angelesen: „Blue Period“ Bd. 1 & „My Broken Mariko“

Das sind hier heute mal gar nicht so die leichten Themen in „angelesen“. Zum Einen wird es heute „slice of life“-ig und zum Anderen auch dramatisch mit dem Thema Suizid(prävention) und Verarbeitung von Verlust. Soviel darf ich schon verraten – sowohl „Blue Period“ als auch „My Broken Mariko“ haben mir gut gefallen. 

„Blue Period“ Bd. 1, Tsubasa Yamaguchi (Manga Cult)

Mit Blue Period hat sich Manga Cult eine der größeren Manga-Hypes der 2017er Jahre gekrallt und ab Sommer 2020 in deutsche Regale gebracht. Auf den Hype bin ich leider erst schmerzhaft spät aufgesprungen. Kaum, dass ich den ersten Band hier gekauft hatte, wurde auch schon angekündigt, dass der Anime ab Oktober auf Netflix laufen würde. Nun stellte sich dann indirekt die Frage, ob ich eher Manga weiterlesen oder fortan Anime schauen würde? Im Gegensatz zu anderen Reihen, ist das hier durchaus schwierig zu beantworten.

Aber erst einmal zum Inhalt: Blue Period handelt vom Oberschüler Yatora Yaguchi. Yatora hat gute Noten, aber nicht unbedingt aus Leidenschaft oder Wissensdurst, sondern weil es ihm nicht schwer fällt und er das Gefühl hat, dass das von ihm verlangt wird. Andererseits hängt er auch viel mit seinen Freunden in Kneipen in Shibuya rum und schaut Fußball. Man könnte ihn als „angepassten Draufgänger“ bezeichnen. Über sowas wie Kunstunterricht macht er sich eher lustig und nutzt den höchstens für ein Nickerchen. Aber die neuste Aufgabe dort geht ihm nicht aus dem Kopf. Als er dann aus Versehen in die AG Kunst läuft und die dortigen Talente sieht, triggert ihn das auf vielfältige Weise. Warum sich für einen potentiell brotlosen Job engagieren? Andererseits lässt es ihn nicht los, dass die Teilnehmer*innen der AG „diese eine Sache“ gefunden haben, der sie mit Leidenschaft nachgehen. Als er hemdsärmelig sein erstes Bild malt, ist das eine Initialzündung mit Folgen. Ab dann geht ihm der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass er nach der Schule Kunst studieren will.

Nach dem wirklich sehr schön, langsam, empathisch und nachvollziehbaren Erkenntnisprozesses Yatoras wird er nun mit zweierlei Themen konfrontiert, die zusammen einigermaßen überwältigend sein können. Zum Einen lernt er durch die AG die Basics des Zeichnens, zum Anderen die harten Zugangsvoraussetzungen für eine Kunsthochschule. Die Basics sind gut und exemplarisch vermittelt. Wie hart es ist auf die Hochschulen zu kommen und welche Gebühren dafür im japanischen Hochschulsystem anfallen, hat mich ganz schön Schlucken lassen. Früher wollte ich selber hierzulande mal Kunst studieren, habe mir das aber aus ähnlichen Gründen abgeschminkt und weil ein anderes Herzensfach dazukam.

Was mich etwas mit Blue Period hadern lässt, sind das wackelige Character Design und die ähnlich unstete Dynamik des Zeichenstils. Es gibt immer mal wieder Panels in denen die Linienführung ungerade und ungleich wirkt – man beobachte Yatoras Haare, den Körperbau und die Proportionen der Charaktere. Dann gibt es wieder Panel in denen ich den Detailreichtum insbesondere durch die abgebildeten Gemälde Yatoras, der AG usw. sehr schätze und wirklich sehr schön finde. Ich mag den Stilbruch zwischen Manga hier, detailliertes Ölbild da. Selbst die Farben der Bilder vermisse ich nicht, weil der Manga die geschickt in Sprechblasen vermittelt oder sie tatsächlich nicht wichtig sind. Ein schwieriger Fall. Aber aufgrund des wackeligen Stils tendiere ich aktuell eher dazu den Anime weiterzuschauen. In jedem Fall ist der Stoff eine klassische „Aufsteiger/Struggle“-Geschichte, die mich erschreckend oft kriegen.

