Netzgeflüster: Der Krieg in der Ukraine und das Internet

Wir alle kennen das Weltgeschehen und wissen, was gerade in der Welt los ist. Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine dauert zu lang. Zerstört zuviel von dem Land, treibt zuviele Familien auseinander, kostet Menschenleben auf beiden Seiten. Es wird ausgeharrt in einem Zustand in dem gefühlt alle helfen wollen, aber viele aus vielfältigen Gründen handlungsunfähig sind. Was wir alle tun können ist informiert, interessiert und an den richtigen Stellen laut zu sein. Daher folgt heute eine Linkliste, sortiert nach einigen Themen, die ich gerade für aktuell und wichtig halte. U.a. wie helfe ich? Wo kann ich mich informieren? Wie entdecke ich Desinformation und was ist die Rolle von IT und des Internets im Speziellen in diesem Krieg, der als vielleicht „best dokumentiertester Krieg“ in die Geschichte eingehen wird?

Die Berichterstattungssenken

Dieser Krieg zeigt unweigerlich, dass es eine Berichterstattungssenke gibt. Damit meine ich Stolperstellen, die die Berichterstattung erschweren und verlangsamen (neben anderen Faktoren z.B. Sprachbarriere), verwässern (Desinformation und Propaganda). Gleichzeitig beweist v.A. der letztere Punkt wie wichtig die Aufgabe des Journalismus ist und was für ein Privileg Meinungsfreiheit und freie Medienwahl. Da sitzen gerade überall in der Welt Menschen, die um ihre Familien zittern. Das verlangsamen und erschweren lässt sich dank meines Umfelds nachweisen, in dem es mehrere Ukrainer*innen gibt, die mir Nachrichten idR eineinhalb bis einen Tag erzählen bevor sie in der deutschen Berichterstattung auftauchen. Sie beziehen eine enorme Masse mehr an Informationen aus Telegram-Channels und Youtube-Videos, die teilweise Videos von Bodycams ukrainischer Soldat*innen zeigen und einen grausigen Ausblick über das Ausmaß der Zerstörung in der Ukraine geben. Und die ich (mit meinen kümmerlichen Brocken Russischkenntnissen) nicht verstehen würde, wenn man sie mir nicht übersetzen würde. Insbesondere gegenüber der Informationslücke, die voraussichtlich in Russland besteht, prekär. Heißt: da draußen gibt es soviel mehr an prägnanteren Informationen, die nicht ausgeschöpft werden. Soviel sei aber auch gesagt: die vielleicht nicht zu allen Tageszeiten gezeigt werden sollten und können.

Desinformation, Aufklärung und Hacktivismus

Die Abschaltung und Blockierung diverser Medien in Russland und die Äußerungen russischer Sprecher*innen über die Ukraine zeugen deutlich von Propaganda, Selbstzweck und Desinformation der Bevölkerung. Nun kennt das Internet keine Grenzen (größtenteils jedenfalls). Ich kann sehr die Beiträge der Bundeszentrale für Politische Bildung und von heise.de empfehlen, die umfassend erklären was Desinformation und Fake-News sind und wie man diese erkennen kann, damit wir unsere eigene Meinungsbildung hinterfragen und keine Falschinformationen verbreiten.

Was insbesondere in der ersten Woche des Krieges weite Kreise zog war der Aufruf zu Hacktivismus, die wieder das Gespenst der digitalen Kriegsführung heraufbeschwört. Es gab Claims, dass das Kollektiv Anonymous diverse Hacks und DDoS Angriffe durchgeführt hat. Auch solche Claims zu hinterfragen, statt zu jubeln, ist fair und wichtig. Ich habe noch nie soviele angeblich Anonymous-Twitter-Claims und -Profile gesehen wie seit dem 24. Februar und halte die überwiegende Mehrzahl davon nicht für echt. Da solche Claims zu Desinformation beitragen können und wie Netzpolitik.org und im Artikel genannte Sprecher*innen erklären, sich nicht alle Hacktivisten an die erklärte Aufgabe halten (ein Zeichen zu setzen, für Instabilität aber nicht Chaos zu sorgen) und stattdessen kritische Infrastrukturen angreifen könnten. Letzteres schießt dann wortwörtlich über das Ziel hinaus und heizt möglicherweise Konflikte an.

Es muss aber nicht immer gleich Hacking welcher Hutfarbe auch immer sein. Die sogenannte OSINT Szene leitet den Begriff von Open Source Intelligence ab und analysiert cross-plattform und interdisziplinär Daten um zu unterstützen und Desinformation aufzudecken. So werden beispielsweise Kartendaten ausgewertet und daraus analysiert, welche Geschütze dort verwendet wurden. Eine immens wichtige Quelle um bspw. Kriegsverbechen Russlands nachzuweisen. Auf netzpolitik.org kann man nachlesen wie lange schon OSINT-Interessierte kollaborieren und das auch im Falle des Kriegs in der Ukraine tun. Hier bringt das Internet nicht nur zusammen, sondern bietet Beweise, Dokumentation und bringt global verstreute Expertise zusammen.

