Der Titel „The Haunting of Hill House“ waberte schon länger um mich herum. Spätestens seitdem ich das erste Mal etwas von Shirley Jackson las. Aber die Netflix-Serie war dann doch irgendwie schneller – und ich fand sie großartig! Etwas Recherche zeigte, dass sie aber von dem Buch stark abweicht und Überraschung: ich hatte schon viel früher eine weitere Verfilmung des Stoffes gesehen. Die Kausalkette schreit doch förmlich nach einem Vergleich 😉 Schauen wir uns das mal genauer an … leichte Spoiler lassen sich heute leider nicht vermeiden.
Der Vergleich – Let’s get ready to rumble
Nachdem ich 2018 die Serie Spuk in Hill House sah, las ich zum Vergleich letzten Monat Shirley Jacksons 1959 erschienen Schauerroman The Haunting of Hill House im englischen Original. Im Zuge des diesjährigen Horrorctobers schaute ich außerdem die Verfilmung Bis das Blut gefriert aus den 60er Jahren und erst vor ein paar Tagen nochmal das quasi Remake aus den 90er Jahren mit dem Titel Das Geisterschloss. Dabei handelt es sich um die Verfilmung mit Lily Taylor, Liam Neeson, Owen Wilson und Catherine Zeta-Jones – eine Adaption die ich schon mal als Teenager sah, aber nicht allzu viel Erinnerung daran hatte. Soviel zur Vorbereitung – let’s get ready to rumble. Ding ding ding.
Das grundlegende Setting
Jacksons Geschichte hat das grundlegende Setting, dass ein gewisser Dr. Montague Menschen auf ein Anwesen einlädt. Hill House ist ein altes Herrenhaus, in dem es angeblich spuken soll. Er will paranormale Phänomene untersuchen und erhofft sich einerseits von Hill House eben solche, aber auch, dass die Eingeladenen solche Phänomene anziehen. Denn seine Gäste haben angeblich besondere Fähigkeiten. Zum Beispiel Dinge mit Gedankenkraft zu bewegen oder Geschehnisse vorhersehen zu können. Im Grunde behält jede der Adaptionen dieses Setting bei, außer die Netflix-Serie. Die handelt von der Familie Crain, die in Hill House einzieht. Die Eltern haben das Anwesen gekauft, wollen es sanieren und teuer weiterverkaufen. Bis dahin soll es ihr zuhause sein. Da aber die Kinder und ihre Mutter tatsächlich auch Fähigkeiten haben, gibt es Ähnlichkeiten zwischen Buch und Serie. So oder so weicht sie im stärksten vom grundlegenden Setting ab. Im Film Das Geisterschloss lädt „Dr Markway“ hingegen Personen als Versuchsobjekte unter dem Vorwand ein, eine Studie über Schlafstörungen durchführen zu wollen. Tatsächlich will er aber die Angst erforschen. Und: er lädt niemanden gezielt ein. Die „Versuchsobjekte“ melden sich auf eine Zeitungsanzeige.
Hill House
Hill House könnte wohl kaum unterschiedlicher dargestellt werden – auch wenn sich das in zarten Nuancen niederschlägt. In allen vier Varianten der Geschichte ist es ein stattliches Anwesen, das seine besten oder zumindest belebtesten Tage hinter sich hat. Niemand lebt mehr in Hill House, aber in allen Varianten wird es von einem Hausmeister-Ehepaar in Schuss gehalten, die offenbar so ihre ganz eigene Meinung zu Hill House haben. („No one will come. No one will here you scream in the night.“) Hill House wird in allen Versionen außer der Netflix-Variante als ein unheimlicher Ort beschrieben. Das Haus scheint eine Aura auszustrahlen, einen zu beobachten wie ein Jäger, der auf seine Beute lauert. In der Netflix-Serie wird eine ähnliche Atmosphäre aufgebaut, aber anders. Durch das Haus selbst. Das Licht, das angeht, auch wenn niemand zuhause ist und die Motte versucht ins brennende Licht zu ziehen. Hill House ist in jeder Variante wie eine Venusfliegenfalle, die wartet bis es sich etwas lebendiges in ihr gemütlich gemacht hat, nur um dann zuzuschnappen.
