Seufz. An dieser Stelle würde ich normalerweise von der Leipziger Buchmesse berichten. Leider ist die dieses Jahr abgesagt worden, um der Ausbreitung des Corona-Virus Herr zu werden. 🙁 Sehr traurig … um das zu kompensieren gibt es nur ein Mittel: ganz viel über Literatur zu schreiben und zu reden und zu lesen. 😉 Obwohl es einiges gab, was mir an der ersten Ausgabe von „The Wicked + The Divine“ nicht zugesagt hat, gab es offenbar mehr, weswegen ich dringend weiterlesen wollte. Neu ist für mich hingegen „Master Keaton“. Ein hierzulande weniger bekanntes Werk meines Lieblingsmangaka Naoki Urasawa.
„Master Keaton“ The Perfect Edition Vol. 1, Naoki Urasawa (engl. Ausgabe, VIZ)
Naoki Urasawa ist hierzulande wohl am ehesten bekannt für Monster und 20th Century Boys, vielleicht auch noch für Billy Bat, aber weniger bekannt für Master Keaton. Der Manga ist auf dem deutschen Markt bisher nicht erschienen. Auf dem englischsprachigen gab VIZ wie bereits zuvor bei Monster und 20th Century Boys eine Perfect Edition raus, die großformatiger als die Taschenbücher angelegt ist und mehrere Bände beinhaltet. Man liest eine Weile an diesen Semi-Türstoppern. 🙂 Außerdem ist die Aufmachung recht edel mit den goldenen Lettern auf schwarzem Grund und der dezent hervorgehobenen Landkarte im Hintergrund. Das spiegelt den Inhalt des Manga gut wieder. Der titelgebende „Master Keaton“ ist Taichi Hiraga-Keaton. Sohn eines japanischen Wissenschaftlers und einer britischen Adligen. Zwar haben sich seine Eltern getrennt, aber er wuchs bei seiner Mutter in Großbritannien auf und studierte dort Archäologie. Dem folgte erst mal eine Tätigkeit in der britischen Armee. Als Teil der Special Forces war er Lehrer für Überlebenstechniken. In der Gegenwart der Mangareihe ist er aber inzwischen Archäologie-Professor, der nebenbei für eine namhafte, britische Versicherung mögliche Betrugsfälle untersucht. Wir befinden uns hier vorrangig im Milieu derer die Kunst- und Wertgegenstände versichern lassen. Keaton ist damit so eine Art Mischung aus Indiana Jones, McGyver und James Bond, der aber eine sehr bodenständige und manchmal sympathisch verplante Art hat.
Die einzelnen Geschichten sind stets episodenhaft. Es hängen durchaus mal zwei Kapitel zusammen, aber selten mehr. Zumindest im ersten Band der Perfect Edition. Die Prämisse des Archäologen und stets überlegenen Überlebenskünstlers kann schnell überheblich und allzu gewollt wirken. Ähnlich wie McGyver braucht Keaton nur eine Kleberolle und einen Universitätsausweis, um seinen Gegner K.O. zu setzen. ^^‘ Dafür ist Keaton aber sehr sympathisch und menschlich. Er gibt nie an oder ist überheblich. Hilfreich dabei ist, dass seine eigene Geschichte früh im Manga Thema ist und die eigentlichen Episoden mit seinen Ermittlungen unterbricht. Er ist geschieden, scheint aber noch an seiner Ex-Frau zu hängen und hat eine sehr emanzipierte Tochter, die ihm gut contra gibt. 🙂 Die einzelnen Kapitel lassen aber vorrangig Platz für die Personen, die Keaton überprüfen, retten oder befragen muss und ihre Fälle. In gewohnter Urasawa-Manier sind die Episoden vielschichtig und manchmal überraschend dramatisch – auf die unverkitschte Weise. Mich hat besonders das Kapitel Journey with a Lady gefallen, dass zufällig in Deutschland spielt. Eine anfangs grantig und arrogant wirkende ältere Dame entpuppt sich hier später als echte Heldin mit tragischer Geschichte. Wo man anfangs noch empört ist, muss man sich später fast ein Tränchen verkneifen.
Man bereist mit Keaton die Welt und pendelt irgendwo zwischen der Türkei, Japan, Griechenland und Großbritannien. Keaton hat wohl Vielfliegermeilen. Durch die Kunstwerke und Fälle lernt man einiges über Geschichte und Überlebenshacks, beispielsweise wie man sich ohne Kompass orientiert. Das ist schon ganz spannend, aber eben auch etwas formelhaft. Die oben genannten Vergleiche zu Indiana Jones und McGyver sind ein erstes Zeichen für den etwas ermüdenden „schon mal gesehen“-Effekt. Einerseits ist es sehr erfrischend so eine episodenhafte Geschichte Urasawas zu lesen, die anders als seine späteren Werke offenbar ganz ohne Verschwörungstheorien auskommt und keinen Protagonisten hat, der an der Grenze dazu steht sich eventuell moralisch korrumpieren zu lassen. Aber irgendwie ist es eben auch etwas fader und nicht jedes Kapitel begeistert gleich. Ich fand Master Keaton gut, aber bin nicht so sehr am Haken, dass ich sofort weiterlesen möchte. Der Trost ist: wenn ich weiterlese, wird es durch den episodenhaften Charakter nicht schlimm sein später wieder einzusteigen. Spannend ist übrigens auch, dass die Handlung zumindest am Anfang noch aus der Feder Hokusei Katsushikas (nein, nicht Hokusai) zu stammen scheint, später aber eventuell von Urasawas selber. Hier gab es ordentlich Beef zwischen den Kreativen, der letzten Endes zur Einstellung des Manga führte.
