ausgelesen: „Sagmeister & Walsh: Beauty“

Es war vollkommener Zufall, dass ich bei einem Hamburg-Wochenendtripp die Ausstellung Sagmeister & Walsh: Beauty im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg (MKG) besuchte. Mir wurde das MKG wegen seiner asiatischen Sammlung empfohlen. Die war beeindruckend, Beauty war es auch! Vor Allem gab es jede Menge zu erleben. Seine Botschaft hat Beauty auf viele anschauliche Weisen klar gemacht. Nämlich, dass Schönheit aus der Mode gekommen ist. Schönheit unser Leben aber durchaus, naja, schöner macht. Und das ist nichts schlechtes. Da ich in der Ausstellung nicht alleine war und nicht alles genau anschauen oder in Ruhe zu Ende lesen konnte, habe ich mir das Buch von Sagmeister & Walsh gekauft, um nochmal tiefer in ihre Botschaft einzutauchen.

Wie ordnet man Sagmeister & Walsh: Beauty nun ein? Als Ausstellungs-Begleitbuch? Nein! Ganz klar als Designbuch. Autor*innen sind der österreichische Designer Stefan Sagmeister und Jessica Walsh, die unter dem Namen „Sagmeister & Walsh“ zusammenarbeiten und einige großformatige Projekte gestemmt haben. Beauty ist der Versuch zu erklären, warum der Schönheitsbegriff unbeliebt geworden ist; legt dar, was daran falsch ist, endet mit einem Katalog schöner Dinge und einem Manifest pro Schönheit. Sagmeister & Walsh beginnen dabei mit der historischen Einordnung von Schönheit und wie sich der Schönheitsbegriff wandelte. Was war früher schön? Funktioniert das noch heute? Und ab wann wurde „schön“ etwas, dass nur „dekorativ“ oder „kommerziell“ bedeutet und von Künstlern als banal verschrien ist?

Das alles zeigen Sagmeister & Walsh an reichlich Beispielen, Experimenten, Statistiken und Umfragen. Sie legen beispielsweise nach wie die Verwendung des Wortes Schönheit in Büchern ab 1800 bis 2000 rapide abnahm. Dabei gehen sie häufig auf kognitive Gegebenheiten ein wie den Umstand, dass Vertrautheit mit „Gefallen“ korreliert. (p.25) In vielen Umfragen können wir zuerst uns selber testen und dann anschauen wie die Verteilung unter Umfrage-Teilnehmer*innen war. Die Fragen klingen dabei teilweise sehr grundlegend. Welche Farbe findest du schöner? Welche Form? Haben Menschen ein Bedürfnis nach Symmetrie? Nach Geschlossenheit? Nach Wärme? Oder eher kalten Farben?

Tatsächlich komme ich nicht umhin mich zu fragen, ob solche Umfragen nicht dann einen massentauglichen Geschmack abbilden, statt uns etwas über Schönheit zu erzählen? Und definiert wirklich eine statistische Mehrheit Schönheit? Viele der Umfragen von Sagmeister & Walsh sind auf Instagram erhoben wurden, wo ich mir eine wissenschaftlichere Erklärung oder schlicht mehr Quellen gewünscht hätte. Stellenweise scheinen die Ergebnisse dem Selbstzweck zu dienen und sind mit starken Aussagen verbunden. So beispielsweise wenn das braune Rechteck zur häßlichsten Form gekürt wird und gleichzeitig gefragt wird, warum dann soviele Gebäude leider genauso aussehen. Vielleicht finde ich die Beweisführung dünn, aber ich feiere trotzdem die Argumentationskette. Haben sich Menschen absichtlich in häßliche Umfelder eingebettet, nur weil der Begriff Schönheit unmodern und piefig geworden ist? Es wird noch krasser. Sagmeister & Walsh stellen sogar den Vergleich der form follows function Anhänger und Nazis. Auschwitz war offenbar sehr funktional.

