Japanreise: Tag 4 – Friedenspark und -museum in Hiroshima

„Wollt ihr euch das wirklich antun?“ fragte mich meine Mutter vor der Reise. „Ja natürlich – das gehört auch zur Geschichte Japans und der ganzen Menschheit. Wenn wir da sind, dann nehmen wir das mit.“ Nicht nur Winkekatzen, Tempel und Popkultur – ich wollte das ganze Paket miterleben und -fühlen. Und es war viel intensiver, trauriger und bedrückender als erwartet. Aber auch aufrüttelnd, auf eine eigentümliche Weise „schön“ und berührend.

Eine Busfahrt, die ist … lustig?

Ich muss gestehen: in Japan mit dem Bus zu fahren stand nicht auf der Bucket List meines Lebens. Im Gegensatz zur Fahrt mit Zügen kann es etwas komplizierter werden. 😉 Es gibt dort nicht immer Bildschirme, die die Haltestellen mehrsprachig einblenden. Bei der Reisevorbereitung lernte ich außerdem, dass es je nach Region variiert, wo man in den Bus einsteigen muss und wie man bezahlt. Beim Fahrer, mit Suica oder an einem Automat. Aber der Weg zwischen Hiroshima Bahnhof und Friedenspark wäre uns zu weit gewesen. Glücklicherweise war Busfahren in Hiroshima ganz einfach. Mein Japanisch kam zum Einsatz und alle Fragen wurden geklärt (und ich war ein bisschen stolz 😀 ) Vorne einsteigen, die Haltestelle Friedenspark würden wir erkennen, man könne mit Suica-Karte bezahlen und es gibt quasi Festpreise. Busfahrten sind damit sogar ziemlich kostengünstig.

Der Friedenspark

Sicherlich hätte sich der Friedenspark auch „Kriegspark“ nennen können. Aber wer will schon in einen „Kriegspark“ gehen? Oder das Friedensmuseum stattdessen „Kriegsmuseum“. Aber die Botschaft ist eine andere. Man will aufklären, nichts beschönigen, weder Japan noch die Alliierten als reines Opfer oder reinen Täter darstellen. Vor dem Park stehen „Peacecles“ genannte Leihräder. Später wird klar werden, dass man das Wort Frieden hier auch braucht. Es erinnert uns angesichts all des Leids, das im Museum aufgegriffen wird daran, dass wir in der längsten Epoche des Friedens leben. Allgemein gesprochen, zumindest. Denn in anderen Ländern der Welt wird während ihr das hier lest geschossen, in die Luft gesprengt und menschliche Verbrechen begangen. So wie das Verbrechen was Japan angetan wurde.

Während des Atombombenabwurfs wurde der Stadtteil Nakajima in Hiroshima schwer verwüstet – quasi vom Erdboden radiert. Der Schlag resultierte in schätzungsweise über 90.000 Opfern mitsamt derer die aufgrund von Spätfolgen starben und gilt als ein bisher unbestraftes Verbrechen an der Menschheit. Und ja: mit dieser Wortwahl beziehe ich Stellung, obwohl der historische Diskurs hier noch eine Menge mehr Faktoren mit einbezieht. Auf 12 Hektar umfasst der Hiroshima Heiwa Kinen Kōen (wortwörtlich: „Friedensgedenkpark Hiroshima“) zwischen den Flüssen Motoyasu-gawa und Honkawa sowohl das Friedensmuseum als auch zahlreiche andere Gedenkstätten. Von 1955 an wurde der Park errichtet und erweitert, sowohl als Erholungspark für die Bevölkerung als auch als grüne Lunge und Gegensymbol zu Krieg und Zerstörung.

Es gibt im Park über 60 Monumente. Zu denen, die mich am meisten beeindruckt und die sich nachhaltig in mein Gedächtnis eingegraben haben, zählt u.a. der Kenotaph. Ein Kenotaph ist ein „Schein-Grab“, also ein „Grab ohne Überreste“, das als reiner Ort des Gedenkens dient. Schaut man durch den Kenotaph, fällt der Blick über die Flamme des Friedens (die übrigens seit dem 1. August 1964 brennt) und den sogenannten „Atomdom“. Was mich etwas befremdet hat, waren die Touris, die sich damit fotografiert haben. Während ich das relativ geschmacklos fand, lichteten sich aber auch ganze japanische Schulklassen damit ab. Wegen seiner sehr positiven und mahnenden Botschaft hat mich die Friedensglocke beeindruckt. Jeder, der sie klingen lässt,  sendet automatisch eine Botschaft für den Frieden. Während des teilweise sehr aufwühlenden Besuchs des Parks war es irgendwie tröstlich und ermutigend immer wieder das Hallen der Glocke zu hören und zu wissen, das sie wieder einer bewusst klingen lässt.

