ausgelesen: Ray Bradbury „Fahrenheit 451“ (engl. Ausgabe)

Ein bläulich schimmerndes Gesicht, Spuren von Ruß und Asche und der stechende Geruch von Kerosin. Es braucht nicht mal die Arbeitskleidung der Feuerwehr, um zu erkennen, was sie machen. In Ray Bradburys Dystopie ist es nicht der Job der Feuerwehr Feuer zu löschen, sondern Feuer zu legen. Genauer gesagt Bücher zu verbrennen und die Gesellschaft vor schädlichem Gedankengut zu bewahren. Denn das ist es, zu was Bücher degradiert wurden. Freies Denken und Hinterfragen sowie Introspektion gelten als ketzerisch und sowohl für die Gesellschaft als auch das Selbst ungesund. Der Protagonist des Romans heißt Guy Montag, ist Feuerwehrmann und kam stets mit einem Lächeln von der Arbeit. Als er aber die junge, aufgeweckte Querdenkerin Clarisse McClellan kennenlernt, ändert sich das. Sie hinterfragt seine Arbeit, ob er glücklich ist und ihr Andersdenken färbt so stark auf ihn ab, dass er seinen rußgeschwärzten Alltag nicht mehr hinnehmen kann wie er ist.

„Es war eine Lust, Feuer zu legen. Es war eine besondere Lust zu sehen, wie etwas verzehrt wurde, wie es schwarz und zu etwas anderem wurde.“ S. 19

„Er trug sein Glück wie eine Maske, und das Mädchen war damit davongelaufen; es bestand keine Möglichkeit, bei ihr anzuklopfen und die Maske zurückzufordern.“ S. 33

Bradburys Roman erschien im Jahr 1953 und hat in der Originalsprache einen Kniff, der deutschen Lesern evtl entgeht. Feuerwehr heißt im Englischen Firefighter. Das Ummünzen des Jobs von jemandem, der Feuer bekämpft zu jemandem, der mit Feuer kämpft, gelingt hier natürlicher. Während im deutschen Feuerwehr das Abwehren steckt. Nichtsdestotrotz ist das dystopische Szenario beklemmend und Bradbury kratzt an Science-Fiction mit der Schilderung der Massenmedien, die Bücher ablösen und Zerstreuung bieten sollen. Fernsehen wird hier als Bildschirme dargestellt, die sich über ganze Zimmerwände erstrecken, am besten alle vier eines Raumes gleichzeitig und laut lärmend den Zuschauer mit einbeziehen. Totale Immersion, allerdings mit wenig Substanz. So gibt es Programmie wie die „Family“, in der man ständig Menschen um sich hat, die auf einen einreden, miteinander streiten. Nur abgelenkt zu werden, Reize die auf einen einpreschen, aber nicht zulassen, dass man hinterfragt: das ist die Formel mit der die Menschen in Bradburys Zukunftsvision abgespeist werden. Scheinbar mit Erfolg. Nachbarn melden andere Nachbarn, weil sie noch Bücher im Haus haben. Bücher sind als aufwühlend und aufrührerisch verschrien, weil sie das Werkzeug sind, was das Denken anregt. Und das ist nicht mehr erwünscht.

„Wo doch die Schulen immer mehr Läufer, Springer, Rennfahrer, Bastler, Fänger, Flieger und Schwimmer ausbilden, statt Prüfer, Kritiker, Kenner und Schöpfer. Da ist leicht zu begreifen, dass das Wort „intellektuell“ verdientermaßen zu einem Schimpfwort wurde. Das Unvertraute flößt immer ein Grauen ein. Du erinnerst dich doch sicher an einen Mitschüler, der besonders „hell“ war? […] War er nicht dazu ausersehen nach der Schule drangsaliert zu werden? […] Wir müssen alle gleich sein. Nicht frei und gleich geboren wie es in der Verfassung heißt, sondern gleich gemacht.“ S. 105

Hieraus ergeben sich aber viele Lesarten. Einerseits kann man (wie ich) herauslesen, dass der Staat daran interessiert ist, dass die Menschen nicht mitdenken, hinterfragen und aufbegehren und mitreden wollen. Andererseits gibt es auch die Lesart, dass die Menschen sich selber aus der Gleichung nehmen. Dass sie alles, was zu Kontroversen und negativen Gefühlen führt, verbannen. Niemand will sich mehr schlecht fühlen. Was in Büchern zu Zweifeln oder Auseinandersetzungen führt, muss weg. Man denke an menschliche Schicksale, moralische Zwickmühlen, an grausame geschichtliche Details oder gruselige Lektüre. Das wollen sie lieber nicht fühlen. Und so wurden Medien immer mehr reduziert und was rauskommt, sind inhaltsleere Stoffe. Und ebenso leere Menschen?

