Das ist nun schon der vorletzte Reisebericht, weil der vorletzte Tag der Reise. Unsere Gemüter waren inzwischen auch schon ab und zu etwas bedrückt, weil die große Reise bald zu Ende sein würde. Aber wer wird sich denn den Spaß vermiesen lassen … solange man da ist, muss man es mit allen Sinnen leben, oder? 🙂 Der vorletzte Tag der Reise führte uns in das zweite Anime-Paradies Ikebukuro, das sich als weniger „in your face“ als Akiba präsentierte. Außerdem haben wir etwas gemacht, was ich wenn überhaupt, dann eher gegen Ende von Reisen einplane: in Einkaufszentren versacken.
Die Erdbeben-Probe
Obwohl ich aus den gelesenen Reiseführern nicht mehr allzu viel Neues mitgenommen habe, wurde ich dort auf das Angebot eines Erdbeben-Trainings im Ikebukuro Life Safety Learning Center aufmerksam. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das zwei oder drei Monate vor der Reise überhaupt in Betracht gezogen hätte. Es war also mehr ein spontanes „Ding“, das mit der Realisierung in die Wahrnehmung rückte, dass wir ein Land besuchten, dessen Geschichte und Alltagsleben von Erdbeben und den verheerenden Auswirkungen bedroht ist. Stets und ständig und dass damit umgehen kann und muss. Zu farbig waren noch die Erinnerungen an die Vulkan- und Erdbebenwarnungen vor der Reise rund um Hakone und die Überraschung über das Mini-Erdbeben, das ich vor ein paar Tagen gespürt habe.
Im Ikebukuro Life Safety Learning Center, das wohl zu der Feuerwehr Ikebukuro gehört, wurden wir von zwei sehr freundlichen Angestellten begrüßt, die uns in einem charmanten (und verständlichen) Mix aus Japanisch und Englisch erklärten, dass wir für das „Training“ zuerst einen Film schauen würden und danach selber in eine Simulation einsteigen. Das ganze Training ist übrigens kostenlos! Der Film war englisch untertitelt und erzählte von dem großen East Japan Earthquake bzw Tōhoku-Erdbeben im Jahr 2011. Wir erinnern uns, dass das der Auslöser für den verheerenden Zustand in Fukushima war – die „Dreifachkatastrophe von 2011“. Und dementsprechend war es nicht einfach den Film zu schauen, auch wenn er Fukushima quasi ganz auslässt. Obwohl man denkt etwas über Erdbeben zu wissen, haben wir viel für uns Neues gelernt. Beispielsweise, dass das Schwanken der Hochhäuser meist viel länger als das eigentlich Erdbeben anhält und verheerender in den Räumen ausfallen kann als erwartet, wenn das Interieur nicht befestigt ist. Ebenso, dass eine der unmittelbaren Folgen von schweren Erdbeben neben Tsunamis auch Feuer und Erdausspülungen sind. Von den Bildern war zumindest ich danach kurz etwas fertig. Danach wurden wir in einen Raum geführt, wo es eine bewegliche Platte gab, auf der Erdbeben simuliert werden und man übt sich in Sicherheit zu bringen. Leider ist das einzige Foto, das ich gemacht habe, verschwommen. Aber Youtube hilft:
„Ikebukuro Life Safety Learning Center – Earthquake Simulator“, via David Gilbert (Youtube)
Ja, die Leute in dem Video lachen und es sieht vielleicht gar nicht so krass aus, aber ich kann sagen: mein Puls hat ganz schön angefangen zu flitzen. Die Gewalt war spürbar und sehr stark. Die Angestellten dort sind aber sehr fürsorglich. Man bekommt das ganze Spiel vorher einmal vorgeführt und natürlich erklärt wie man sich während eines Erdbebens schützt. Sichere Orte sind innerhalb von Räumen beispielsweise der Türbogen oder man versteckt sich unter einem Tisch. Wichtig ist seinen Kopf zu schützen. Die Simulation schafft ein Erdbeben der Stärke 7 zu simulieren und das Ganze dauert nur eine Minute oder so, aber es war immens. Uns ging es danach gut, aber bei dem Gedanken, dass das Tōhoku-Erdbeben sogar eins der Stufe 9 war, hatten wir nochmal einen ganz anderen Respekt vor der Katastrophe und Erdbeben an sich. Dann schaut man sich noch an wie die anderen Besucher durchgeschüttelt werden, was etwas mehr Spaß macht. 😉 Und nach ein paar Abschlussworten bekommt man einen süßen Ausweis der Feuerwehr, der bescheinigt, dass man am Training teilgenommen hat. Eine sehr coole Erfahrung, die schlauer macht.