Und dann wurden wir still

Heftiger war aber die Begegnung mit dem Kinder-Friedensmonument, an dessen Spitze man Sadako Sasaki mit einem Origami-Kranich erkennen kann. Das Mädchen wurde aufgrund des traurigen Umstands bekannt, dass sie mit nur zwölf Jahren an den Folgen der Verstrahlung starb. Sie faltete vorher tausende Origami-Kraniche in der Hoffnung, dass dadurch wie es in einer Volkssage heißt ein Wunsch in Erfüllung ginge. Der Wunsch ging nicht in Erfüllung und Sadako starb. Ihre Geschichte steht für tausende Kinder, die niemandem etwas zu leide getan haben, aber während des furchtbaren Atomschlags starben oder an den grausigen Folgen. Ich halte mich für jemanden, der nicht sehr nah am Wasser gebaut ist. Aber mit dem Wissen, das das Monument bedeutet, kribbelte schon meine Nase und kündigte Tränen an. Als dann aber die japanischen Schulklassen, die den Friedenspark besuchten auch noch anfingen im Chor ein trauriges Lied zu singen, war es um mich geschehen. Da steht du in Hiroshima und weinst.

Obwohl der Park eine wunderbare grüne Lunge ist und mit allen möglichen anderen schönen Parks auch in punkto Gestaltung mithalten kann, erlebt man hier aufwühlende Momente – aneinandergereiht. Als wir vor einem grün bewachsenen Hügel standen, äußerte mein Freund schon den Verdacht, dass wir hier nicht vor einem Kenotaph, sondern „wirklichem“ Grab stehen. Tatsächlich handelte es sich dabei um das Atombomben-Hügel-Denkmal, wo einst kremierte Überreste begraben wurden. Ich kann die ganzen Denkmäler und Statuen und ihre Symbolik gar nicht alle aufzählen – nur ein paar noch. Was mich auch sehr beeindruckt hat war die Friedensgedenkhalle, auf deren „Dach“ eine symbolische Uhr zu sehen ist. Wenn man der Tour durch die Halle folgt, bekommt man einen kürzeren Abriss der Geschehnisse als im Friedensmuseum. Die Tour mündet in eine beeindruckende Halle und endet an einer Bibliothek. Dort können Angehörige recherchieren, ob Familienmitgliedern dort als Opfer verzeichnet sind um nur ein Beispiel der Dienste an Hinterbliebene zu nennen.

„No more Hiroshima“

Das „Friedensdenkmal in Hiroshima“ ist schon von weitem gut sichtbar, noch bevor man bei dem Park überhaupt ankommt. Es wird auch als Atombomben-Kuppel, A-bomb Dome/Atomdom bezeichnet und war früher eine Werks- bzw. Industriehalle, von der erstaunlicherweise einiges stehen geblieben ist. Eigentlich ist am frappierendsten und schrecklichsten, dass alles weg ist – außer der Atomdom. Dafür steht er eigentlich, nicht als Bewunderung für seine eigene Standfestigkeit. Er war unsere letzte Station im Park selber bevor wir zum Friedensmuseum zurückgingen.

Übrigens muss man im Park keinen Eintritt bezahlen – klar, sonst wäre es als Erholungszentrum für die Stadtbevölkerung widersinnig. Das Friedensmuseum verlangt einen kleinen Eintritt. Es wurde 1955 eröffnet und wenn ich es richtig verstanden habe erst vor Kurzem saniert. Zum Zeitpunkt unseres Besuchs wurde es auf Erdbebentauglichkeit untersucht, wovon wir nicht viel mitbekamen außer ein paar abgehangenen Baustellen. Die Japaner sind extrem gut im Baustellen verstecken – mal nebenbei gesagt. Es wurde von dem japanischen Architekten Kenzō Tange entworfen, der und dessen Werke uns noch des öfteren während der Reise begegnen sollten. Tatsächlich sah ich das Friedensmuseum das erste Mal in dem Film Hiroshima, mon amour – noch nicht lange her. Der Film hat einen Eindruck gegeben, was einen im Friedensmuseum erwartet.