„[…] it wanted to consume us, take it into itself, make us a part of the house, maybe – oh dear.“ p. 139
Wie aber diese Atmosphäre gestaltet wird, bleibt höchst unterschiedlich. Im Buch ist Hill House ein abwegig gestalteter Ort. Es ist anders gebaut worden als man es gewöhnt ist. Die Treppen sind steiler und unangenehm zu laufen. Die Türen und Fenster sind so eingesetzt, dass sie automatisch zugehen. Die Architektur verzichtet an vielen Stellen auf die 90°-Winkel, sodass es ungewohnt wirkt. Alles ist ein bisschen schräger und anders als man erwartet. Man sieht Türme nicht, wo man sie erwarten würde, wenn man aus dem Fenster schaut. Und man verläuft sich leicht. Es wird plötzlich kalt an irgendwelchen Stellen, ohne dass man sich erklären kann, warum. Und es gibt Räume ohne Fenster. Die ältere Verfilmung Bis das Blut gefriert greift das so auf, ohne es aber im Detail zu zeigen. D.h. man sieht die seltsame Architektur nicht eindeutig, sie wird nur erwähnt. Was sehr schade ist, vielleicht wäre das machbar gewesen. Das Geisterschloss, die Verfilmung aus den 90ern, greift das Thema auf, stellt es aber anders da. Es gibt hier Gänge in Hill House, die durch optische Täuschungen zusätzlich obskur wirken. Türen, die verschlossen bleiben. Und versteckte Mechanismen. Einen Raum, der wie ein Spiegelkabinett und gleichzeitig Karussell ist. Für meinen persönlichen Geschmack ist Hill House in beiden Filmen sehr verkitscht und überbordend eingerichtet. In der Netflix-Serie würde Hill House schon eher meinen persönlichen Geschmack treffen. Es gibt aber auch ein paar Konstanten. So hat beispielsweise die Wendeltreppe ihren Weg in alle Adaptionen gefunden. Kein Wunder, schließlich ist es ein zentraler Handlungsort.
Die Netflix-Serie hat mit dem „Red Room“ einen weiteren solchen geschaffen, den es aber eben nur in der Serie gibt. Zu ihm führt eine Tür, die mit scheinbar keinem der Schlüssel geöffnet werden kann. Später in der Serie gibt es dazu noch eine so große Offenbarung, dass ich das hier mal unterschlage. Der „Red Room“ ist dabei wahrscheinlich aus der Vorlage und den anderen Adaptionen abgeleitet. Jeder der Räume, in denen die Gäste im Buch oder den Filmen wohnen, hat ein Farbschema. Weswegen sie beispielsweise „The Green Room“ oder „The Blue Room“ genannt werden. Dass „The Red Room“ in der Netflix-Serie vorkommt, aber in allen anderen Adaptionen und der Literaturvorlage nicht, ist eigentlich ein ganz spannendes Gimmick. So als ob man sagen möchte „Das ist der Raum, über den im Buch niemand gesprochen hat“. Durch den „Red Room“ scheint das Haus mit der Familie Crain zu kommunizieren und sie in seine Fänge zu locken. Ansonsten bleibt Hill House in allen Adaptionen eher ein stiller Akteur und dadurch bleibt Raum für Spekulationen. Lediglich in Das Geisterschloss sieht man sehr eindeutig wie sich das Haus transformiert. Manchmal sind es Buntglasfenster und Stuck, die plötzlich wie ein Gesicht aussehen und scheinbar die Stirn runzeln oder böse schauen. Später sind es gar Teile des Hauses, die die Gäste angreifen. Übrigens wurde in jeder Version das Haus von Hugh Crain erbaut, während es in der Netflix-Serie Hugh Crain ist, der das Haus bezieht.
