kommilitonen, die durchgefallen sind. Bei derselben oder einer anderen Prüfung. Da war keiner besorgt, dass das womöglich bedeutet, dass es der falsche Studiengang ist. (Mal abgesehen davon, dass der Spruch Leute degradiert, die Medieninformatik studieren.)
Vielen Dank für die Blumen
Es gibt auch viele Situationen, die ich nicht als Zitat aufschreiben kann. Ich habe in meinem Studium mehrere Male erlebt, dass Leute denken, dass ich von meinen Freunden durchgeschleift werde, die Hausaufgaben gemacht bekomme etc. Das passiert oftmals non-verbal, oder nur durch die Betonung oder die Verhaltensweise mir gegenüber. Es ist aber nicht so, dass man als Frau im Informatikstudium etwas geschenkt bekommt, nur weil man eine Frau ist. Und ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ich manchmal das Gefühl hatte mich in Prüfungen mehr beweisen zu müssen als andere. Ich hatte oftmals den Eindruck, dass doppelt genau hingeschaut und hingehört wird. Hat ein Kommilitone eine 1,3 bekommen, obwohl er 2 Fragen in der mündlichen Prüfung nicht beantworten konnte und ich nur eine 1,7, obwohl ich nur einen Punkt nicht beantworten konnte, dann möchte ich sofort unfair rufen. Aber ich kann es nicht, weil ich ja nicht weiß wieviel Gewicht die Punkte hatten oder ob die Prüfer wegen etwas anderem (Auftreten, gestreutes Fachwissen zwischen den Zeilen) von den anderen begeisterter waren.
Es gibt sie definitiv diese kleinen Momente, in denen einem bewusst wird, dass anscheinend doch nicht alle gleich sind. Sei es auch der Moment, wenn ein Kommilitone einen auffordert mehr Röcke zu tragen. Oder dass die Frauen auch mal dazu aufgefordert werden Kaffee kochen zu gehen oder automatisch für die Sekretärin gehalten werden und nicht für die Softwareentwicklerin. Ersteres ist ein Teil meines Erfahrungsschatzes, die letzten beiden Beispiele haben mir andere Frauen erzählt. Außerdem habe ich viele obskure Meinungen gehört. Dass mein Äußeres nicht zu meinem Beruf passt, man stelle sich doch ein „Mannsweib“ vor. Sogar die Meinung, dass die Frauen in unserer Studienrichtung und anderen technischen Feldern vorrangig ja Lesben sein müssten, welche Frau interessiert sich sonst für solche Themen? Lachhaft ist das mit solchen Meinungen konfrontiert zu werden. Außerdem schwingen da auch noch ganz andere Vorurteile mit.
Ganz anders, aber auch schwierig: wenn man überschwänglich dafür gelobt wird, dass man sich als Frau im Informatikstudium ja so gut hält. Oder dass das ja so beeindruckend ist, dass man als Frau Informatik studiert. Das ist sehr nett gemeint und ich freue mich schon irgendwie über sowas. Aber es ist schon ein kleiner Hinweis darauf, dass es noch nicht alltäglich ist – man kann da noch mehr hineininterpretieren. Und wie dann die Männer gucken, könnt ihr euch vorstellen („Mich lobt ja auch keiner dafür, dass ich Informatik studiere, warum sie?“)
Ich bereue nichts
All das klang jetzt wahrscheinlich nicht so klasse, aber es sind tatsächlich eher Einzelfälle, die in 5 Jahren Studium aufgetreten sind. Über die Zeit verteilt ist das nicht so sehr viel. Manche mögen jetzt schreien „jeder chauvinistische Spruch ist ein Spruch zuviel!“, andere verstehen vielleicht nicht mal, was mich an den Sprüchen stört. Ich selber stehe dazu wie folgt: es war der Weg den ich gewählt habe und ich bin diesen Weg gerne gegangen. Abschließend möchte ich daher sagen, dass ich eine gute Uni hatte und (größtenteils 😉 ) sehr nette Kommilitonen. Ich hatte eine gute Zeit, daran besteht kein Zweifel. Jeder hört irgendwo, irgendwann einen unüberlegten, fiesen oder fragwürdigen Spruch. Männer, Frauen, alle. Klar habe ich mich damals sehr über diese Sprüche geärgert, das ist aber kein Jammer-Artikel über meine Situation. Ich komm klar. Der Artikel dient lediglich dazu zu zeigen, dass es Bilder und Vorurteile gibt, die unendlich persistent sind, selbst in aufgeschlossensten Gesellschaften. Wenn es um Feminismus und die Gleichstellung der Frau geht, sind das quasi Luxusprobleme verglichen mit der Situation der Frauen in anderen Ländern. Frauen, die nicht mal eine Schule besuchen dürfen oder wie Abfall behandelt werden.