Unterwegs in Ikebukuro
Vielleicht tue ich Ikebukuro Unrecht, wenn ich sage, dass es etwas weniger bunt als Shibuya, Akiba oder Shinjuku wirkt und auch nicht so modern wie Roppongi mit seinen Städten in der Stadt. Es ist etwas gediegener. Selbst die Food Corners sind etwas entspannter, wenn auch alles andere als „leer“ 😉 Es wirkt ruhiger und es ist sehr leicht in all den Kaufhäusern zu verschwinden. Ich vermute aber, dass man gegen abends eventuell etwas anderes erlebt so wie es Anime wie Durarara!! zeigen. Das heißt aber nicht, dass wir es in Ikebukuro nicht mochten – im Gegenteil. Dadurch, dass keine Straße der anderen glich, haben wir dort den ganzen Tag verbracht. Durch die Stadt zu flanieren war eine angenehme Entdeckungsreise. Doch ich könnte nicht sagen, was das Stadtbild in Ikebukuro dominiert. Vor Allem in Erinnerung geblieben sind mir aber die Eulen-Bepflanzungen in der Nähe der U-Bahn-Station. Als mein Vater das Foto gesehen hat, meinte er „Japan – überall Kobolde!“ XD Naja …
Anime ahoi, oder: Und plötzlich fühlst du dich entweder sehr alt oder sehr abgehängt
Und mir sind die Otakuszene-Straßen wie die Omote in Erinnerung geblieben inklusive der Straßen, die dort abgehen und K-Books und Animate-Läden aneinanderreihen. Wir haben uns alleine in einem Animate-Laden quasi den ganzen Vormittag aufgehalten. Hier hatte ich auch einen kleinen Gachapon-Exzess. ^^‘ Und kleinere Shopping-Ausschweifungen. Eine Etage alleine für neue Manga, eine für Doujin, eine für Merch, eine für Yaoi/Yuri/Shounen oder Shoujo-Ai, eine für … alles. Es gab sogar Zeichnerbedarf, der sich aber sehr in Grenzen hielt. Das ganze Gebäude ist innen zugepflastert mit Manga und Anime – wie ein Dschungel aus Sprechblasen, Referenzen, tausenden Stilen. Sogar die Treppenhäuser waren mit großen Mangaseiten vollgehangen, sodass man im Vorbeigehen lesen kann (wenn man Japanisch lesen kann). Die Toiletten hatten Figürchen mit Superhelden-Cape. Und für die Manga-Verweigerer gab es gar eine Marvel- und US-Comic-Ecke. Die ich selbstverständlich nur im Vorbeigehen wahrgenommen habe, weil es soooo viel anderes rund um Manga zu entdecken gab.
Das für mich irrste war aber, was für Merch es teilweise gibt. In Deutschland kaum daran zu denken. Man kann sich quasi häuslich rundum mit Merch zur Lieblingsserie eindecken. Es gab sogar zu Die Rosen von Versailles (aka Lady Oscar) Spirituosen! Irgendwie passend zu Versailler Dekadenz. Überwältigt von all dem muss ich sagen: leider war gar nicht soviel für mich dabei. Die Serien, die mich interessieren sind scheinbar schon total aus dem Bewusstsein der Szene verschwunden. Es gibt ein paar Klassiker, zu denen Merch geführt wird wie Die Rosen von Versailles, Sailor Moon und Pokémon und ein paar Alltime-Favourites wie Merch zu Ghibli-Filmen, aber Naruto, Haikyuu!, Neon Genesis Evangelion, Cowboy Bebop oder Bungo Stray Dogs habe ich nirgends oder kaum gesehen. Zu The Promised Neverland habe ich gerade mal einen Gachapon-Automaten gefunden. Stattdessen waren Anime wie My Hero Academia oder die Persona Reihe sehr präsent. Oder eben Serien, die ich (noch) gar nicht kenne oder deren Namen ich gerade mal gehört habe. Da merkt man, dass man erstens einen anderen Geschmack entwickelt hat – die Zielgruppe sind eben bei den meisten Etagen v.A. Teenager. Bei vielen meiner Lieblingsmanga von bspw. Naoki Urasawa ist mir schon klar, dass die wahrscheinlich eher nicht den Animate damit pflastern. Die zweite Erkenntnis: dass die Latenz mit der Anime und Manga uns in Deutschland erreichen eben doch sehr wohl vorhanden und spürbar ist. Ein bisschen geshoppt habe ich trotzdem 🙂 Wer kann da widerstehen …
Sunshine City, Boybands und Pokémon
Nachdem wir durch von all den Anime-Eindrücken wieder „aufwachten“, bemerkten wir wie hungrig wir waren. Da mit Sunshine City noch eine ganze „Stadt in der Stadt“ vor uns lag, beschlossen wir uns dort etwas essbares zu suchen. Da ich schon seit Tagen gern Yakisoba (gebratene Nudeln) gegessen hätte, war ich sehr glücklich als wir dort einen Laden fanden. 😀 Kein Vergleich zu dem, was man hier an Imbissen teilweise als gebratene Nudeln verkauft bekommt. Ich gelobe aber jetzt nicht einer dieser Klugscheißer zu werden, die bei jeder Gelegenheit sagen „In Japan ist alles viel besser“. Versprochen. 😉 Dort gab es auch Hoppy, eine Limonade mit Bier-Geschmack, die man wahrscheinlich am ehesten mit Radler vergleichen kann.