„The Haunting (1/8) Movie CLIP – No One Will Come (1999) HD“, via Movieclips (Youtube)
Die Charaktere
Schaut man sich die Charaktere an, kommt man aus dem Aufzählen der Unterschiede zwischen den Charakteren kaum raus. Die Adaptionen sind dermaßen unterschiedlich! Es bräuchte quasi einen eigenen Artikel dazu. Die Gründe für die Unterschiede zu suchen, sind aber sehr spannend und manchmal in feinen Nuancen versteckt. Zu den Konstanten, die in allen Adaptionen auftauchen, zählen die drei aus der Literaturvorlage „geerbten“ Gäste von Dr. Montague. Die etwas labile Eleanor, genannt Nell. Nell hat in den letzten Jahren ihre kranke Mutter gepflegt und gefühlt noch gar nicht richtig gelebt. Sie wurde zu früh mit Krankheit und Tod konfrontiert, was ihr großes Dilemma ist. Im Haus trifft sie auf Theodora, die quasi ihr komplettes Gegenteil ist. Aufgeschlossen, schön, selbstbewusst, aber manchmal auch etwas gemein. Der dritte Gast ist Luke, der voraussichtliche Erbe von Hill House. Ein ziemlicher Tunichtgut, der die ganze Zeit überlegt wie er Hill House und seinen Inhalt mal am besten zu Geld machen kann. Bis das Blut gefriert behält das im Wesentlichen so bei. Das Geisterschloss auch, nur dass es Luke auch zu einem der Gäste macht, statt zum zwielichtigen Erben. Es gibt auch in allen drei Varianten Dr. Montague, auch wenn offenbar sein Name in den beiden(!) amerikanischen Adaptionen zu „Markway“ geändert wurde. Klang Montague zu europäisch? Wer weiß … .
Im Buch ist es zuerst Luke, der ein Love Interest Eleanors ist. Der Aspekt verschiebt sich in der älteren Verfilmung auf Dr. „Markway“ und in der neueren Verfilmung auf niemanden – vielleicht auf Theodora, das bleibt aber sehr unscharf umrissen. Aspekte des Buches, die ganz verloren gegangen sind, sind Dr. Montagues Frau. Die ist im Buch zusammen mit ihrem „Begleiter“ ein Quell von Comic Relief, da sie sich für ein Hobby-Medium hält und ihren Mann ganz gut unter der Fuchtel hat. Vielleicht zuviel Comic Relief? Während sie in Bis das Blut gefriert als toughe Zweiflerin auftaucht, gibt es sie in der jüngeren Verfilmung dann gar nicht mehr. Sowohl Montague als auch seine Frau haben es nicht in die Netflix-Serie geschafft. Die Figur des Hugh Crain gibt es ebenfalls in allen Adaptionen, auch wenn er immer eine teilweise dämonisierte Figur bleibt.
„Bis das blut gefriert – Trailer“, via Youtube-Filme
In der Literaturvorlage gilt er als verflucht, da er das Hill House gebaut hat und schon am Tag des Einzugs seine Frau verlor. Da er das Haus aber auf so absonderliche Weise gebaut hat und seine Kinder dort quasi alleine ließ, wird er hier ansatzweise als rücksichtslos und „düster“ dargestellt. Dieser Ansatz wurde mit jeder Verfilmung stärker ausgebaut bis er in dem 90er Film Das Geisterschloss selber zum rachsüchtigen und brutalen Geist wird, der unschuldige Kinder getötet hat, um ihre Geister mit ihm an das Schloss zu binden. Hui. Das eskalierte schnell. Eine weitere Konstante ist das Hausmeister-Ehepaar, dessen Rolle stets klein bleibt und für etwas comic relief sorgt, weil sie so dramatisch sind und „foreshadowen“. In der Netflix-Serie ist ihre Rolle wohl am größten und bekommt eine kleine Verneigung in einer dramatischen und traurigen Side-Story.