„The Wicked + The Divine“ Deluxe Edition: Year Two, Kieron Gillen & Jamie McKelvie
Da es viel zu der Reihe zu sagen gibt, widmete ich dem ersten Band ja schon mal einen ganzen Artikel. Kurzum handelt The Wicked + The Divine (kurz WickDiv) von der jedes Jahrhundert ein Mal stattfindenden Wiedergeburt von göttlichen Entitäten in den Körper eines Sterblichen. In der Gegenwart werden diese Götter-Wiedergeburten wie Popstars verehrt. Fandom und Kommerzialisierung spielen hier neben den Schlüsselthemen Tod und Status die vordergründige Rolle. „Book Two“ wie der zweite Teil der Deluxe Edition der Einfachheit halber offenbar auch genannt wird, beinhaltet den Story Arc Commercial Suicide und damit die Trade Issues 12 bis 17 und wieder ein dickes „Omake“, d.h. spezielle Seiten mit Kommentaren zum Schaffensprozess und ein paar witzigen Gimmicks. Dieses Mal den Ergebnissen der wohl gründlichsten Fan-Umfrage, die ich je gesehen habe. Nach dem krassen Cliffhanger von Book One zeigt der zweite Band jetzt wie die „Götter“ damit umgehen, dass eine/r unter ihnen faule Absichten hegt.
Die größte Überraschung ist wohl, dass die Handlung mit Commercial Suicide offenbar ein Ende findet. Dabei gibt es noch eine Year Three und Year Four Edition. Klar – wer aufgepasst hat und ein bisschen die Regeln der Recurrence kennt, weiß, dass es nach dem Ende noch ein paar fundamentale Fragen zu klären gibt. Prinzipiell könnte man aber auch nach dem Band aufhören und ich für meinen Teil bin mit der Lösung des Konflikts eigentlich ganz zufrieden sowie auch mit der Handlung an sich. Es gibt einen Fokus auf den Werdegang einiger Götter und ihrer menschlichen Wirte, die vorher zu kurz gekommen sind wie „Fucking Tara“, The Morrigan oder auch Amaterasu. Insbesondere die Geschichte von Tara ist ein grausiger Abgesang auf die Sexualisierung weiblicher Personen des öffentlichen Interesses und von Hass- und Rape-Culture in den sozialen Netzen. Da gibt es ein paar sehr starke Seiten, die bei mir lange nachhallen werden. Aber die Narrative von WickDiv war ja für mich sowieso immer sehr interessant, nicht zuletzt wegen der hohen Diversität der Charaktere auch wenn sich Vergleiche zu American Gods nach wie vor nicht von der Hand weisen lassen.
Die Optik hingegen war schon zuvor eher ein Reibungspunkt. Tatsächlich ist das hier gleichzeitig besser und schlechter geworden. Jamie McKelvies Stil ist hier deutlich dynamischer, geübter und spannender. Das Layout ist weniger starr und die digitalen Kolorationen wirken weniger künstlich oder plakativ. Schade nur, dass man hier von Kapitel zu Kapitel den Zeichner wechselt und damit auch den visuellen Stil. Ein paar der Kapitel ist aus McKelvies Feder, andere stammen beispielsweise von Kate Brown, Leila del Luca, Brandon Graham und anderen, die ich nicht kenne. Kapitel 13 von Tula Tolay hat mir beispielsweise fast besser gefallen als der originale Stil, aber die anderen schnitten bei mir leider nicht gut ab. V.A. dann nicht, wenn man teilweise die Charaktere nicht wiedererkennt. Ananke sah beispielsweise bei allen Künstlern anders aus. Auch wenn das Fördern anderer Künstler ein schönes Ziel ist, haben sie sich damit für mein Empfinden im großen Ganzen betrachtet keinen Gefallen getan. Irgendeinen wird immer irgendein Stil nicht gefallen bei wechselnden Illustratoren.
WickDiv werde ich allerdings tatsächlich weiterlesen, weil wie gesagt da noch ein, zwei essentielle Fragen offen bleiben. Die kurze Recherche hat gezeigt, dass die kommenden Kapitel scheinbar nicht mehr von wechselnden Künstlern illustriert wurden. Irgendwie eine Erleichterung und für mich kaufentscheidend. Obwohl Tula Lotay schon echt großartig illustriert hat! Aber der Rest war nix für mich. Jetzt interessiert mich umso mehr ob ihr schon Berührungspunkte mit beiden Reihen hattet? Habt ihr auch schon mal Reihen mit wechselnden Illustratoren gelesen? Und seid ihr dran geblieben? Kennt ihr „Master Keaton“ oder noch weitere Manga von Naoki Urasawa außer die hier genannten? Welche ist euer Liebling?
In „angelesen“ sammle ich die Eindrücke von Buchreihen, die ich lese. D.h. insbesondere von Manga und Comics, die ich noch nicht abgeschlossen habe und deswegen nur als Teil eines Ganzen betrachten kann. Wer andere Literatur sucht und die Meinung zu abgeschlossenen Reihen, findet die in ausgelesen, einer weiteren Rubrik hier im Blog. 🙂
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