Was war das für ein Aufschrei. Es hieß plötzlich J.K. Rowling würde ein neues, achtes Harry-Potter-Buch rausbringen. Die einen freuten sich und tupften sich schon die Freudentränen ab, die anderen waren empört – Ausschlachten des Franchise schrien sie und packten die Mistgabeln aus. Dabei war die ursprüngliche Nachricht, dass es ein Theaterstück geben würde, dass die Kinder unserer Helden zeigt, die sich in Hogwarts durchschlagen müssen. Das so heftig und plötzlich im Internet verbreitete Gerücht um ein achtes Buch stimmt zumindest insofern, dass es eben das Skript des Theaterstückes ist. Aber keinesfalls ein weiterer Roman. Ein Detail das denjenigen zum Verhängnis wird, die sich auf einen weiteren Roman gefreut haben, denn so ein dramatisches Stück ist anders. Der geneigte Leser sollte sich bewusst sein, dass in dieser Besprechung signifikante Spoiler für die sieben Harry-Potter-Bücher lauern. Lesen auf eigene Gefahr.
Aufgeteilt auf zwei Teile und vier Akte erleben wir im Zeitraffer wie Albus Severus, der jüngste Sohn von Harry Potter, eine erstaunlich harte Zeit in Hogwarts durchmacht. Er hat schon früh das Gefühl dem omnipräsenten, berühmten Namen seines Vaters nicht gerecht zu werden. Als er auch noch vom sprechenden Hut dem Haus Slytherin zugewiesen wird, hat er das Gefühl der Schandfleck der Familie zu sein. Obwohl sein Vater ihn beruhigt, entgegen ihm seine Mitschüler wie falsch sich das anfühlt, dass er, der Sohn von dem Harry Potter im Haus Slytherin ist. Und dieses ständige Vergleichen entfremdet Vater und Sohn. Albus bester Freund wird Scorpius Malfoy, der Sohn von Draco Malfoy, der sich ähnlich deplatziert fühlt und die Bürde zu tragen hat, dass sein Vater als Todesser verschrien ist. Die beiden Jungs, die unter dem Ruf ihrer Väter leiden werden beste Freunde wie es einst ein gewisser Harry, Ron und eine gewisse Hermine waren.
Eines Tages belauscht Albus aber die hitzige Diskussion seines Vater mit Amos Diggory, dem Vater von Cedric Diggory. Harry sei am Tod seines Sohnes schuld, weil er das eigentliche Ziel Voldemorts war. Amos verlangt, dass Harry einen Zeitumkehrer benutzt und Cedric rettet. Doch Harry verneint, hält so einen Akt für gefährlich und unethisch – was dabei alles schief gehen kann. Außerdem sei die Benutzung eines Zeitumkehrers verboten. Albus sieht hier aber seine Chance und ist fest davon überzeugt den Fehler seines Vaters umzukehren. Damit tritt er eine Abwärtsspirale los. Sie verändern immer wieder die Vergangenheit und beeinflussen damit die Zukunft. Nach jedem weiteren Versuch von Albus und Scorpius erlebt der Leser eine weitere, etwas abgewandelte Version der Gegenwart. Als sie erkennen, dass durch ihr Handeln Menschen nie geboren wurden und sich Paare nie gefunden haben, entdecken sie, dass sie einen Fehler gemacht haben. Aber ihre Vorhaben lassen sich schwer umkehren, die Vergangenheit nicht wie gewohnt neu schreiben und letzten Endes müssen sie sogar die Rückkehr Voldemorts befürchten.
Und genau darin liegt auch die Stärke des Buches. Dem Leser werden viele verschiedene Versionen der Zukunft unserer Helden geboten. Welche in denen Ron und Hermine nie zusammengefunden haben oder auch welche in denen lieb gewonnene Charaktere deren Tod wir betrauerten, wieder da sind. Da ist beispielsweise der Konflikt: drehen wir die Zeit nochmal zurück, töten wir diese Person erneut. Dieser Aspekt des Buchs, der Humor und die klassischen Sorgen Heranwachsender dürften in uns allen einen wunden Punkt berühren. Außerdem ist da dieses Gedankenexperiment: Wieviele Ausgänge haben wir uns schon in unseren Köpfen für Harry & Co. ausgemalt? Hier werden mehrere präsentiert. Was aus allen Charakteren geworden ist, dass Hermine beispielsweise Zaubereiministerin ist, wieviele Kinder sie haben … das lässt das Fan-Herz glühen. Der Rest der Geschichte weniger. Der Vater-Sohn-Konflikt und das ständige sich-gegenseitig-missverstehen weckt mit Sicherheit die unangenehmeren Erinnerungen unserer Teenagerzeit. Leider wirkt der Konflikt auch mächtig aufgewärmt und repliziert sich ständig selbst, dadurch dass sowohl Vater als auch Sohn Fehler machen, die schon in zig anderen Filmen und Büchern ausgelutscht waren. Leider lässt das Buch auch den Ideenreichtum der sieben klassischen Harry-Potter-Romane vermissen. Die Rätsel sind spärlich und laden kaum zum mitdenken ein. Das Flair fehlt. Den Hauptgrund sehe ich hier in der einfach konstruierten Handlung. Die ist nicht so rätselhaft und ausstaffiert wie in den Büchern, sondern relativ geradlinig. Die vielen Versionen der Gegenwart die wir erleben sind eine schöne Beigabe.
Zu einem bestimmten Grad muss man es dem Buch aber verzeihen können, dass es die Atmosphäre der Bücher nicht erreichen kann. Das ist ganz logisch und jeder der Harry Potter and the Cursed Child zur Hand nimmt, sollte sich dessen bewusst sein. Es ist ein Theaterstück und was wir in der Hand halten ist keine epische Erzählung, sondern ein dramatisches Skript. Jeder der es in der Schule nicht gut fand die Dialoge in shakespearschen Stücken oder Antigone zu lesen, sollte wissen: so ist es hier auch. In der Dramatik, die eigentlich auf der Bühne stattfindet, hat man in Buchform lediglich die Dialoge und einzelne Szenenbeschreibungen. Eben vergleichbar mit einem Drehbuch. Das heißt es fehlen die ausstaffierten Beschreibungen von Kulissen, dem Aussehen der Figuren oder der Magie die Harry Potter ausmacht. Das muss sich der kreative Geist dazu denken. Harry Potter and the Cursed Child kommt nicht an die sieben ersten Bücher ran, weil die Handlung dafür zu dünn und die Konflikte zu ausgelutscht sind. Aber es funktioniert als Bühnenstück wahrscheinlich gut und ist ein schönes Sonderbonbon für Fans der Reihe. Also: nicht zu hart mit dem Buch umspringen.
Fazit
für Fans der Harry Potter Bücher ist es ein schönes Bonbon, das nicht mit den ursprünglichen Büchern mithalten kann – man sollte es aber gelassen und nicht zu verbissen nehmen. Es ist kein Harry-Potter-Buch sondern ein Albus-Severus-Buch. Wagt vielleicht mal einen Blick in die Gebrauchsanleitung zum Buch von herzpotential.com
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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