Bewegen wir uns mal zu der jüngsten Adaption, die jetzt quasi alles anders macht. Dr. Montague is out. Family Crain is in. Wortwörtlich. Familie Crain besteht aus eben jenem Hugh Crain und seiner Frau Olivia, die hier eine zentrale Figur ist. Ihr Tod ist der große Aufhänger der Serie und bereits in der ersten Folge Thema. In einer Nacht flieht er mit seinen fünf Kindern aus Hill House und wird später des Mordes an seiner Frau verdächtigt, wofür es aber keine wirklichen Beweise gibt und er frei gelassen wird. Auch seine Kinder bleiben skeptisch, was ihren Vater betrifft. Sie halten ihn vielleicht nicht für einen Mörder, aber beschuldigen ihn seine Frau nicht unterstützt zu haben, obwohl sie vielleicht psychisch erkrankte. Soviel zum Ruf Hugh Crains, der in allen Adaptionen nicht so besonders toll ist. Die Netflix-Serie findet aber Wege das aufzuheben. Ab diesem Punkt lernt man in der Serie die Crain-Kinder als Erwachsene kennen und erfährt rückblickend von den Geschehnissen in Hill House. Die fünf Kinder sind die uns bekannten Eleanor und Luke, die hier Zwillinge und die jüngsten der Crain-Kinder sind. Das ist doch mal eine Wendung. Theodora wird ebenso eins ihrer Geschwister. Und sie behalten ihre Charaktereigenschaften in gewisser Weise. Luke ist ein wesentlich sympathischerer, aber auch labilerer Charakter als im Buch. Trotzdem bleibt eine Eigenschaft: er schaut aufs Geld. Allerdings hauptsächlich, weil die traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit in Hill House ihn in die Drogenabhängigkeit gestürzt haben und er sich ständig etwas leihen muss, um die Sucht zu finanzieren. Interessante, aber traurige Auslegung. Die anderen zwei Crain-Kinder fußen auf keinem der Charaktere der Vorlage, außer auf der Autorin selbst! Shirley und Steve sind die älteren Geschwister. Und man muss nicht lange überlegen, um drauf zu kommen, dass die toughe Shirley eine Verbeugung vor der Autorin Shirley Jackson ist.
Man mag sich wundern, warum die Netflix-Adaption soviele Kinder ins Spiel brachte. Darüber haben schon einige Leute vor mir nachgedacht und sind darauf gekommen, dass die fünf Kinder die fünf Phasen der Trauer symbolisieren – sogar in absteigender Reihenfolge ihres Alters. Der Verdacht wurde von den Showrunnern bestätigt. Wow – das ist mal smart geschrieben. Steve repräsentiert das Leugnen, da er nicht glaubt, dass es in Hill House je wirklich gespukt hat. Er glaubt stattdessen an psychische Erkrankungen und Täuschung. Shirley steht für die Phase des Zorns, der sich v.A. gegen ihren Vater aber auch gegen Steve richtet, der mit der Familiengeschichte als Buchautor eine Menge Kohle gemacht hat. Dass sie an Shirley Jackson angelehnt ist, ergibt diesbezüglich auch Sinn. Jackson schrieb viele gesellschaftskritische Geschichten, die sich u.a. gegen den scheinheiligen „American Dream“ der Vorstädte und den gegen ihren jüdischen Mann gerichteten Antisemitismus und Anti-Intellektualismus richteten. Theo(dora) repräsentiert das Verhandeln, d.h. das Ausloten der Möglichkeiten und die Phase des Hinterfragens. Luke die Depression und Erschöpfung und Eleanor die schlussendliche und bittere Akzeptanz. Die Kinder als Schlüsselfiguren sind ein starkes und minutiös ausgestaltetes Motiv. Ihr Miteinander und das Leitmotiv von Trauer, Zusammenhalt und Familie gehen sehr weit weg von der Literaturvorlage, sind aber stark und unglaublich gut geschrieben. Schaut man in Details, findet man noch soviel mehr. So wird hier zumindest noch ein Aspekt aus der Literaturvorlage beerbt. Die Kinder haben alle Fähigkeiten, wobei ich um zu krasse Spoiler zu vermeiden mal einige auslasse. Aber Theodora kann beispielsweise durch Berührung Dinge sehen. Luke und Nell haben ein „Twin Thing“, sie fühlen, was der jeweils andere fühlt, usw.
Video contains HUGE spoilers!
