Letzten Endes haben sie mich kleingekriegt. Vor einer Weile habe ich ja gemeckert, dass man immer noch nicht alles sehen kann, was man gern möchte und dass manche Serien scheinbar unerreichbar bleiben. Früher war man das ja gewohnt. Dann kam die Ära Streaming. Und ich meckerte, dass man bei einigen eben nur noch mehr draufzahlen kann. Jetzt wo kürzlich nach Disney, auch noch Warner ankündigte einen eigenen Streaming-Service aufzubauen, haben auch noch mehr Leute da draußen gemerkt, dass der Streaming-Trend auch einige unangenehme Seiteneffekte hat. In meinem Fall bin ich schon zum Opfer geworden – wie vor Wochen schon vermutet. So habe ich nun auch noch auf Amazon Instant Video den Starz Channel abonniert, damit ich legal und guten Gewissens „Counterpart“ schauen kann. (Und „Castle Rock“ und „Killing Eve“.) Und wie war das nun? Review ist spoilerfrei.
Der Spion, der von der anderen Seite kam
Howard Silk (J. K. Simmons) arbeitet seit Jahrzehnten in einer UN-Behörde in Berlin in der sogenannten „Interface“ Abteilung. Tag für Tag verfolgt er denselben Ablauf, bittet um wenig, tut viel, verrichtet eine kryptische Tätigkeit, dessen Zweck er nicht kennt. Für alles andere hat er keine Freigabe. Seit kurzem liegt seine Frau Emily (Olivia Williams) als Folge eines Unfalls im Koma und es ist unklar, ob sie aufwachen wird. Von diesen Ereignissen getrieben, beginnt Howard sein Leben zu hinterfragen und bittet erstmals um einen Einblick und eine Beförderung innerhalb der Behörde. Die ihm verweigert wird. Aber das Blatt wendet sich schnell, denn vom einen zum anderen Tag brauchen ihn seine Vorgesetzten mehr als sie ahnen. Howard wird kurz darauf mit einem Mann konfrontiert, der genau wie er aussieht, klingt, wirkt. Oder zumindest fast. Seine Chefs eröffnen ihm, dass auch dieser Mann „Howard“ ist – „Howard“ von der „anderen Seite“. Denn das was die Behörde die ganze verwaltet ist eine Grenze, die der Öffentlichkeit unbekannt ist. Seit dem kalten Krieg existiert ein Durchgang im Untergrund Berlins, direkt unter der Behörde, die in eine andere Version der Welt und Geschichtsschreibung führt. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt waren beide Welten gleich – quasi eine Kopie, entwickelten sich aber dann in eine andere Richtung. Howard „Prime“, d.h. Howard von der anderen Seite, ist aber ein Spion und untersucht das Verhalten einer Auftragsmörderin mit dem Codenamen „Baldwin“ (Sara Serraiocco), die von seiner zu Howards Seite geschickt wurde. „Howard Prime“ versucht herauszubekommen, wer die Morde in Auftrag gibt und warum sich „seine Seite“ in die Angelegenheiten der anderen Welt mischt. Allerdings darf niemand davon wissen, denn es könnte sein, dass es in der Behörde einen Maulwurf gibt oder zu dem Bruch in der Beziehung zwischen beiden Seiten führt. Und dafür müssen beide Howards unbemerkt ihre Plätze tauschen.
„Counterpart | Official Trailer Starring J.K. Simmons | STARZ“, via STARZ (Youtube)
Was ich mir schon immer mal sagen wollte
Es stellt sich schnell heraus, dass „Howard“ und „Howard Prime“ scheinbar nur (noch) Äußerlichkeiten und Vergangenheit gemeinsam haben. „Howard Prime“ verspottet Howard aufgrund der Tatsache, dass er all die Jahre ein „einfacher Interface-Mann“ war und keine Ahnung von der anderen Seite hatte. Und v.A., dass er so lange mit diesem Leben zufrieden war. Howard ist überrumpelt von seinem anderen Ich. Der ist quasi die James-Bond-Version von ihm. Direkter, fordernder, süffisant, No-Bullshit-Attitüde – man möchte fast sagen „brutal“. Aber ein grundlegendes Verständnis für das andere „Ich“ ist da. Schließlich teilen sie dieselben Erfahrungen. Und sie beide haben oder hatten eine Emily. Und letzten Endes müssen sie sich mit dem Gedanken anfreunden das Leben des anderen zu leben. Mit Wachstumsschmerzen, denn es ist nicht einfach sich dem eigenen Leben wie es hätte sein können zu stellen. Oder der Frage: wieviel von dem Großkotz oder Waschlappen steckt in mir? Was hat mich so gemacht? J. K. Simmons brilliert in der Rolle als Howards (Mehrzahl). Beiden Verkörperungen desselben Menschen gibt er ein facettenreiches Spiel. Man erkennt in „Howard“ (dem Howard unserer Welt), dass er den Drive hat sich wie „Howard Prime“ zu verhalten, wenn er getriggert wird und an seine Grenzen kommt. Und andersherum. Die Konfrontation mit dem „Selbst“ oder einer Variante davon hält damit den Menschen allgemein den Spiegel vor. Offenbar ist es sehr wohl möglich, dass sich ein- und derselbe Mensch so unterschiedlich entwickelt. Wann wurde „Howard Prime“ ein so eiskalter Spion? Die Serie liefert ein paar Antworten, nicht zuletzt begründet in der Geschichte der beiden Welten, die ab einem gewissen Punkt dramatisch auseinanderläuft.