Leider gelingt es Bradbury nicht wirklich ein Bild dieser Gesellschaft zu vermitteln. Aussehen, Charakterzüge, Umwelt und Geschehen sind oftmals wie im Rausch geschildert oder schlichtweg gar nicht. Er ist ein Mann nicht allzu ausladender Worte. Das macht das Buch dünn, es wird ja auch eher von den vielen Ideen fett. Dabei bleibt aber die Athmosphäre auf der Strecke. Man muss einiges an Vorstellungskraft investieren (können), damit es an allen Stellen Sinn macht. Nichtsdestotrotz ist es ein Buch, das vollgepumpt ist mit Zeitgeist. Bradbury war geschockt aufgrund der Bücherverbrennungen und Zensur überall in der Welt, sei es in Nazi-Deutschland oder durch Stalin. In seinem Buch schwingt außerdem das allgegenwärtige Misstrauen der Ära des McCarthyism mit. Wer ist ein Verräter? Wer hat möglicherweise Bücher? Und die Ablösung der Ära des Radios durch das Aufkeimen des Fernsehens liest sich auch heraus – hier gleichgesetzt mit ideologie-konformer Massenkost und: Fake-News! Das macht Fahrenheit 451 vielleicht nicht zu einem ausschweifend beschriebenen Buch, aber zu einem immer noch oder wieder aktuellen, das uns hoffentlich wie soviele Dystopie-Kollegen daran erinnert wohin wir nicht wollen. Erfrischend ist, dass das Buch im Gegensatz zu vielen Dystopien und YA-Literatur der 2000er auf eine Romanze verzichten kann.

„An neun von zehn Tagen bringe ich die Kinder in der Schule unter. Die drei Tage im Monat, die lassen sich aushalten. Es geht ganz gut; man befördert sie ins Fernsehzimmer und knipst an. Es ist wie mit der Wäsche, man stopft sie in die Maschine und knallt den Deckel zu.“ S. 166

Fazit

Gelungene Dystopie, in der viel Zeitgeist der 1950er Jahre steckt, den kargen und aufs wichtigste reduzierten sprachlichen Stil muss man abkönnen

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

3 Antworten

  1. Oh ein richtiger Klassiker! Muss ich vielleicht auch mal wieder lesen, nachdem die letzte HBO-Verfilmung ja leider nur etwas mau war.

  2. Was lange währt … 😀 Hier nun endlich deine finalen Worte! Sehr facettenreiche Besprechung mit vielen Punkten, die mich noch mehr dazu motivieren, diese Bildungslücke zu füllen, aber auch wohltuenden Hinweisen auf Schwächen, die das Buch „erden“ und nicht so unantastbar machen.

    Ich schwanke ja immer zwischen Lesen und Hören … Einerseits „muss“ gerade dieser Titel gelesen werden, andererseits ist das Hörbuch aber von Rufus Beck eingesprochen, was ich mir auch ungern entgehen lassen möchte. Am Ende wird es aber vermutlich doch auf die gedruckte Version hinauslaufen, weil ich glaube, dass sich bei „Fahrenheit 451“ viel mehr im Selber-Lesen erschließt und Feinheiten beim Hören verloren gehen.

    Interessant finde ich auch immer, dass dieses Buch eine Dystopie ist, wo doch manches davon bereits Realität war/ ist.

  3. […] ausklammert. Eine besonders nachtragender Leserin bin ich aber auch nicht. Durch Ray Bradburys Fahrenheit 451 kenne ich es ohnehin schon, dass er über das schreibt, was er am besten kennt: das sind vor Allem […]

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