„10 Secrets You Missed In The Haunting Of Hill House“, via Screen Rant (Youtube)
Der Spuk
Kommen wir mal zu dem zweiten großen titelgebenden Aufhänger: dem Spuk. Was passiert denn nun in Hill House? Fangen wir mal mit der neusten Adaption an. Die Netflix-Serie nimmt das wörtlich. Familie Crain wird mit allerlei Spuk konfrontiert. Nicht nur die Kinder sehen Geister und das Haus täuscht ihre Sinne, nein, wir als Zuschauer werden auch ein bisschen an der Nase herumgeführt. Habe ich das eben wirklich gesehen? Ja! Im Hintergrund sind überall Geister versteckt, die die Familie Crain beobachten und von ihr unbemerkt bleiben. Wer aufpasst, wird belohnt. Siehe dazu auch das Video unten, falls ihr das beim Schauen der Serie verpasst habt. Auch in Das Geisterschloss, der 90er Jahre-Verfilmung, ist der Horror ziemlich real. Das Haus selber sowie der Geist Hugh Crains und seiner Opfer verfolgt die Gäste. Wie ist das aber in der Literaturvorlage? Ganz anders.
Video contains mild spoilers!
„The Haunting of Hill House Background Ghosts“, via Horror Connection (Youtube)
Eigentlich kann man sagen, dass Shirley Jacksons Buch überrascht, weil es den modernen und offensten Ansatz fährt, obwohl es eigentlich aus den 50er Jahren stammt und damit so rund sechzig Jahre älter als die neuste Adaption ist. Jackson kam überhaupt erst die Idee zu dem Buch als sie einen Beitrag über selbsternannte Geisterjäger hörte oder las. Es erschien ihr so, als ob der Spuk eigentlich mehr aus dem Kopf und der Lebensgeschichte der „Geisterjäger“ herrührt. Sie schrieb ein Buch, das relativ offen lässt, ob die schaurigen Vorkommnisse wirklich geschehen, oder ob sich alles nur in den Köpfen der Gäste abspielt. Der Spuk beläuft sich auf Türen, die plötzlich geschlossen sind, wo sie eben doch noch geöffnet waren. Oder auf Schmierereien an der Wand und Klopfen an den Türen. Also Erscheinungen, die für die genauso gut einer der Gäste sorgen könnte – nicht nur Geister. Oder gar ein Haus mit „Charakter“. Durch die angeblichen (aber rar gesäten) Beweise für die Fähigkeiten von Eleanor und Theo könnte man auch annehmen, dass einer der Gäste Urheber des Spuks ist. Egal ob durch vermeintliche Fähigkeiten, für die wir keine Beweise haben oder per „Hand“. Oder gibt es eben doch Geister? Der Film aus den 60ern greift das 1:1 auf. Spannend ist, dass die älteste Adaption hier den eigentlich modernsten Ansatz gewählt hat und die jüngsten wieder zu dem Prinzip der guten alten „Haunted House“-Schauermär zurückgreifen.
Die Umsetzung
Aber Achtung: damit will ich die Netflix-Serie nicht verteufeln. Denn schauen wir uns mal die eigentliche Umsetzung aller Adaptionen an. Bis das Blut gefriert wurde in den 60er Jahren veröffentlicht und wurde mit wenigen Änderungen aus dem Buch adaptiert. Dementsprechend setzt der Film auf sparsam eingesetzten Horror und vor Allem handgemachten. Klopfen, Kälte, Schmierereien an der Wand – einen Geist sehen wir als Zuschauer nicht. Der einzige Hinweis bleiben unsere (unzuverlässigen?) Erzähler. Der 90er Jahre Film Das Geisterschloss fährt allerdings eine für die 90er Jahre konventionellere Schiene. Es zieht das Geister-Ding ab und macht das Haus bzw Hugh Crains Geist, der das Haus manipuliert und besetzt, zum Endgegner. Viel Platz für Überlegungen, ob sich das alles nur in den Köpfen der Gäste abspielt, bleibt hier nicht. Spätestens dann nicht mehr, wenn der erste geköpft wird. Leider hat man inzwischen auch CGI entdeckt. Nur damals noch nicht gewusst, dass Effekte dieser Art schnell ihr Haltbarkeitsdatum überschreiten. Um das Haus und die Geister darzustellen hat man also in die digitale Trickkiste gegriffen. Zumindest die Haus-Effekte sehen heute noch relativ ok aus; aber die Geister schmerzhaft unecht, überholt und einfach nicht glaubhaft. Das ist schon fast Trash, denn man hat alles rausgeworfen, was dem Stoff hilft, Spannung erzeugt und nachhaltig beschäftigt. Aber hey – das ist wie Filme in den 90er Jahren funktionierten. Und gäbe es diese Erkenntnisse nicht, hätten wir heute keine doppelbödigen Filme, die uns mehr zum Diskutieren bieten.