Satt und zufrieden schauten wir uns das Einkaufszentrum der Sunshine City an. Neben Shopping-Möglichkeiten gibt es unzählige Fresstempel, ein Aquarium, das Ancient Orient Museum, einen Indoor-Freizeitpark(!) namens Namjatown, Hotels und das Sunshine 60 Hochhaus, das u.a. im Manga X einer der Schauplätze ist. Hui. Man kann sich dort den ganzen Tag aufhalten. Und man muss auch nicht rausgehen, wenn man nicht will. Es gibt eine Untergrundpassage, die zur U-Bahn führt. Eigentlich hätte ich Namjatown gerne einen Besuch abgestattet, aber dort soll wohl alles rein in Japanisch gehalten sein und damit die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir nicht alles verstehen oder bedienen können. Außerdem konnte ich nicht herausfinden, ob es die Attraktion noch gibt, die ich dort sehen wollte: „Old Edo“, nachgebildete Straßenzüge im Stile Japans zur Edo-Zeit.
Wir wurden aber auch so gut abgelenkt, v.A. durch die Geräuschkulisse. Denn an dem Tag war im Einkaufszentrum eine Boyband zu Gast. Ich wollte ja ein Foto machen, damit ich mir merke welche … aber ich wurde freundlich darauf hingewiesen, dass das verboten sei. Okay. Ich habe es eh nicht so mit Boybands. Jedenfalls war es höllisch laut. Kreischende Fans, laute Musik. Wir flüchteten in eine Attraktion der Sunshine City auf die ich ziemlich Lust hatte und kurz wieder Kind wurde: das Pokémon Center Mega Tokyo. Es ist unglaublich was es alles für Merch gibt. Pikachu-Unterhosen gefällig? This is the place.
Pause
Nach dem Gelärme und Geshoppe wollten wir langsam den Rückweg zu unserem Hotel antreten. Auf Wunsch einer einzelnen Person legten wir aber noch eine Pause bei Harps ein. Durch Reiseblogs hatte ich im Vorfeld mitbekommen, dass es dort fantastischen Kuchen und Torten gibt. Und so war es auch. Der Andrang ist allerdings recht groß – es kann sein, dass man weggeschickt wird, weil alle Plätze besetzt sind. Wir hatten aber Glück und ich gönnte mir eine Sahnetorte mit Kirschfüllung und sehr hübscher Haube, mein Freund eine Milles-Crépe-Torte, d.h. eine Obsttorte aus vielen Schichten Obst und Crépes. Der Iced Milk-Coffee wurde gekühlt durch Eiswürfel aus Kaffee, sodass er nicht verwässerte. Einfach, aber genial. Und sehr lecker! Damit ging ein schöner Tag zu Ende, der zur Abwechslung mal nicht aus Sightseeing bestand.
„Akeboshi – Break the spell“, via Tim_64 (Youtube)
Bisherige Artikel zur Japanreise: Reisevorbereitung | Reiseführer-Reviews | Essen in Japan | Manga-Tourismus | 5 Must-Do’s und 5 (halb)offene Fragen | Tag 1 (Anreise, Minato) | Tag 2 (Shibuya & Harajuku) | Tag 3 (Miyajima) | Tag 4 (Hiroshima) | Tag 5 (Kyoto) | Tag 6 (Roppongi, Shinjuku) | Tag 7 (Ghibli Museum in Mitaka, Setagaya und Tokyo Skytree) | Tag 8 (Kanda, Akihabara und Odaiba) | Tag 10 (Sensō-ji, Asakusa, Sumida, Hachikō)
Übrigens kann ich sehr den Ikebukuro-Guide von Tessa empfehlen, da steht alles was der Stadtteil zu bieten hat nochmal ausführlicher. Was nun vor uns lag ist tatsächlich schon der letzte Tag. Bei dem Gedanken muss ich ein bisschen seufzen. Die Zeit vergeht so schnell. Wart ihr schon mal in Ikebukuro? Was war eure Lieblings-Attraktion? Und hattet ihr in der Animeszene ein ähnliches Gefühl? D.h. vieles nicht zu kennen oder nur vom Namen her? Und sich etwas abgehangen vorzukommen? Habt ihr eigentlich schon mal ein Erdbeben erlebt?
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