Nachdem ich letztes Jahr schwer angetan von der Netflix-Serie Spuk in Hill House bzw The Haunting of Hill House war und las, dass die Literaturvorlage relativ anders ist, war ich am Haken. Als ich las, dass die Autorin des zugrunde liegenden Schauerromans Shirley Jackson ist, war der Plan perfekt, besiegelt, abgemacht. Von ihren Kurzgeschichten war ich schon zuvor schwer angetan. Aber den Stoff wollte ich mir für die richtige Jahreszeit und Stimmung aufheben. Und die Überraschungen und Unterschiede zur Serie sind definitiv da. So beginnt die Geschichte mit Dr. Montague, einem Forscher, der sich Erkenntnisse über paranormale Erscheinungen erhofft, indem er „übersinnlich begabte“ Menschen in ein angebliches Geisterhaus bringt. Er erhofft sich, dass die Begabung der Menschen Geistererscheinungen fördert und lädt daher einige ein. Lediglich zwei reagieren. Darunter Eleanor Vance, die als Kind wohl dazu in der Lage war Gegenstände zu bewegen und Theodora, die telepathische oder hellsichtige Fähigkeiten hat. Dr. Montague wählt Hill House, einen Ort, der scheinbar nicht ganz umsonst als vile beschrieben wird aus Schauplatz seines Experiments aus. Neben der Haushälterin Mrs Dudley und ihrem Mann, ist ebenfalls Luke Sanderson anwesend, der Erbe von Hill House.
„No live organism can continue for long to exist sanely under conditions of absolute reality; even larks and katydids are supposed, by some, to dream. Hill House, not sane, stood by itself against its hills, holding darkness within; it had stood so for eighty years and might stand for eighty more. […] silence lay steadily against the wood and stone of Hill House, and whatever walked there, walked alone.“ p. 3 – Buchbeginn.
Für Eleanor ist Dr. Montagues Brief wie eine „Sie kommen aus dem Gefängnis frei“-Karte. Die junge Frau hat bisher ihre kranke Mutter gepflegt, die kürzlich verstorben ist. Jetzt weiß sie nicht, wohin mit sich und ihrem Leben. Sie will etwas erleben, sie will raus und empfindet die Einladung als ein Abenteuer. Tatsächlich hat man anfangs das Gefühl Zeuge von Eleanors Roadtrip und Aufblühen zu sein. Die emanzipierte und etwas forsche Theodora und sie werden sofort ein schnatterndes Gespann, das Hill House erkundet und gemeinsam genervt über die etwas seltsame Mrs Dudley die Augen rollen kann. Auch Luke und Dr. Montague nehmen Hill House ernst, aber nicht zu ernst. Die Atmosphäre ist gespannt, aber mit genügend comic relief. Einerseits durch die verschrobene Mrs Dudley, die nie mehr sagt als, dass sie nicht bleibt, wenn es dunkel ist. Dass keiner da ist, falls sie nachts schreien. Und wann sie das Essen auftischt. Shirley Jackson beweist in ihrem Roman ein gutes Gespür für Auflockerung und weist einen fast modernen, bissig-schwarzen Humor auf. So begegnen die Charaktere Hill House durchaus mit Ironie. Es kommt schon mal vor, dass Luke zu Theodora sagt „Don’t feel neglected, […] we will bury you alive.“ Aber die schöne Einigkeit und der Humor auf Kosten von Geistern und Geisterjägern bleibt nicht alles. Dann wäre The Haunting of Hill House schließlich eine Komödie.
„Journeys end in lovers meeting.“
Schon am ersten abend breitet Dr. Montague die Geschichte von Hill House aus. „Hill House has a reputation for insistent hospitality; it seemingly dislikes letting its guests get away.“ (p. 67) sollte den Besuchern schon eine Warnung sein. Und dass Mrs Dudley nachts Hill House fernbleibt ist auch nicht nur ein Zeichen ihrer Verschrobenheit – darf man zumindest vermuten. Nächtliches, wildes Klopfen an ihren Türen und geisterhafte Stimmen sind nur ein paar der Erscheinungen, die auch beim Leser Gänsehaut verursachen. Vor Allem, weil sie meist plötzlich auftauchen, wo vorher noch ausgelassene und angenehme Stimmung war. Hill House wird als ein Monster beschrieben. Als böse und besitzergreifend. Es ist selbst auf eine krude Weise gebaut. Die Treppen und Wende haben nicht alle die typischen 90°-Winkel. Es gibt fensterlose Räume und das Gebäude ist wie ein Labyrinth. Türen schließen sich automatisch. Betritt man einen Raum, in dem man gerade noch war, sind die Vorhänge plötzlich zugezogen. Hat Mrs Dudley ihnen hinterhergeräumt oder ist es das Eigenleben von Hill House? Das Haus hat sich seinen Ruf verdient, soviel wird klar. Ich gestehe: ich hatte beim Lesen Gänsehaut. Und das kam lange nicht vor – trotz oder gerade wegen meines Hangs zu Mysterystoffen.