Die Netflix-Serie schafft den Spagat – je nachdem was man sucht gänzlich oder zumindest fast. Sie bringt einerseits mit besseren und mehr handgemachteren Effekten den Horror zurück. Hier wird statt auf viel CGI wieder mehr auf Maske, Mise en Scène und Kamera-Arbeit gesetzt. Man denke alleine an die Geister, die einfach irgendwo im Hintergrund stehen, nichts tun, aus dem Fokus sind und gerade dadurch dieses wunderbare Schauer-Gefühl erzeugen. Ich sehe was, was du nicht siehst. Und durch den handgemachten Horror wird es voraussichtlich bei Weitem nicht so schlecht altern oder in Trash abrutschen wie Das Geisterschloss. Wer Subtilität sucht, wird mehr oder weniger glücklich. The Haunting of Hill House hat was Horror betrifft alles. Es hat den schleichenden, leisen Horror mit dem irrsinnigen Klopfen, es hat die Geister und es hat krasse jump scares, die ziemlich in your face sind und einen von der Couch hochspringen lassen. Andererseits hat es auch Psychologie und Leitmotive. Die Geschichte ist bei weitem nicht so simpel gestrickt wie in Das Geisterschloss. Aber wer die vielfältigen Deutungsmöglichkeiten der Vorlage großartig findet, bekommt hier weniger geboten. Die Serie versucht es – es gibt Spekulationen über das Ende. Aber im Großen und Ganzen lässt sich über das, was in Hill House vorging wenig interpretieren.
Das Ende
Manch Kenner der Stoffe wird sich jetzt fragen wie ich es geschafft habe bis hierher zu kommen ohne Eleanor viel zu erwähnen. Das kommt jetzt. 🙂 Eleanor ist in jeder Adaption eine Leitfigur und im Grunde die Protagonistin, auch wenn sich das in der Netflix-Serie durch den Fokus auf alle der Crain-Kinder etwas relativiert. Über die meisten Adaptionen des Stoffes hinweg ist Eleanor unsere Bezugsfigur. Nicht nur weil sie die Ich-Erzählerin ist, sondern weil sie eine geschundene Seele ist. Sie will ausbrechen, will etwas erleben und vor Allem: leben! Sie will ein Zuhause, irgendetwas „eigenes“ und irgendwo neu anfangen. Situationen, die wir vielleicht alle schon mal empfunden haben. Das Haus und die Situation fährt aber auch in psychologischer Hinsicht Schlitten mit ihr. Isolation, mit den eigenen Gedanken konfrontiert und abgeschieden, eine neue Umgebung und Situation, die vielleicht Gefahren birgt!? Neue Einflüsse durch Menschen mit ganz anderer Agenda. Theo, die vieles repräsentiert, was Eleanor gern wäre. Luke/Dr Montague/Dr Markway und somit Love Interests, die nicht ganz halten (können), was sich Eleanor von ihnen verspricht. Oder die nicht halten kann, was sich die Männer von ihr versprechen? Das alles kumuliert ganz wunderbar in den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des Endes im Buch und der ersten buchgetreuen Verfilmung. Wenn man das möchte, kann man quasi zusehen wie Eleanor durchdreht – Come Home Eleanor. Wenn man das nicht möchte, kann man zusehen wie das Haus mit ihnen Schlitten fährt.