Durch solche krassen Beispiele versuchen Sagmeister & Walsh uns aufzurütteln und zu zeigen, dass zeitgenössische Strömungen ein bestimmtes Motiv vertreten, dass viele Jahre später meist durch ein anderes abgelöst wird. Wie sind wir aber in einer Moderne hängen geblieben, die sich nur so schwer neu erfindet? Der Gedanke, dass die Form der Funktion folgen müsse und Schönheit ausklammert, bleibt. Die Argumentationskette begeistert mehr durch die starken Aussagen und den Mut als seine Argumente, wenn man sie ein wenig sacken lässt. Mir fehlt hier der historische, soziologische und psychologische Blick auf die Dinge. Aber ich kann auch nicht von der Hand weisen, dass ich Wahrheit in den starken Aussagen finde.

Wie sind wir plötzlich da hingekommen, dass alles Schwarz, Weiß, Grau und Beige sein muss, wo unsere Welt doch voll sovieler wunderbarer Farben ist? Denn wenn zumindest ich die anschaue, hüpft mein Herz nicht. Auch wenn das Buch nach außen hin schwarz und weiß ist, lebt es seine Botschaft deutlich. Der Buchschnitt ist silbern und wenn man ihn verzieht, erkennt man darin Text. Die Seiten haben viele Beispiele für „gutes“ und „schlechtes“ Design. Der Katalog schöner Kunst und Designs ist eine kreative Fundgrube, durch die ich stundenlang blättern könnte. Die Statistiken und Gestaltung haben schöne Muster, die die Aussagen von Sagmeister & Walsh leben. Wiederkehrende Muster, bekanntes, Symmetrie, Verspieltheit, es erfreut das Auge. Sagmeister & Walsh müssen nicht die Antwort auf alle Fragen liefern, aber das Buch ist kurzweilig zu lesen, für alle Designinteressierte aufrüttelnd, liefert spannende Ansätze und es ist tatsächlich schön.

Fazit

Sicht auf Schönheit aus dem Design-Ansatz mit einigen starken Aussagen, die Kreative zum Nachdenken bringen. Schönheit = Funktion.

Besprochene Ausgabe: ISBN 9783874399227, Verlag Hermann Schmidt

Tatsächlich ist mir auch erst während des Lesens aufgefallen wie verpöhnt Schönheit sogar in meinem Kunst-LK war. Eine meiner Lehrerinnen war keinesfalls dagegen. Eine andere scheinbar schon. ^^ Zumindest mochte sie beispielsweise figürliches Zeichnen und Malen absolut nicht. Man kämpft so seine Kämpfe … offenbar auch Sagmeister & Walsh. Stimmt ihr ihnen zu? Kennt ihr Bücher mit ähnlich starken Aussagen?

4 Antworten

  1. Avatar von Voidpointer
    Voidpointer

    Schönheit = Funktion = Wahrheit klingt ja fast wie 2 + 2 = 5. 😉 Klingt zumindest auch provokant. Die Trias des Wahren, Schönen, Guten hat zur Zeit wohl nicht gerade Hochkonjunktur. In der bayerischen Verfassung ist sie aber wohl noch enthalten (Artikel 131). 😉
    Wenn man nüchtern die Gesellschaften dieser Welt betrachtet, dann findet man viel Anlass zur Frage, warum die Verhältnisse oft so schlecht sind und wo und bei wem der Nutzen davon wohl liegen mag.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ein bisschen, ja. 😉 Was bayerische Verfassung!? Nicht im ernst!? XD
      An die musste ich beim Lesen gar nicht denken … aber ja, ist bekannt!
      Laut der Stimmung des Buches würde Schönheit alles ähm, schöner machen…ganz Unrecht haben sie da vielleicht nicht. Als ich in Japan war, war alles irgendwie kommentiert, perfektioniert, schön und rund, überall Farben, Mangafiguren. Wahrscheinlich muss man aber in der Gesellschaft (oder dem Experiment) leben, um herauszufinden, ob das nicht auch irgendwann Gewohnheit wird.

  2. […] bevor das Leben vorbei ist“ 17.12. * Serien-Besprechung: „Schitt’s Creek“ Season 4 18.12. * ausgelesen: „Sagmeister & Walsh: Beauty“ 19.12. * Serien-Besprechung: „Supernatural“ Season 7 (Rewatch) 20.12. * ausgelesen: Margaret […]

  3. […] Sagmeister & Walsh: Beauty […]

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