Da haben sich zwei gefunden, die sich nie getroffen haben. In dem großformatigen Buch „Unheimliche Geschichten“ aus dem Verlagshaus Jacoby & Stuart werden die schaurigen Geschichten von Edgar Allen Poe und die zarten, düsteren Illustrationen von Benjamin Lacombe miteinander vereint. Als ich vor etwas über einem Jahr die Ausgabe in einer Bahnhofsbuchhandlung sah, durfte sie bei mir einziehen, obwohl ich die meisten der Poe-schen Gruselgeschichten schon kannte. In der Sammlung befinden sich Klassiker wie Das verräterische Herz, Der schwarze Kater und Der Fall des Hauses Ascher, aber auch kurzweiligere Geschichten wie Morella, Berenice oder Das ovale Portrait. Letztere haben oftmals den gemeinsamen Nenner, dass sie sich um eine besondere, junge Frau drehen und wiederkehrende Motive wie Krankheit, Tod und der Verlust der Geliebten auftreten. Nicht zuletzt geprägt durch Poes eigene Erfahrungen und das Ableben seiner Cousine und späteren Ehefrau Virginia. Abgesehen von den enigmatischen Frauenfiguren, ist auch oft der Wahnsinn ein Gast in Edgar Allen Poes Geschichten, der oftmals von seinen Hauptcharakteren Besitz ergreift und die Art wie diese den Wahnsinn nüchtern in der Ich-Form beschreiben oder verneinen wirkt ziemlich modern. Die Sprache hingegen verhält sich wie man es vom früheren 19. Jahrhundert erwartet. Die Formulierungen sind feinsinnig und die Schilderungen ausgedehnt, während das Ende und die Pointe der Erzählung meist plötzlich zum Abschluss kommt. Die Geschichte ist manchmal so abrupt zu Ende, dass man das Grauen erst ein paar Sekunden später fassen und verstehen kann. Dazu kommt eine ganze Hülle an Worten und Querverweisen, die man ohne die Fußnoten und das Glossar schwer deuten kann, ebenso wie typografische Besonderheiten, die in die deutsche Übersetzung übernommen wurden wie beispielsweise die Schreibweise von „GOtt“. Man muss diesen Stil und diese Epoche gut abkönnen, um es genießen zu können. Oder man brauch eben ein bisschen Zeit zum warmwerden. Wie Poe aber seine Antihelden beschreibt, die schleichend Opfer von unerklärlichen Sehnsüchten, Wahnsinn oder mysteriösen Geschehnissen werden, macht ihn zu einem Meister seines Fachs, der den Grusel übrigens stets auf nur wenigen Seiten entfacht.
Neben Edgar Allen Poes Geschichten enthält das Buch auch noch ein ziemlich umfangreiches Glossar und Fußnoten und auch einen Abschnitt mit Biografien und Bibliografien von Edgar Allen Poe und Benjamin Lacombe, der die Illustrationen beisteuerte. Lacombe war mir v.A. durch Kathrin ein Begriff und sein Stil passt sehr gut zu dem Zeitgeist der Poes Geschichten innewohnt. Er zeichnet feenhafte Wesen mit zarten Gliedmaßen, verhältnismäßig großen Köpfen und Augen, die märchenhaft wirken und denen er den passenden, morbide-düsteren Charme mitgegeben hat, der von Poes Geschichten ausgeht. Sie lächeln wenig, blicken schwermütig, wissen oder mysteriös vom Papier zu uns. Seine Illustrationen zeichnen sich v.A. auch durch die nahtlosen, weichen Farbübergänge aus. Oftmals wirken die Figuren stoisch und statisch und wie Teile eines Portraits. Er bemüht sich offensichtlich immer um einen besonderen Kniff, so verbindet er Ligeia aus der gleichnamigen Erzählung immer mit Vögeln wie schwarzen Schwänen oder Eulen. Besonders gut gelungen sind meines Erachtens nach die Illustrationen, die sich über zwei Seiten erstrecken oder die schwarz-weißen, die wie altertümliche Fotos bzw Daguerreotypen aussehen und dabei erstaunlich lebendig wirken. Weniger gelungen finde ich einige seiner Strichzeichnungen, die Detailreichtum manchmal vermissen lassen, was aber eindeutig Geschmackssache ist. Davon mal abgesehen stimmen einige der Bilder nicht mit den Beschreibungen in den Geschichten überein wie die Charaktere oder ihre Umgebung aussehen. Ein schöner Zwiespalt zwischen künstlerischer Freiheit und der Kohärenz der Gestaltung – auch das ist jedem selber überlassen, ob man das als störend empfindet oder nicht.
Was einen in jedem Fall darüber hinwegtröstet ist die Aufmachung der Ausgabe, die sich mit Zier-Illustrationen und einem starken Einband gut als Sammlerstück und Prachtausgabe im Regal macht. Mit eingeschobenen Leerseiten oder mehrseitigen Illustrationen ist es ein schönes Stück, bei dem aber vielleicht auch noch Platz für eine weitere Geschichte gewesen wäre. Das 190-Seiten starke Buch beinhaltet nur 8 unheimliche Geschichten. Aber man kann es dem Buch schwer übelnehmen, da die Illustrationen und Fußzeilen der Seiten mit Verzierungen versehen sind, in denen sich Teile der Illustrationen wiederfinden lassen. Alles in allem ist es eine sehr lohnenswerte Ausgabe, wenn man (wie ich) vor einer Weile seine Poe-Sammlung verlegt oder verliehen hat und den Meister des Symbolismus gern wieder im Regal hätte. Vielleicht sogar in einer ansprechenden Form, die seinen düster-romantischen Stoffen gerecht wird.
Fazit
Eine schöne Ausgabe – vielleicht mehr für Fans von Poe als von Lacombe, aber das ist Ansichtssache
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
Schreibe einen Kommentar