Die Umwelt formt den Menschen?
Während Howards Welt der Geschichtsschreibung unserer folgt, lief einiges in der Welt von „Howard Prime“ anders. Und sie geben der anderen Seite die Schuld dafür. Counterpart ist eine überraschend politische Serie, die den bürokratischen Geist atmet sowie auch die Spionage, Patt-Situationen und Geschacher um Schuld und Verantwortung. Das erinnert an die dysfunktionale Beziehung von Brüderstaaten oder gar an den Kalten Krieg. Einerseits müssten beide Seiten Empathie füreinander haben – eine ähnliche Geschichte, gebeutelt von Kriegen, verwöhnt durch Frieden und doch lügen und betrügen alle wo sie nur können. Selbst „Howard Prime“. Das so ziemlich einzige Manko der Serie ist mit welcher Konsequenz „Howard Prime“ und auch andere Charaktere/Behörden/Menschen in Anzügen lügen. Vielleicht liegt darin aber auch die Lehre. Und die Angst: korrumpiert „Howard Primes“ Leben und Taten letzten Endes unseren weichen, netten Howard? Während der harte, zähe Howard Prime von Howards Leben vielleicht wieder weich gemacht wird?
Die Serie vereint politische Verschwörungen, Krimi und Spionage sowie Drama gekonnt. Aus „Howard Primes“ anfänglicher Suche nach der Wahrheit rund um „Baldwins“ Auftrag, entspinnt sich nach und nach die Erkenntnis, dass eine große Verschwörung im Gang ist mit der einen oder anderen Überraschung. Ach was: Butter bei die Fische. Es gibt quasi in jeder Episode eine Überraschung der angenehmen oder unangenehmen Art. Und Howard und Howard sind in diese Patt-Situation zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt geraten und gleichzeitig mit den Herausforderungen des Lebens des Anderen beschäftigt. Sowohl die Verschwörung kumuliert in einem spannenden und haarsträubenden Finale als auch die Situation unserer Antihelden und lässt den Zuschauer quasi hilflos zurück. Selten hat eine Serie mich so aufgewühlt in ihrem Staffelfinale zurückgelassen und gleichzeitig so resigniert angesichts dessen, was sich abzeichnet.
Nicht nur der Krimi- als auch Drama-Aspekt der Serie fasziniert. Wer hat sich nicht bereits die Frage gestellt „Wie würde mein Leben aussehen, wenn ich damals eine andere Entscheidung getroffen hätte?“ Counterpart feuert dieses Gedankenspiel an. Und noch mehr: es zeichnet das Bild einer Gesellschaft in der es kein 9/11 gab, aber dafür die Weltbevölkerung massiv geschrumpft ist, in großem Misstrauen lebt und in der Not große technologische Fortschritte gemacht hat. Und es erinnert uns daran, dass alles auch hätte anders kommen können. Ein Bewusstsein, dass beiden Seiten der Serie und allen von uns Zuschauern gut tun würde.
(10/10)
Counterpart hat mich sehr angenehm überrascht. Spannung, Drama und diverse moralische Zwickmühlen – die Serie bietet eine ganze Menge. Und einen großartigen J.K. Simmons! Der Mann kann alles. Abgesehen davon ist es auch ziemlich cool Berlin als Schauplatz zu sehen, zu hören wie sich Deutsch in die englischen Dialoge mischt und eine ganze Menge deutsche Schauspieler in einer internationalen Produktion und hochkarätiger Umsetzung zu sehen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Liv Lisa Fries und Leonie Benesch (Lotte und Greta aus Babylon Berlin) für Dreharbeiten an Babylon Berlin in der Hauptstadt waren und daher an Counterpart „mal so nebenbei“ mitwirkten. Counterpart galt als Geheimtipp des Serien-Jahres 2017, blieb aber der breiten Masse leider verborgen. Zumindest reichte es nicht für eine dritte Staffel wie kürzlich bekannt wurde. Ich hoffe auf ein stimmiges Ende in Staffel zwei. Der (unverdient zu geringe) Bekanntheitsgrad von „Counterpart“ sollte den Machern ein Hinweis darauf sein, dass das Veröffentlichungsmodell vielleicht nicht ideal ist. Hat es sich jetzt für mich gelohnt Starz Play zu abonnieren? Ja. Für Counterpart. Aber ob ich ewig Kunde des Kanals bleibe – vielleicht nicht. In jedem Fall hätte ich Counterpart mehr Sichtbarkeit gewünscht. Apropos … kennt ihr die Serie? Habt ihr auch solche Channels abonniert?
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