„My Broken Mariko“, Waka Hirako (Egmont Manga)

Waka Hirakos Manga erzählt von Shiino, deren beste Freundin Mariko sich das Leben nahm. Shiino beschließt nun wenigstens die Asche ihrer Freundin an einen besseren Ort zu bringen, wenn sie das schon nicht für ihre Freundin tun konnte als sie noch lebte. Das entwickelt sich zu einer Art Roadtrip, der damit beginnt, dass Shiino die Asche Marikos von ihrem Vater klaut. In Shiinos Augen hat er es nicht verdient Marikos Asche zu haben, da er sie als Kind misshandelt hat. Während Shiino also von einer Etappe zur nächsten rennt, schwelgt sie in Erinnerungen an Mariko und liest deren Briefe.

Und nicht nur die machen, dass man als Leser*in den berühmten Kloß im Hals hat angesichts all der Bemühungen Shiinos für Mariko da zu sein und der vielen Gewalt, die Mariko von Kindesbeinen an ausstehen musste. Dankbarerweise verzichtet Waka Hirako dabei darauf die Gewalt zu zeigen, sondern konzentriert sich auf die Folgen. Ich finde es ätzend und schädlich, wenn Stoffe, die sensibilisieren wollen in Torture Porn abgleiten. Damit My Broken Mariko seine Lesenden nicht zerstört, setzt die Mangaka auf Comic Relief durch Shiinos Ausraster und kreative Eskapaden um beispielsweise an die Asche ranzukommen. Die Formel geht recht gut auf und lenkt von der Härte des Themas ab.

Der Zeichenstil von Waka Hirako kann von großer Schönheit sein, ansonsten eher etwas ungelenk und wild. Aber die (absichtlich?) hemdsärmelig gezeichneten Seiten geben mir sehr wenig (schiefe und wackelige Linien bspw.), auch wenn sie sicherlich den Zustand Shiinos versinnbildlichen. Die ebenso inkludierte Debut-Kurzgeschichte Waka Hirakos („Yiska“) ist beispielsweise etwas akkurater, ordentlicher und detaillierter gezeichnet und versprüht angenehmen Western-Charme.

Yiska

My Broken Mariko ist tragisch, traurig und erzählt emotional von einem sehr sensiblen Thema. Weder Mariko kommt zu kurz noch Shiino. Sehr lobenswert finde ich die Darstellung von Freundschaft. Obwohl Shiino immer für die verletzliche Mariko da sein will und sich einigen absolut beängstigenden Situationen für Mariko gestellt hat, gibt sie auch zu, manchmal davon genervt gewesen zu sein, dass Mariko sich schon wieder auf den gewalttätigen Ex eingelassen hat. Auch das ist fair und ehrlich.

Sehr schön und auch sehr angemessen finde ich, dass Egmont Manga am Ende einen textuellen Hinweis inkludiert hat, der für das Thema Suizidprävention nochmals sensibilisiert. Außerdem gibt es ein weiteres Nachwort von „Freunde fürs Leben“, der nochmal näher darauf eingeht, auf welche Anzeichen bei Mitmenschen man achten soll. Schade, dass ausgerechnet der Text dann zwischendrin einen Druckfehler/Lektoratsfehler hat und ein Teil zu fehlen scheint. Offenbar hat der Verlag auch einen Teil der Einnahmen an den Verband gespendet. My Broken Mariko ist ein Oneshot und daher in einem Band abgeschlossen. Man könnte bei dem bemerkenswerten Thema fast vergessen zu erwähnen, dass die Erzählgeschwindigkeit sehr angenehm ist. Alles in allem ein schöner Manga, wenn ich auch den Kritiker*innen recht geben muss, dass er keine neuen Impulse zum traurigen Thema Suizid setzt.

Offenbar haben mich also beide Manga ganz gut gekriegt, haben aber mit (bewusst oder unbewusst?) wackeligem Stil nicht so ganz durchgehend begeistert. Wie hart geht ihr mit sowas in die Kritik? Was sind eure Kriterien bei der Frage, ob es Manga oder Anime werden soll? Oder schaut und lest ihr einfach beides? Das ist tatsächlich etwas, dass ich nur bei ganz großen Favoriten mache.

In „angelesen“ sammle ich die Eindrücke von Buchreihen, die ich lese. D.h. insbesondere von Manga und Comics, die ich noch nicht abgeschlossen habe und deswegen nur als Teil eines Ganzen betrachten kann. Wer andere Literatur sucht und die Meinung zu abgeschlossenen Reihen, findet die in ausgelesen, einer weiteren Rubrik hier im Blog. 🙂

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