Woher kommen aber diese hartnäckigen, kleinen Vorurteile?
Um ehrlich zu sein, kann ich mir darauf nicht wirklich einen Reim machen. Natürlich hatten Frauen in früheren Zeiten eher die Aufgabe sich um die Familie zu kümmern. Es gibt weniger weibliche Erfinder – aber es gibt welche. Auch die Rolle der Frau in der IT und Technik allgemein ist nicht so gering wie es vielleicht den Anschein macht. In seinem Artikel Fundstück von 1973: Wie Frauen als Programmiererinnen verschwinden – und der Hinweis darauf gestrichen wird geht Caspar Clemens Mierau darauf ein, dass Frauen in den frühen Stadien der Programmierung alltäglich waren, aber dieses Detail regelrecht verschmäht wird. Früher wurden Menschen, die maschinenunterstützt Kalkulationen betreiben als Computer bezeichnet. Daher kommt auch unser heutiger Begriff dafür. Viele von diesen „Computern“ waren Frauen. (Unter anderem nachzulesen in Andrew Hodgens „Alan Turing: The Enigma“.) Das war stinknormal, besonders während des Krieges, als die Männer in die Schlacht ziehen mussten. Dass solche Details aber irgendwann vom Radar verschwunden sind, erzeugt bei mir immer wieder Stirnrunzeln.
Ankündigung: Frauen der Informatik
Wie oben schon erwähnt entsteht aus all diesen Überlegungen eine Artikelreihe. Sich aber in ellenlangen Artikel mit Vorurteilen und dem Für und Wider zu beschäftigen, überlasse ich anderen. Ich möchte Vorurteile nicht immer und immer wieder verbreiten, deswegen wird das heute der wahrscheinlich einzige Artikel zu diesem Thema bleiben. Stattdessen möchte ich zeigen, dass es Frauen gab und gibt, die in der breit gefächerten Welt der Informatik was bewegt haben. In den nächsten Monaten werde ich immer wieder im Zuge dieser Blog-Kategorie über eine Frau berichten, die Errungenschaften vorzuweisen hat und eine große Rolle spielt. Sozusagen als kleiner Gegenentwurf zu Vorurteilen. 🙂
Edit 01.01.17: Inzwischen habe ich die Reihe beendet und insgesamt ein Jahr lang Frauen der Informatik vorgestellt. #AYearWithWomenInIT Es gäbe noch mehr Geschichten zu erzählen 😉 Aber das sind die bisherigen:
Zu den Artikeln der Reihe
Ankündigung
Teil I: Ada Lovelace
Teil II: Grace Hopper
Teil III: Hedy Lamarr
Teil IV: Marissa Mayer
Teil V: Jade Raymond
Teil VI: Gertrude Blanch
Teil VII: Mary Allen Wilkes
Teil VIII: Nadia Magnenat Thalmann
Teil IX: Adele Goldberg
Teil X: Ida Rhodes
Teil XI: Constanze Kurz
Teil XII: Thelma Estrin
Bist du ebenfalls eine Frau, die in einer „Männerdomäne“ arbeitet? Was hast du erlebt und wie stehst du zu dem Thema? Haben Vorurteile es dir schwer gemacht oder ist es viel mehr so, dass du absolut keine Probleme damit hattest?
Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen rund um IT, Forschung, Netzwelt, Internet und eben auch Gerüchten widme. 🙂
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