Verantwortung von IT (-Unternehmen, der Community, des „Internets“)

Hier kommen natürlich auch die großen Plattformen zum Einsatz. Digitale Präsenzen von journalistischen Betrieben, soziale Netze und die Regeln und Filter, die Hetze oder Desinformation aufdecken. Meta geriet in die Schlagzeilen, weil sie Filter zurückschraubte, die Todesdrohungen blocken. Genauer Todesdrohungen gegen russische Invasoren, was schon eine schwierige Debatte eröffnet. Sind Todesdrohungen gegen die einen „okayer“? Das sind waschechte moralische Grauzonen. Inzwischen ist Meta mit seinen Diensten wie Facebook und Instagram in Russland geblockt. Netzpolitik.org spricht inzwischen vom Informationskrieg und ich setze ein Ausrufezeichen dahinter. Man stelle sich vor wie da das Urteil über die Schuld- und Fairnessfrage für diejenigen lautet, die in Russland ihre Informationen nur aus dem russischen Staatsfernsehen beziehen und die Einschränkungen sehen (kein Neflix, kein Nike, kein Apple, kein Instagram, etc) und sonst nichts.

Ist es also falsch, dass sich die Unternehmen zurückziehen? Nein, auf keinen Fall, so meine Meinung. Es ist einer der wenigen Hebel, derer man sich bedienen kann, wenn man ein Zeichen setzen muss (soziale Verantwortung) und nicht zum Aggressor werden will. Hinzu kommen noch ganz andere Dimensionen, die aus den Annehmlichkeiten unseres digitalen Lebens entstehen. Dass die Krim laut diversen Online-Kartendiensten mal Russland, mal der Ukraine gehört ist schon ein alter Hund (und das ist tragisch!) Prekär ist, wenn bspw. die Ukraine angegriffen wird und Live-Daten aus Cafés und öffentlichen Plätzen oder auch Stauinformationen freigeben würden, wieviele zivile Ziele dort sind. Zielscheiben. So schaltete Google Maps bereits Ende Februar die Livedaten und Stauinformationen für die Ukraine ab. Denkt man darüber nach, wird einem kälter. Umso wichtiger ist es, dass wir uns der Aufgabe des digitalen bewusst werden wie auch der Aufgabe von IT-Unternehmen und -Services.

Helfen wollen vs Doomscrolling

Ja, schön und gut, was heißt das jetzt für mich? Welchen Quellen kann ich noch vertrauen? Einfach ist das nicht, das stimmt. Oben verlinkte Quellen sollen helfen Desinformation zu erkennen. Ansonsten, kann ich nur sagen, welche Quellen ich zu Rate ziehe, falls das eine Hilfe ist. Im Fernsehen: CNN, EuroNews, ARD und ZDF. Print und digital deutschsprachig: Tagesschau, Zeit, Deutschlandfunk und englischsprachig: The Kyiv Independent. Davon abgesehen ist auch vollkommen fair und richtig sich Pausen von der Berichterstattung zu gönnen, um „weiter zu funktionieren“. Die Maus bringt es auf den Punkt.

Doomscrolling, also das Baden in negativen Schlagzeilen führt zu Angst, Depression, Frustration, Wut. Alle diese starken Gefühle haben ihre Berechtigung, können aber Umschlagen in Zustände, in denen Menschen keine vernunftbasierten Entscheidungen mehr treffen können und Informationen nicht mehr aufnehmen oder sachlich verarbeiten können. Das schadet früher oder später uns selber als auch unserem Umfeld. Heise kennt Tipps dagegen – siehe Link zu Beginn des Absatzes über Doomscrolling. Lasst uns bei all dem nicht vergessen, dass wir nicht hilflos sind und dass der Krieg zwar das schlechteste in (einem bestimmten) Menschen herausbringen mag, aber ich behaupte auch das beste aus sehr vielen vielen anderen Menschen!


„Violinists Across the World Play for Ukraine“, via ViolinistsSupportUkraine (Youtube) – siehe Youtube für Spendenaktion

Nehmt Demos und Kundgebungen in eurer Umgebung wahr, sowie Sachspenden und Spendenaktionen (2GETHER – Nothilfe für die Ukraine, Aktion Deutschland hilft, Caritas) und teilt diese. Informiert euch in eurer Umgebung über Freiwilligenagenturen und Infrastrukturen zum Helfen. Die Freiwilligenagentur Magdeburg hat beispielsweise eine App um Hilfe in unterschiedlichster Weise bereitzustellen. Von Spenden organisieren bis Übersetzungsarbeit bis Aufnahme von Geflüchteten. Denn auch hier zeigt das Internet, dass es keinesfalls „nur“ der Ort von Desinformation und Business ist, sondern auch der von Chancen, Hilfe und Solidarität.

Was sind für euch beispielhafte und bedenkliche Entwicklungen in Bezug auf den Krieg und das Internet? Welche hilfreichen Plattformen kennt ihr? Woraus bezieht ihr eure Informationen? Und was sind eure Maßnahmen gegen Doomscrolling oder Desinformation?

Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂

Eine Antwort

  1. […] 2022. Wenn’s nicht wird, dann ist das halt so. Ein Artikel, der mir sehr am Herzen lag ist Der Krieg in der Ukraine und das Internet. Vielleicht war das der Monat der am Herzen liegenden Artikel!? Bloggen ist tot, haben sie […]

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