Die Hinweise, dass man verstörenden Bildern und Eindrücken ausgesetzt ist und Eltern auf die Bedürfnisse und Ängste ihrer Kinder eingehen sollen, war angebracht. Man erfährt vom genauen Verlauf des Atomschlags, von der Politik davor, dazwischen, danach; wie eine Atombombe wirkt, wie groß die Zerstörung war und vom vollen Ausmaß des menschlichen Elends. Einige menschliche Schicksale werden besonders hervorgehoben. Erzählen von Verlust, von Armut, Hunger und Krankheit danach. Man sieht Kleidungsstücke, Gegenstände und es ist ein Ort, an dem viel geweint wird. Ich war noch nie mit fremden Menschen an so einem Ort und wurde Zeuge einer kollektiven Bestürzung. Ich war noch nie in einem Museum in dem fast alle weinten. Mann wie Frau, jung wie alt. Die Köpfe hinter der Institution waren weise. Sie haben an einigen Gängen innerhalb des Museum und nach dem Gros der Ausstellungen viele Plätze zum Sitzen geschaffen und auf eine helle Auskleidung außerhalb der Ausstellung geachtet. Weise. Ehrlich – die meisten inklusive meiner einer haben die Sitzmöglichkeiten auch nach der Ausstellung gebraucht. Mit Blick auf den Kenotaph. Ist es nicht irgendwie tröstlich, dass wir in dem was uns rührt und aufwühlt alle gleich sind?

„No more Hiroshima“ ist der Leitsatz des Museums und meint damit, dass es so ein Verbrechen nie wieder geben dürfe. Und damit sowas nicht wieder geschieht, müssen alle zusammenhalten und an die gesamte Menschheit wie auch nachfolgende Generationen denken. Tatsächlich ist die Schuldfrage sehr umstritten. Als „Little Boy“ abgeworfen wurde, hatte Deutschland bereits kapituliert und der zweite Weltkrieg galt als beendet. Japan hatte sich aber bisher geweigert klein bei zu geben und weiter Schritte eingelenkt. Im Gegensatz zu anderen Museen und Institutionen Japans verteufelt das Museum nicht nur den Schlag der USA, sondern kritisiert auch die militärischen Entscheidungen Japans in der Zeit.

Zurück nach Tokyo

Da wir im Friedenspark und -museum sehr bewusst nicht auf die Uhr schauten und uns richtig Zeit nahmen, haben wir an dem Tag tatsächlich nichts weiter in Hiroshima besichtigt. Wir machten lediglich einen kurzen Abstecher in das Zentrum, um noch ein paar andere Hiroshima-Eindrücke mitzunehmen. Keine, die mit Krieg und Verbrechen an der Menschheit zutun haben, sondern mit Hiroshima als Stadt, in der im Hier und Jetzt Menschen leben und ihr Leben sicherlich nicht nur damit assoziiert wissen wollen. So kamen wir noch an dem Hypozentrum vorbei, wo die Atombombe eingeschlagen wäre – sie explodierte eigentlich in der Luft. Der Friedenspark wurde also tatsächlich nicht genau dort errichtet, wo das Hypozentrum war. Wir sprangen noch in einen der Hop-On-Hop-Off-Busse, die in Hiroshima fahren. Davon gibt es zahlreiche mit unterschiedlichen Touren (Green Line, Red Line, …). So sahen wir noch ein bisschen mehr von der Stadt. Die Sitzplatzreservierung in der Tasche und den Zugfahrplan im Kopf, mussten wir dann weiter, obwohl es noch soviel in Hiroshima zu entdecken gäbe. Vor uns lag eine fünfstündige Fahrt mit dem Shinkansen, in der wir noch still von den Eindrücken in Hiroshima viel nachdachten.