„[…] it wanted to consume us, take it into itself, make us a part of the house, maybe – oh dear.“ p. 139
Der Schauerroman und seine im englischen Sprachgebrauch verwandte, wenn auch nicht ganz synynome Bezeichnung der gothic fiction oder des gothic horror war vor Allem im 19. Jahrhundert beliebt. Der Hype um die oftmals romantisch-schaurigen Geschichten hat Shirley Jackson zu einer der ersten sehr deutlichen Interpretationen des „Maybe it’s all in your head“-Motivs veranlasst. Frühere Geschichten deuteten die Interpretationsmöglichkeit, dass der Grusel gar nicht real ist, oftmals nur sehr dezent an. Jackson hingegen wurde zu der Geschichte um Hill House durch einen Bericht über Geisterjäger des 19. Jahrhunderts inspiriert. Darin ging es zu einem Großteil um die Befindlichkeiten und Lebensgeschichte der selbst ernannten Geisterjäger. Und Jackson dachte sich, dass es das eine vielleicht nicht ohne das andere gibt. Tatsächlich stellt sich während des Lesens mehrmals die Frage, ob hier wirklich ein Geist am Werk ist, oder ihnen jemand Streiche spielt – oder gar alles nur in ihrem Kopf ist!?
„I am one of them; I belong“
Ein Großteil der Psychologie baut auf der Isolation und den Beziehungen der Besucher von Hill House auf. Die anfangs ausgelassene und lockere Art wie Eleanor, Luke und Theodora miteinander umspringen und sie in bester gothic horror Manier vielleicht sogar miteinander anbändeln, wandelt sich recht plötzlich. Die Isolation von der Außenwelt schürt Misstrauen und Abhängigkeit zu gleichen Teilen. Eleanor wird zu einer Schlüsselfigur mit der die Geschichte beginnt und wenn man so will – endet. Anfangs ist ihr Hill House unheimlich und sie fürchtet, dass sie leichtsinnig war das ganze als ein Abenteuer zu betrachten. Aber nach und nach fühlt sie sich in der Gruppe der Besucher wohl. Ihre sozialen Batterien werden aufgeladen, sie lebt, ist aktiv. Aber irgendwann fühlt sie sich in Hill House zu wohl und beginnt es als ihr Zuhause zu betrachten. Der Leser erlebt den Wandel mit und muss befürchen, dass das Haus sie „erwischt“ hat.
Insbesondere in diesem Punkt ist die Serie dem Buch sehr ähnlich, ansonsten eher nicht. Eleanor, Theodora und Luke sind keine Geschwister – sie werden in der Serie alle „Crains“. Hugh Crain ist im Buch eigentlich der Erbauer von Hill House. Zusammen mit seiner Frau und zwei Töchtern will er das Anwesen beziehen – seine Frau wird das schon bereits nicht mehr miterleben. Sein Hang zur seltsamen und unwirtlichen Architektur von Hill House wird nicht erklärt. Hat ein kranker Geist ein krankes Abbild dessen geschaffen? Oder war er einfach ein Hipster, der alles anders machen wollte als alle anderen? Unsere Besucher stehen im Buch in keiner Beziehung zu ihm. Das Grundsetting um das Erforschen paranormaler Phänomene und die Besucher sind damit grundverschieden zu der Familie aus der Serienadaption. Viele Schlüsselszenen erkennt man allerdings wieder. Beispielsweise Eleanors Tanz in den Wahnsinn, die verhängnisvolle Wendeltreppe, die Wandschmierereien. Jump Scares sind im Buch schwierig, die gibt es nicht. Auch mit der Darstellung von Geistern zaudert das Buch. Aber der Schauer ist ein ähnlicher – und vor Allem die Psychologie. Die Sehnsüchte und Wünsche, die Hill House nähren und unsere Besucher vielleicht verrückt werden lassen. Dass kommt auf die Deutung an. Man kann aber sagen, dass die Serie durchaus im Sinne des Buches adaptiert ist. Übrigens hat die Serie etwas nicht: den comic relief. Denn obwohl es da ebenso Mr und Mrs Dudley gibt, sind die doch wesentlich ernster. Auch die im Buch später auftauchende Mrs Montague ist eine Marke für sich:
„[…] if there is to be any communicaion with those beyond, the air circulation, at least, ought to be adequate. I smelled dust all night.“ p. 207
Fazit
Perfekte Mischung aus Schauergeschichte und Comic Relief, die mit viel Empathie für ihre Hauptcharaktere brilliert und ein starkes Psychogramm der Charaktere entwirft. Die Handlung lässt mehrere, verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Zu Recht einer der ganz großen Schauerromane.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-0-141-19144-7, Penguin Books
Mehr Shirley Jackson hier im Blog: The Lottery and other Stories
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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