In Das Geisterschloss gibt es ja weniger Raum für Spekulationen. Und wie vieles ist auch Eleanor deutlich eindimensionaler gestaltet. Sie ist die makellose, bodenständige 90er Jahre Erlöserfigur. Sie hat weniger menschliche Makel als Eleanor aus dem Buch, die schon mal lügt, um neben Theo nicht schlechter dazustehen. Und sie will das richtige und das gute tun. Sicherlich hat das auch einen gewissen Charme. Aber die anderen Eleanors werden uns immer etwas mehr triggern, weil sie realistischer sind. Das Ende der Netflix-Serie fällt erwartungsgemäß anders aus, da die Leitmotive anders sind. Es lässt auch keinen Raum für Spekulationen, hat aber starke Charaktere, viel emotionalen Unterbau, durch die Vielzahl an Charakteren ein hohes Identifikationspotential und wird deswegen auf andere Weise sehr berühren. Und Eleanors Rolle in all dem ist stark. Denn so führt uns das Ende der Serie zwar nicht zu Deutungsmöglichkeiten, die uns noch lange beschäftigen, aber zu einem wichtigen Ende: Akzeptanz.
Fazit
Tjaja, da sind wir nun. Die Geschichte von Shirley Jacksons The Haunting of Hill House ist quasi das Paradebeispiel dafür was Adaptionen aus Literaturvorlagen alles falsch und was sie alles richtig machen können. Bis das Blut gefriert ist eine sehr vorlagengetreue Umsetzung, die aber nicht so richtig an den Spannungsschrauben dreht und für heutige Sehgewohnheiten naturgemäß etwas hinter ihren Mitteln zurückbleibt. Wo doch die Literaturvorlage durch die bissigen Charaktere, das Ende mit vielen Deutungsmöglichkeiten und der Psychologie recht modern wirkt. Das Geisterschloss fällt ein bisschen in die Kategorie „Everything wrong with adaptations from literature“, weil es einfach die Aspekte des Buchs rausgreift, die eigentlich am wenigstens beeindruckend sind und die so überzeichnet, dass zum Schluss der ganze Film nicht mehr beeindruckend ist und schnell vergessen wird. Die Netflix-Serie ist wiederum ein Bilderbuchbeispiel für eine Adaption, die in ihren Einzelteilen eigentlich sehr weit weg von der Vorlage ist, aber in der Summe dieser Teile auf eine andere Weise großartig ist. Man kann sich daran stören, dass sie das Thema von der von der Gesellschaft ausgestoßenen und enttäuschten, deren Innenleben ihr zum Verhängnis wird zu einer Geschichte über die Verarbeitung von Trauer verschoben hat. Das ist schon ein kleiner Unterschied, nicht? Vielleicht ist die Serie damit nicht besonders im Sinne der Literaturvorlage gedreht. Dafür haben wir ja aber den Film aus dem Jahr 1963 😉 Aber irgendwie sind sie beide ziemlich gut, Buch und Serie, und haben bei mir einen besonderen Stellenwert eingenommen. Und ich bin mir sehr sicher, dass wir noch nicht die letzte Adaption von Shirley Jacksons unsterblichem Hill House gesehen haben.
„No live organism can continue for long to exist sanely under conditions of absolute reality; even larks and katydids are supposed, by some, to dream. Hill House, not sane, stood by itself against its hills, holding darkness within; it had stood so for eighty years and might stand for eighty more. […] silence lay steadily against the wood and stone of Hill House, and whatever walked there, walked alone.“ p. 3 – Buchbeginn.
Zu den Besprechungen
Serien-Besprechung „The Haunting of Hill House“ (Netflix, 2018)
Buch-Besprechung „The Haunting of Hill House“ (Buch, 1959)
Film-Besprechung „Bis das Blut gefriert“ (Film, 1963)
Header image/photo credit: Janko Ferlič
Wie seht ihr das? Welche der Adaptionen hat euch am besten gefallen? Und was macht für euch eine gute Literaturadaption aus? Muss sie 1:1 wie die Vorlage sein? Oder im Sinne der Vorlage? Oder darf sie auch das Motiv so stark verschieben wie die Netflix-Serie und trotzdem gut sein? Es gibt sicherlich auch eine Menge Aspekte, auf die ich hier nicht eingegangen bin wie beispielsweise die Rolle die der Tod von Eleanors Mutter spielt und ihre etwaigen Schuldgefühle. Aber irgendwas muss ich übrig lassen um darüber in den Kommentaren zu diskutieren 😉
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