Wenn mir nach so einem Tag jemand ein Bild von Touris gezeigt hätte, die es sich in der Bar ihres Hotels schmecken lassen, hätte ich vielleicht etwas abschätzig geschaut. Was zählt schon angesichts all des Leids und der Prüfungen, die wir im Museum gesehen haben? Naja. Genau das. Leben. Wir waren relativ ausgehungert und müde, aber froh, dass wir uns Hiroshima angeschaut haben. Es war ein intensives Erlebnis, das einem bewusst macht in welchem „unbewussten“ Glück wir leben. Man steht nicht jeden Tag auf und sagt sich „Bloß gut, dass in meiner Heimat Frieden herrscht“. Mein Freund kann das nicht mal von sich sagen. Aber der Gedanke ist seit Hiroshima deutlich präsenter: wie zufrieden wir sein können und den Tag leben sollten. Wir diskutierten viel unsere Eindrücke bei einem Cocktail/Bierchen und japanischem Curryreis und waren außerdem ganz froh wieder in unserem Hotel zu sein statt dem etwas eigentümlichen vom Vortag. Und waren uns an dem Tag so sicher wie noch nie, dass wir nicht meckern werden und es uns doch im Großen und Ganzen gut geht. Ein Gefühl das bis heute noch nachhallt.

„Itsumo Nando Demo [ いつも何度でも ] – performed by Erutan (katethegreat19)“, via Erutan (Youtube)

 

Bisherige Artikel zur Japanreise: Reisevorbereitung | Reiseführer-Reviews | Essen in Japan | Manga-Tourismus | 5 Must-Do’s und 5 (halb)offene Fragen | Tag 1 (Anreise, Minato) | Tag 2 (Shibuya & Harajuku) | Tag 3 (Miyajima) | Tag 5 (Kyoto) | Tag 6 (Roppongi, Shinjuku) | Tag 7 (Ghibli Museum in Mitaka, Setagaya und Tokyo Skytree) | Tag 8 (Kanda, Akihabara und Odaiba) | Tag 9 (Ikebukuro, Sunshine City) | Tag 10 (Sensō-ji, Asakusa, Sumida, Hachikō)

Noch ein Wort zum „Song of the Day“: Klar, Erutan ist keine japanische Künstlerin, aber der Song heißt übersetzt „Always with me“ und erschien mir „passend“. Habt ihr schon mal einen Ort besucht, der euch ähnlich aufgewühlt hat? Wart ihr vielleicht sogar schon mal in Hiroshima? Habt ihr von der kniffligen Schuldfrage gewusst oder schon mal darüber nachgedacht? Ich denke da auch an den Besuch Barack Obamas vor einigen Jahren bei dem alle gespannt waren, ob das als Entschuldigung dienen würden – was es dann nicht war.

8 Antworten

  1. Ich hätte auch geweint. Hiroshima würde ich mir bei einem Japanbesuch unbedingt auch ansehen wollen. Ich habe schon viel darüber gelesen, in Geo Epoche und John Herseys Buch über Hiroshima. Das Hauptargument der Amerikaner, der Krieg wäre ansonsten weitergegangen und hätte noch viel mehr Opfer gefordert, ist im Falle von Hiroshima vielleicht noch nachvollziehbar (ob berechtigt, ist wieder eine andere Frage). Aber Nagasaki, dafür gibt es gar keine Entschuldigung. Vielleicht mussten tatsächlich einmal in der Geschichte Atombomben fallen, um dafür zu sorgen, dass das sich nie wiederholt. Wenn es nur dabei bleibt. Danke für deinen bewegenden Bericht.

  2. Uff.
    Ich bin ganz ehrlich, ich hatte das Museum gar nicht auf dem Schirm, aber ich glaub, das muss jetzt auch mit auf die Liste und den Trick mit dem Shinkansen erzählst mir dann mal noch XD
    Wobei sich in ein paar Jahren ja wieder einiges verändert haben kann.

    Feiner Beitrag! Freu mich auf die nächsten :3

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  4. Krieg ist immer ein Verbrechen. Krieg ist Gewalt und führt zu nichts als Leid – um am meisten bringt es immer Schmerz und Kummer für diejenigen, die am wenigstens damit zu tun haben, was dem Krieg voraus ging.

    Was die Selfies betrifft: Ich bin auch immer wieder schockiert und bestürzt, wie sich manche Menschen an Orten verhalten, an denen andere ermordet wurden. Es gibt ja auch Bilder von Menschen (ja, hier stimmt leider das Vorurteil: vor allem von Teens und Twens), die sich breit grinsend oder Luftsprünge machend vor den Toren von Auschwitz ablichten lassen. Das zeigt auch die Schieflage unserer westlichen Gesellschaft: vielen geht es eben nicht um das Gedenken, das Leid, das anderen widerfahren ist, das Wachhalten und Aufrütteln angesichts der Verbrechen an der Menschheit, sondern es geht jenen Personen ausschließlich um sich selbst, darum, zu zeigen: „Schau, was ICH tu, wo ICH bin“.

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